«Mein Mann arbeitet seit 32 Jahren bei der Migros. Er spürt tagtäglich den grossen Druck und die Schikanen. Das alles schlägt ihm auf die Gesundheit», schreibt die Kommentatorin Nicole im Online-Forum des Ersten Schweizer Fernsehens. «Er hat seit vier Jahren extreme Schlafstörungen, hat körperliche Beschwerden, die nicht zu erklären sind. Er wird eindeutig von seinem Vorgesetzten gemobbt, hat aber nicht den Mut, sich öffentlich zu wehren.» Mit ihrem Eintrag reagiert die besorgte Ehefrau auf einen «Kassensturz»-Beitrag vom 30. Juni. In der Sendung ging es um den Fall des langjährigen Migros-Angestellten Peter Walser, der nach 31 Dienstjahren wegen Krankheit entlassen wurde. Die Empörung über das Verhalten des Unternehmens liess nicht lange auf sich warten. Binnen weniger Stunden wurden im Forum Hunderte Kommentare veröffentlicht, die meisten von frustrierten Angestellten und ehemaligen Mitarbeitern. Einige Wochen später nahm die «Sonntagszeitung» das Thema auf und berichtete über einen ähnlichen Fall beim Detailhändler. Auch private Blogger und der Online-Ableger der Konsumentenzeitschrift «Beobachter» stiegen ein. Mit der Gründung einer «Anti-Migros»-Gruppe auf Facebook durch ehemalige Migros-Mitarbeitende erreichte die Affäre schliesslich die Netzgemeinschaften. Zu viele Angriffe. Das wurde dem Detailhändler zu viel, man wollte die Sache nicht auf sich sitzen lassen und wandte sich an die «Kassensturz»-Redaktion. «Einige Kommentare im Forum gingen unter die Gürtellinie. Es waren, unter anderem, Attacken auf Migros-Chef Herbert Bolliger», sagt Migros-Mediensprecher Urs Naef. Das Schweizer Fernsehen nahm nach der Intervention um die 25 Beiträge vom Netz. Manchmal meldet sich der Migros-Vertreter Naef in kritischen Online-Foren auch direkt zu Wort, vor allem wenn Nutzer Falschmeldungen verbreiteten. So behauptete ein Leser im Forum des «Tages-Anzeigers», die Migros bezahle dem Bund keine Steuern. Naef reagierte und schrieb, die Migros habe im letzten Jahr 229 Millionen Franken an den Bund überwiesen. In der boomenden Online-Welt sehen sich Unternehmen immer öfter unter Beschuss. Heftig, denn in der Unmittelbarkeit und Anonymität des Mediums lassen viele ihrer Empörung freien Lauf. «Dies ist eine Nestlé-freie Zone. Boykottiert Nestlé – schützt unsere Kinder», prangt auf der Webseite von «Baby Milk Action», einem NGO, das gegen die Babynahrung von Nestlé mobilmacht. Zielscheiben sind konsumnahe Firmen oder die mächtigen Multis. «Novartis-Manager gehören an den Galgen!» steht auf dem Videoportal YouTube, wo Anti-Novartis-Kurzfilme das Leid von Tieren in medizinischen Labors dokumentieren. In den Filmen sind Hunde zu sehen, denen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wurde, oder Bilder von grauenhaft verstümmelten Tierleichen. Als die Bankenkrise im Herbst 2008 ihren Höhepunkt erreichte, liessen die Bürger ihrer Wut auf die Schweizer Grossbanken in den Online-Leserforen von «Blick», «NZZ» und «Tages-Anzeiger» freien Lauf. «Die Sozialschmarotzer sitzen nicht auf Bahnhofsbänken, sie sitzen zuoberst und tragen massgeschneiderte Anzüge!», schrieb ein Leser auf «Blick.ch». Ein anderer formulierte knapp: «Scheissbanker!» Auf Portalen wie Antitoo kann man nach Webseiten suchen, die Unternehmen gezielt aufs Korn nehmen, wie z.B. boycottnestle.blogspot.com, chasebanksucks.com oder corporatewatch.org. Das Internet hat die Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit völlig verändert. Zwischen 2004 und 2006 entstanden Online-Plattformen, sogenannte «Social Media» wie Facebook, MySpace oder das Videoportal YouTube, die vor allem in den letzten zwei Jahren