Der ganze Stolz der Panalpina ist eine geleaste Boeing 747-8F. Die Frachtversion des Jumbojets ist das einzige Flugzeug unter der Flagge des Basler Logistikkonzerns. «16 Prozent mehr Kapazität, umweltfreundlicher und 30 Prozent leiser als der Vorgänger», jubelte die Firma bei der Inbetriebnahme im Mai 2012.
Stationiert ist die «Spirit of Panalpina», wie der Jumbo getauft wurde, in Huntsville, Alabama. Allein in der dritten Oktoberwoche absolvierte sie 15 Flüge, die meisten Pingpong zwischen der amerikanischen Basis und London, Luxemburg oder den beiden mexikanischen Städten Guadalajara und Santiago de Querétaro. Das Flugzeug mit der Kennung N850GT zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Pünktlichkeit aus: Nur zwei der 15 Flüge waren verspätet, und auch das nur marginal, der eine um 20, der andere um 25 Minuten.
Die Muttergesellschaft mit Sitz in Basel ist da in deutlich grösseren Turbulenzen. Panalpina, mit 5,3 Milliarden Umsatz die fünftgrösste Logistikanbieterin der Welt, kämpft seit Jahren mit Problemen. Sie verliert massiv Umsatz und Marktanteile (siehe Grafik unten), die Profitabilität beträgt nur ein Drittel der Konkurrenz, der Aktienkurs kommt nicht recht vom Fleck.
«Wir hatten lange viel Geduld. Die ist jetzt aufgebraucht.»
Lars Förberg, Cevian Capital
Schon lange gärt die Unzufriedenheit im Aktionariat. Nun begehren drei der wichtigsten Anteilseigner auf. «Wir hatten lange viel Geduld. Die ist jetzt aufgebraucht», sagt Lars Förberg von Cevian Capital, die 12 Prozent der Anteile hält. Für die Lage von Panalpina verantwortlich macht er den VR-Präsidenten Peter Ulber und dessen Stellvertreter, den Zürcher Juristen und FDP-Nationalrat Beat Walti. Förberg fordert ihre Absetzung (siehe Interview).
Die Gemengelage beim 1935 gegründeten und seit 2005 börsenkotierten Logistiker ist brisant. Hauptaktionär mit 46 Prozent der Anteile ist die Ernst Göhner Stiftung; sie stellt traditionsgemäss den VR-Präsidenten und dessen Stellvertreter. Ilias Läber, nebenher Gemeindeammann in Oberwil-Lieli AG, vertritt im Panalpina-Board Cevian.
Die schwedische Beteiligungsgesellschaft sollte man nicht unterschätzen: Eben hat sie beim Milliardenkonzern Thyssenkrupp die Aufteilung erzwungen. Auch bei ABB, immerhin der grösste Industriekonzern der Schweiz, setzt Cevian CEO Ulrich Spiesshofer unter massiven Druck, operative Fortschritte zu erzielen und durch Abspaltungen Wert zu erzielen. Verantwortlich im ABB-Board dafür: Lars Förberg.
«Wir denken, dass die Stiftung nicht in der Lage ist, die Firma zu leiten.»
David Samra, Artisan International Value Fund
Seine Vorwürfe gegen die Panalpina-Spitze sind massiv: Stiftungsrat Ulber und Stiftungspräsident Walti würden ihre eigenen Interessen über jene der Aktionäre stellen. «Sie schaden so der Firma.» Zwei weitere gewichtige Aktionäre unterstützen Cevian: «Wir denken, dass die Stiftung einen schlechten Job gemacht hat, dass sie nicht in der Lage ist, die Firma zu leiten, und dass die Aktionärsstruktur geändert werden muss», sagt David Samra, Portfolio Manager des Artisan International Value Fund, mit 14,5 Prozent Panalpinas zweitgrösster Aktionär. «Unsere Geduld geht zu Ende, auch weil die Konkurrenz stärker wird», assistiert Edwin Lugo von Franklin Templeton, die 2,4 Prozent halten: «Die Zeit läuft gegen uns.»
