Dass die Schweiz mehr vom Binnenmarkt profitiert als der Durchschnitt der EU-Bürgerinnen und Bürger, mag erstaunen. So scheint es fast ironisch, dass Zürich und London die grössten Einkommenszuwächse mit jeweils 3590 und 2700 Euro pro Kopf haben: Die eine Stadt ist nicht einmal in der EU, die andere könnte bald nicht mehr dazu gehören. Der wirtschaftliche Gewinn der Zürcher ist viermal so hoch wie im EU-Durchschnitt.

Wie viel Wohlstand ein gemeinsamer Markt schafft, ist schwierig zu beziffern. Die deutsche Bertelsmann-Stiftung hat dies zusammen mit der University of Sussex versucht: Die Wissenschaftler untersuchten die Handelsströme innerhalb des EU-Binnenmarkts und berücksichtigten dabei Marktgrösse und Entfernung zwischen den Handelspartnern.

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Das Ergebnis: Ausgerechnet ein Nicht-EU-Land profitiert am stärksten vom europäischen Binnenmarkt. Dass der europäische Markt ein Gewinn für die Schweiz ist, ist nicht überraschend. Schliesslich ist die Schweiz im EU-Index der ökonomischen Integration neben Belgien und Irland ganz vorne dabei. In der Diskussion um das Rahmenabkommen mit der EU scheint immer wieder vergessen zu gehen, dass die Schweiz ökonomisch der EU eigentlich längst beigetreten ist.

Kleine Länder profitieren am meisten

Was allen Profiteuren gemein ist: Es sind vor allem die kleinen, exportorientierten Länder und Regionen. Das heisst, je produktiver und wettbewerbsfähiger ein Land ist, desto mehr Handel betreibt es mit den europäischen Nachbarn. Der verstärkte Handel trägt wiederum zur Wirtschaftsleistung bei und schafft mehr Wohlstand.

Profite EU Binnenmarkt

Pro-Kopf-Einkommensgewinne durch den EU-Binnenmarkt, nach Regionen.

Quelle: Bertelsmann Stiftung

Zum Vorteil wird der Schweiz vor allem ihre geografische Lage inmitten der EU und in unmittelbarer Nähe zum Haupthandelspartner Deutschland. Die Bertelsmann-Studie zeigt; Je näher die untersuchten Regionen am europäischen Zentrum oder an anderen grossen Volkswirtschaften liegen, desto höher sind die Einkommensgewinne durch den EU-Binnenmarkt.

Der EU-Binnenmarkt schafft jährlich 420 Milliarden Euro an zusätzlichem Einkommen – das entspricht 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der gesamten EU. Für jeden einzelnen EU-Bürger sind das durchschnittlich 840 Euro im Jahr. Zu den grössten Gewinnern gehören neben der Schweiz die Niederlande, Österreich und Belgien.

Pro Kopf hat die Schweiz die grössten wirtschaftlichen Vorteile: 2914 Euro pro Jahr. Dieser Wohlstandsgewinn entsteht durch den freien Handel ohne Zölle und andere Hemmnissse. Zudem entstehe dadurch mehr Wettbewerb, was sich Produktion und Preise vergünstigt. Davon profitieren vor allem Konsumenten und Unternehmen.

Debatte um das Rahmenabkommen

Auch die EU-Befürworter in der Schweiz verweisen gerne auf die ökonomischen Vorteile der Beziehung zur Europäischen Union. Doch inwiefern dabei die Bilateralen zum Wirtschaftswachstum in der Schweiz beitragen, ist umstritten. So wird gerade in der Debatte um das Rahmenabkommen immer wieder auf diverse abweichende Studien verwiesen.

«Das Abkommen ist Öl fürs System»

Staatssekretär Roberto Balzaretti sprach im Interview mit BILANZ-Redaktorin Florence Vuichard über den umstrittenen EU-Rahmenvertrag – und warum die Schweiz trotzdem frei entscheiden kann. Mehr dazu hier.

Ob das Wirtschaftswachstum überhaupt ein verlässlicher Indikator ist, um die Vorteile der Europäischen Union zu messen? Mit dieser Frage beschäftigten sich Wissenschaftler bereits häufiger. Etwa in einer Untersuchung der Universität Süddänemark, welche das BIP-Wachstum der EU-Länder mit anderen Ländern ausserhalb der Staatengemeinschaft vergleicht. Demnach bringt die EU-Mitgliedschaft allein nicht automatisch mehr Wachstum.

Ohnehin ist das BIP als verlässlicher Wohlstandsindikator seit einiger Zeit umstritten. Die Bertelsmann-Studie hingegen berechnet den wirtschaftlichen Nutzen des EU-Binnenmarkts auf Grundlage der niedrigeren Handelskosten. Das scheint sinnvoll und liefert gute Argumente für die Befürworter des Rahmenabkommens in der Schweiz.