rasant gewachsen sind. Gleichzeitig wurden zahlreiche Blogs gegründet, die wie der amerikanische «The Consumerist» Unternehmen auf die Finger schauen und jeden Fehltritt dokumentieren. Für die PR-Abteilungen der Unternehmen bedeutet diese Entwicklung weniger Kontrolle. Auf das, was über sie im Internet geschrieben wird, haben sie keinen Einfluss. Kein Wunder also, stehen viele Unternehmen den Online-Plattformen skeptisch gegenüber. Laut einer 2008 von der Fachhochschule Köln durchgeführten Studie fürchten sie vor allem die Verbreitung von Falschmeldungen und Gerüchten. Im Oktober 2008 zirkulierte im Netz die Meldung, Steve Jobs habe einen Herzinfarkt erlitten. Darauf stürzte der Aktienkurs von Apple auf den niedrigsten Stand des Jahres. Die Meldung erwies sich schnell als Gerücht, das eine Privatperson auf der CNN-Plattform ireport.com in die Welt gesetzt hatte. «Vorfälle wie dieser fördern eine kritische Haltung vieler Unternehmen gegenüber den sogenannten Social Media», meint Karsten Füllhaas. Der Schweizer PR-Berater hat sich auf das Thema «Online Reputation» spezialisiert und berät Firmen bei der Entwicklung von Kommunikationsstrategien für das Internet. «Verhindern lassen sich die Einträge kaum», so Füllhaas. «Deshalb ist es wichtig, ein adäquates Monitoring durchzuführen und sich auf Krisen vorzubereiten, um schnell reagieren zu können.» Negativer Effekt. Im Zusammenspiel mit den traditionellen Medien kann das Netz wie ein Brandbeschleuniger wirken. Der Effekt eines negativen Zeitungsartikels verstärkt sich exponentiell durch die Reaktionen in den Leserforen. Eine kürzlich durchgeführte Studie von Nielsen zeigt, dass Internetnutzer bei Produktbewertungen den Meinungen anderer Nutzer besonders viel Vertrauen entgegenbringen, mehr noch als Rezensionen in Zeitschriften. Bei der Beurteilung von Unternehmen verhält es sich ähnlich: Negative Online-Kommentare schaden dem Image und schwächen das Vertrauen in die Marke. Im schlimmsten Fall können sie eine Massenempörung auslösen, die den Ruf des betroffenen Unternehmens massiv schädigt. In der Schweiz hat dies etwa Cablecom zu spüren bekommen. Verbraucher hatten im Netz jahrelang harsche Kritik am Kundenservice geübt. Im Ranking der beliebtesten Schweizer Unternehmen, herausgegeben vom Marktforschungsinstitut GfK, besetzte Cablecom regelmässig den letzten Platz. Als das Unternehmen Anfang September bekanntgab, seinen Namen bald in UPC umzuändern, sahen viele darin den Versuch, das schlechte Image loszuwerden. Mediensprecherin Deborah Bucher erklärte, die Namensänderung sei zum Teil bedingt durch die engere Zusammenarbeit mit dem in Amsterdam ansässigen Mutterkonzern UPC Broadband. Das Rebranding signalisiere jedoch auch einen Neustart, räumt Bucher ein: «Der Namenswechsel soll zugleich unterstreichen, dass Cablecom sich verändert hat und weiterhin alle Anstrengungen unternehmen wird, um sich langfristig zu einer kundenfokussierten Organisation mit spannenden Produkten und Diensten zu entwickeln.» Schmähkritik. Weil sich die Mediennutzung zunehmend ins Internet verlagert, wird die Pflege des Rufs im Netz immer wichtiger. In den USA ist «Online Reputation Management» bereits zu einem lukrativen Geschäft geworden. Firmen wie Reputation Defender durchstöbern das Netz, um unliebsame Einträge zu entfernen. Wo das nicht gelingt, werden kurzerhand Gegeninhalte erstellt, die den Auftraggeber in ein positives Licht rücken. Als letztes Mittel gegen herabsetzende Kommentare und Verleumdung bleibt der rechtliche Weg. Online-Experte Füllhaas rät jedoch zur Vorsicht: «Die Reaktion auf gezielte Online-Attacken muss sehr gut