Es ist eine Mischung aus Stolz und Verzweiflung, welche die Mitarbeiter bei Opel im deutschen Rüsselsheim derzeit empfinden. Endlich sind sie da, wo sie lange hinwollten. Der Opel Astra ist in Vergleichstests auf Augenhöhe mit dem Rivalen VW Golf. Die Mittelklasse-Limousine Vectra brilliert im 100 000-Kilometer-Dauertest der Zeitschrift «Autobild» mit glänzender Qualität und lässt die Mehrzahl der deutschen Mitbewerber einschliesslich BMW und Mercedes hinter sich. Der in den Fünfzigern entstandene Werbeslogan «Opel, der Zuverlässige» lebt plötzlich wieder. Und doch steht die Marke, gemeinsam mit Saab und Vauxhall, den Schwestern im Konzern von General Motors (GM), wieder am Abgrund.

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Die Lage ist so verzweifelt wie vor vier Jahren. Schon damals war Opel einer der schwersten Sanierungsfälle der europäischen Automobilindustrie. Zwischen Konzernspitze und Arbeitnehmerlager kracht es. «Es ist ganz klar: Wir haben europaweit viel zu viele Gehaltsempfänger», sagt GM-Vizepräsident Bob Lutz. Was jetzt kommt, könnte die blutigste Episode in der Geschichte von General Motors Europe (GME) werden. Mehr als 750 Millionen Euro will die Konzernspitze bei den Töchtern Opel, Saab und Vauxhall einsparen. Dabei könnten rund 12 000 Jobs in Europa auf der Strecke bleiben. Besonders hart droht es Opel zu treffen. Das Unternehmen beschäftigt mit 32 000 Mitarbeitern allein in Deutschland mehr als die Hälfte der europäischen Belegschaft.

Nicht nur die Bandarbeiter müssen um ihre Jobs fürchten – auch in der Entwicklung gibt es Überkapazitäten. Opel schreibt im fünften Jahr in Folge rote Zahlen. 2003 lag der operative Verlust bei 384 Millionen Euro. Man habe den Denkfehler begangen, räumte Bob Lutz Mitte des Jahres ein, dass man Opel isoliert innerhalb der GM-Organisation sanieren könne.

Ursache für die Misere sind zum Teil die gleichen Probleme, die auch Volkswagen zu schaffen machen: der Preiskrieg in der Kompaktklasse. Durch die schwache Konjunktur ist das Preisbewusstsein der Verbraucher deutlich gestiegen. Der Markt für Fahrzeuge der unteren Mittelklasse, zu der auch der Golf und der Astra zählen, stagniert in Europa bei rund drei Millionen Fahrzeugen. Zudem ist das Feld der Wettbewerber in dieser Fahrzeugklasse in puncto Ausstattung und Qualität dichter zusammengerückt als noch vor zehn Jahren. Trotz höheren Kosten und zum Teil aufwändigerer Technik können Volkswagen und Opel für ihre Modelle keine Premiumpreise mehr verlangen.

Biedere Stufenhecklimousinen, wie sie Opel Vectra, VW Passat und Ford Mondeo verkörpern, treffen nicht mehr den Käufergeschmack. Die Absatzzahlen sinken rapide. Andere setzen die Trends. Auf den von Renault mit dem Scénic gestarteten Minivan-Trend hat Opel mit dem Zafira reagiert und mit dem Microvan Meriva ein neues, attraktives Segment besetzt.

Seither überlässt Opel wieder der Konkurrenz das Feld. Die Rüsselsheimer verschliefen den Boom der sportlichen Geländewagen und überliessen den Markt für günstige Kleinwagen in der Preisklasse unter 10 000 Euro den Koreanern. Mit dem neuen Tigra Twintop greift Opel zwar das Thema Roadster mit Metallklappdach auf und hat die Chance auf einen Bestseller, aber der Tigra TT kommt erst vier Jahre nach dem Peugeot 206 CC. Der Opel Zafira ist im sechsten Produktionsjahr und genau wie der Kleinwagen Corsa am Ende des Modellzyklus und verkauft sich nur noch schleppend.

Eines der Beispiele für die Versäumnisse ist der schwedische Hersteller Saab. Seit Jahren dümpeln die Absatzzahlen auf niedrigem Niveau dahin. Nur 359 Saab wurden im September noch in Deutschland zugelassen. Im gleichen Zeitraum rollten 1269 Porsche auf deutsche Strassen. Saab ist zum grössten Verlustbringer für GME geworden.

Auch mit der Marke Daewoo hat GM kein Geschick bewiesen. Da der koreanische Hersteller kaum Geld in die Entwicklung neuer Modelle investiert, sank der Marktanteil in Europa von 1,4 Prozent im Jahr 2001 auf 0,8 Prozent im letzten Jahr – gegen den Markttrend. Die «Geiz ist geil»-Mentalität spielt den Koreanern in die Hände. Konkurrent Hyundai steigerte den Marktanteil im gleichen Zeitraum von 1,5 auf 1,7 Prozent. Kia stieg von 0,5 auf fast 0,8 Prozent.

Und Opel? Wurde unter dem Diktat der US-Konzernmutter immer mehr zum Sanierungsfall. «Die grössten Fehler bei Opel sind nicht in Rüsselsheim, sondern in Detroit gemacht worden», sagt Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft der Fachhochschule Nürtingen.

Jetzt muss Opel bluten. Weil mit heftigem Widerstand der deutschen Arbeitnehmer zu rechnen ist, schiesst die GME-Spitze Opel sturmreif. Die Produktion der nächsten Fahrzeuggeneration von Vectra und Saab 93 wird nur noch in einem Werk erfolgen. Entweder in Rüsselsheim oder im schwedischen Trollhättan. Ob es danach eine Zukunft für das unterlegene Werk gibt, lassen die Amerikaner bewusst offen. «Wir müssen überlegen, ob wir dort ein anderes Fahrzeug bauen könnten», sagt GM-Konzernchef Rick Wagoner. Für Rüsselsheim wäre eine Werksschliessung der Super-GAU. Der Opel-Sparkurs der vergangenen Jahre schlägt sich in einer überproportional wachsenden Arbeitslosenquote nieder: Diese stieg in Rüsselsheim seit September 2003 von 7,6 auf 8,4 Prozent.

Zwischen den europäischen GM-Standorten läuft deshalb ein hässlicher Wettstreit ums nackte Überleben. Dies ruft auch die Politik auf den Plan. Die schwedische Regierung mischt sich in den Kampf um das Saab-Werk in Trollhättan ein, denn Saab ist der grösste Arbeitgeber in Südschweden. So soll die Entwicklung umweltfreundlicher Autos bis 2007 mit rund 55 Millionen Euro gefördert werden. Existenziell bedroht ist aber auch Bochum. Rechnerisch, so sickerte aus GM-Kreisen durch, steht das Werk im Ruhrpott von allen deutschen Standorten am schlechtesten da. Von 1995 bis Anfang 2004 schrumpfte die Belegschaft von 20 000 auf 9800 Beschäftigte. 400 weitere Jobs stehen 2004 auf der Streichliste.