Ein rotes Band klebt auf den Schaufenstern von Orell Füssli Buchhandlungen. Meterlang, unübersehbar. «50% auf jedes 4. Buch» steht darauf. Es herrscht Ausverkaufsstimmung.
Orell Füssli tritt die Flucht nach vorn an. Rabatte sollen mehr Absatz bringen. Das hat der zweitgrösste Buchhändler der Schweiz auch dringend nötig. Er kämpft mit schrumpfenden Umsätzen und sinkenden Margen. Demnächst schliessen weitere Filialen.
Dabei sah die Lage vor fünf Jahren noch nicht dramatisch aus. Die operative Marge lag immerhin bei 4 Prozent. Doch seither ging es bergab. Letztes Jahr erodierte die Marge auf 1,8 Prozent. Gleichzeitig schwinden die Umsätze: Letztes Jahr nahmen die Verkäufe um 3 Prozent auf noch knapp 120 Millionen Franken ab. Seit Januar beschleunigt sich der Trend. Bis Ende April betrug das Umsatzminus rund 6 Prozent.
Weitere Schliessungen geplant
«2011 entwickeln wir uns analog zum Gesamtmarkt», sagt Fabio Amato, Geschäftsführer der Orell Füssli Buchhandlungs AG. «Die Preissenkungen wirken sich negativ auf unsere Umsätze aus», begründet er. «Wir geben die Preissenkungen der Verlage ausgelöst durch den Währungszerfall beim Euro an die Kunden weiter.» Die Preise seien um durchschnittlich 7 Prozent gesenkt worden. Die attraktiveren Buchpreise nützten allerdings nichts. Aus Renditenüberlegungen schloss der Chef letztes Jahr die Buchhandlungen in Schaffhausen und in Bern an der Spitalgasse. Dieses Jahr hat er die Filiale im Zürcher Niederdorf aufgehoben. «Der stationäre Buchhandel wird in Zukunft schrumpfen», sagt Amato.
Zurzeit führt Orell Füssli noch 10 Buchhandlungen und 7 Restseller, inklusive Neueröffnung eines kleinen Shops am Zürcher Flughafen und im Einkaufszentrum Rosenberg in Winterthur. Doch die Bereinigung im Flächenbuchhandel ist nicht abgeschlossen. Demnächst sollen zwei Restseller in Wil und Kreuzlingen über die Klinge springen. «Wir verbessern unsere Kostenstrukturen und trennen uns von Filialen, die keinen positiven Beitrag zum Gesamtergebnis liefern», erklärt Amato.
In Luzern steht die nächste Standortschliessung an. «Der Mietvertrag läuft Ende Jahr aus und wird nicht erneuert», so Amato. Zwei Jahre lang suchte Orell Füssli vergeblich einen neuen, besseren Standort in der Leuchtenstadt. Auch die Filiale im Berner Einkaufszentrum Westside läuft nicht wie gewünscht. Dort ist der Zürcher Buchhändler mit einem Mietvertrag bis Ende 2013 gebunden. «Dann beurteilen wir die Lage», erklärt Amato. «Westside ist immer noch in der Anlaufphase.» Ein Anlauf, der bald drei Jahre dauert.
Hinter den Schliessungen stecken nicht nur ungünstige Verkaufslagen und der Wechselkurs, sondern auch Managementfehler. Beim Sortiment hatte die Führung nicht immer ein glückliches Händchen. In Luzern beispielsweise eröffnete man eine DVD-Abteilung, um sie mangels Kundeninteresse bald wieder zu verkleinern. Und der Standort im Zürcher Niederdorf war für eine Kunst- und Architekturbuchhandlung samt französischer Abteilung ungeeignet. Amato weist die Vorwürfe zurück. Bei der Standortwahl oder der Sortimentserweiterung sei man im Nachhinein immer klüger. Man habe die Lehren daraus gezogen.
Zunehmende Verlagerung des Buchhandels ins Internet
Im strategisch entscheidenden Punkt aber ist der Chef durchaus selbstkritisch: «Das Thema Flächenexpansion hat zu lange unser Denken dominiert. Wir hätten bereits vor vier, fünf Jahren stärker auf die Karte Internet setzen sollen.» Zwischen 10 bis 15 Prozent verkauft Orell Füssli inzwischen per Internet.
Um der zunehmenden Verlagerung des Buchhandels ins Internet Rechnung zu tragen, hat Orell Füssli nebst books.ch eine zweite Plattform errichtet. Storyworld wird von Deutschland aus geführt und bedient die preissensible Kundschaft. Die gleichen Bücher wie auf books.ch sind dort preisgünstiger zu erwerben. Storyworld sei eine Antwort auf Ex Libris, erklärt Amato die Zweikanalstrategie im Internet. In der Branche überzeugt das Konzept wenig. Manch ein Kunde fühle sich irgendwann für dumm verkauft, wenn er die Preisdifferenz bemerke, lautet die Befürchtung.
Der Vormarsch des elektronischen Buchs, des E-Books, verschärft die ungemütliche Situation für Orell Füssli. Bereits verkauft Amazon in den USA mehr elektronische als Taschenbücher. Branchenberater Mike Shatzkin glaubt, dass in zehn Jahren nur noch ein Viertel aller Bücher in gedruckter Form gelesen wird.
Keine Angst vor E-Books
Bei Orell Füssli bewegen sich die E-Books-Verkäufe noch unter 1 Prozent. Doch vom Durchbruch des elektronischen Buchs ist auch Amato überzeugt. Allerdings sieht er darin keine unmittelbare Gefahr für seine Läden, sondern eine Bereicherung. Seiner Einschätzung nach werden die Kunden in Zukunft ihre E-Books in den Buchhandlungen kaufen, weil sie dort bar bezahlen und die E-Books direkt auf ihre Lesegeräte laden können.
Mehr Umsatz bringen soll künftig auch der Verkauf von Geschenkartikeln, Papeteriewaren, Heimdekors, Spielwaren, DVD und CD. Bis in fünf Jahren soll der Umsatz mit Nichtbüchern auf einen Viertel gesteigert werden. Heute beträgt der Anteil 5 bis 10 Prozent. «Wir versuchen, die Buchhandlung zu retten», sagt Orell-Füssli-Marketingleiter András Németh.
Hoffen durfte Orell Füssli zuletzt auf die Politik. Die Wiedereinführung der Buchpreisbindung hätte der desolaten Situation ein Ende bereitet. «Die Buchpreisbindung kommt vor allem den grossen Buchhandlungen zugute», sagt Yvonne Peyer, Geschäftsführerin der kleinen Basler Buchhandlung Olymp und Hades. «Heute müssen sie aus Konkurrenzgründen den Kunden grosse Rabatte anbieten. Die Abschläge würden dann wegfallen, und der Gewinn stiege an.»
Es wäre das Ende der Ausverkaufsstimmung mit den roten 50-Prozent-Bändern bei Orell Füssli. Noch ist es nicht so weit. Die Buchpreisbindung kommt wahrscheinlich vors Volk. Das Referendumskomitee hat die nötigen Unterschriften beinahe zusammen.