überlegt sein. Unverhältnismässiges Vorgehen führt häufig zu noch mehr negativer Berichterstattung.» Diese Erfahrung machte der deutsche Sportausrüster Jako. Anfang April bezeichnete der Blogger Frank Baade das Unternehmen in einem Blogeintrag als «Schlurchmarke». Daraufhin wurde er von Jako wegen «unzulässiger Schmähkritik» verklagt. Baade sah seinen Fehler ein, unterzeichnete eine Unterlassungserklärung und löschte den Blogeintrag. Wenige Zeit später erschien besagter Eintrag erneut, diesmal auf einem tschechischen Newsaggregator – laut Baade ohne sein Wissen. Jako reagierte umgehend und forderte eine Zahlung von mehreren tausend Euro. Der Streit ging in die nächste Runde, für Baade entstanden hohe Kosten aus dem Gerichtsverfahren. Die Affäre nahm für Jako eine ungünstige Wende, als andere Blogger auf den Fall aufmerksam wurden und darüber zu schreiben begannen. In der Blogosphäre brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los, der die Berliner Tageszeitung «taz» zu einem Artikel veranlasste. Für Jako ein Imagefiasko. «Bevor man in solchen Fällen rechtliche Schritte einleitet, sollte man immer zuerst den Dialog suchen», empfiehlt Karsten Füllhaas. «So lassen sich Missverständnisse am einfachsten aus dem Weg räumen.» Auch das Verhalten der eigenen Angestellten in den Netzgemeinschaften spielt für das Firmenimage zunehmend eine Rolle. Wenn Mitarbeiter auf Facebook oder Xing Interna ausplaudern oder gegen das Unternehmen hetzen, kann das zum ernsthaften Imageproblem werden. Im Frühling erschien auf YouTube ein Video, das zwei Angestellte des US-Fastfoodlieferanten Domino’s Pizza in der Küche einer Filiale gedreht hatten. Das Video zeigt einen Mitarbeiter, der sich bei der Zubereitung eines Sandwichs Käse in die Nasenlöcher stopft und diesen anschliessend grosszügig auf dem Sandwich verteilt. Am ersten Tag nach der Veröffentlichung hatten bereits mehr als eine Million Nutzer das Video gesehen. In einer Pressemitteilung klagte ein Sprecher von Domino’s: «Das Problem am Internet ist, dass jeder Idiot mit einer Kamera solche Sachen machen kann und so mit einem Schlag den Ruf einer fast 50 Jahre alten Marke und von 125 000 Mitarbeitern in über 60 Staaten weltweit ruiniert.» In den Netzwerken der Social Media werden Angestellte zu Botschaftern der Firmenmarke. Viele Mitarbeiter sind sich kaum bewusst, dass die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber auch im Netz gilt. Immer mehr Unternehmen in der Schweiz führen deshalb Richtlinien für die berufliche Nutzung der Social Media ein. Leitfaden. «Wir haben einen Leitfaden publiziert, der unseren Mitarbeitern Hilfe dabei bietet», sagt Swisscom-Pressesprecher Sepp Huber. Wer in sozialen Netzwerken über seine Arbeit schreibe, solle die Anstellung bei der Swisscom offenlegen und darauf hinweisen, dass «die Aussagen persönlich sind». Auch für die Mitarbeiter von Credit Suisse gelten verbindliche Regeln. «Wir haben klare Richtlinien, ob und wann welche unternehmensrelevanten Informationen an Dritte weitergegeben oder publiziert werden dürfen. Dies gilt auch im Umgang mit Online-Medien und -Plattformen», erklärt CS-Pressesprecher Alex Biscaro. Die neue Online-Welt hat aber auch ihre schönen Seiten. Auf Facebook gibt es viele Firmen-Fanseiten – von Novartis über Coop bis zu Migros –, gegründet von Verbrauchern und Angestellten. Die Migros gehört dabei zu den beliebtesten.
Immer mehr Firmen sehen sich mit Attacken aus dem Internet konfrontiert. Doch die Pflege des Rufs überfordert die meisten.
Lesezeit: 7 Minuten
Von Alexis Schatz
am 09.10.2009 - 02:00 Uhr
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