Interessenkonflikt
Tatsächlich wirft die Corporate Governance von Panalpina Fragen auf. Dass der gleiche Aktionär sowohl den Präsidenten wie auch dessen Vize stellt, wäre etwa in England undenkbar. Dass der frühere CEO zum VR-Präsidenten wird, ebenfalls – Letzteres ist auch in der Schweiz verpönt. Zumal Peter Ulber in seiner Zeit als CEO von 2013 bis 2017 die Probleme von Panalpina nicht gelöst hat. «Wenn jemand mit so einem Leistungsausweis zum Chairman befördert wird, wie soll das den Rest der Firma motivieren, zu performen?», ätzt Förberg.
Mit den Stimmen der Stiftung, die er vertritt, hat sich Ulber nach Amtsantritt das Präsidentenhonorar fast verdoppelt auf hochgerechnet 854 000 Franken pro Jahr. Er spiele als Chairman «eine erweiterte Rolle bei Übernahmen», so die Begründung im Jahresbericht. Bereits Ulbers Bezüge als CEO geisselte die Aktionärsvertretung Ethos als «exzessiv». Vizepräsident Walti – alles andere als ein Logistikfachmann – wird mit 220 000 Franken für seinen Nebenjob ebenfalls grosszügig entlöhnt.
Dass Ulber seiner amerikanischen Frau wegen in Charleston in South Carolina lebt statt in Basel, obwohl die Firma ein Problemfall ist und der Chairman «eine erweiterte Rolle» spielt, trägt ihm ebenfalls Kritik ein. Kein Wunder, stimmten Cevian und Artisan bei der Generalversammlung gegen die Wiederwahl von Ulber und – ebenso wie Franklin Templeton – gegen den Vergütungsbericht. «Das machen wir sonst fast nie», sagt Förberg. «Das ist unser letztes Mittel.»
Von BILANZ mit den Vorwürfen konfrontiert, zeigten Ulber und Walti ein seltsames, man kann auch sagen: unprofessionelles Kommunikationsgebaren. Peter Ulber zieht eine anfängliche Gesprächszusage zurück und schickt stattdessen ein Statement, reich an Floskeln, arm an Inhalt.
Stiftungspräsident Beat Walti, als Nationalrat sonst nie um ein Wort verlegen, versteckt sich hinter seinem Untergebenen Roger Schmid, dem Geschäftsführer der Stiftung. Doch auch dieser will sich keinem Gespräch stellen und schickt ebenfalls ein Plattitüden-Statement. «Derartiges Verhalten ist typisch für die Stiftungsvertreter», sagt einer, der sie seit Jahren kennt.
IT-Probleme
Seit dem Börsengang 2005 sorgten die Probleme von Panalpina immer wieder für Schlagzeilen. Systematische Korruption in Nigeria führte zu einer Busse von 80 Millionen Dollar durch die US-Behörden. Eine Akquisition in Norwegen unter der damaligen Chefin Monika Ribar (heute SBB-Präsidentin) musste für 30 Millionen Franken abgeschrieben werden. Und die Einführung eines SAP-Systems, das die völlig veraltete Panalpina-IT ablösen soll, liegt gleich mehrere Jahre hinter dem Zeitplan und massiv über Budget. «Das sind keine Unfälle. Das ist systemisch, was da schiefläuft», sagt einer, der lang in der Firma gearbeitet hat.
Kritik ruft auch die Matrixstruktur in der Führungsspitze hervor, die Ulber einst einführte und die von vielen als überdimensioniert angesehen wird. Panalpina wolle keine Kosten senken, um keine Talente zu verlieren, so CEO Stefan Karlen nach den Halbjahreszahlen. Stattdessen wolle man die Organisation behalten in der Hoffnung, dass der Umsatz eines Tages in sie hineinwachse.
Das Zurückschrecken vor harten Massnahmen wertet Förberg als Zeichen einer fehlenden Performancekultur: «Das ist der typische Fall einer schlecht geführten Firma, von denen wir in den letzten 30 Jahren viele gesehen haben», sagt er. «Man muss die Struktur haben für das, was die Kunden hergeben, nicht für das, was man sich erhofft.»
Als Resultat hinkt Panalpina kostenmässig der Konkurrenz hinterher. 271 Dollar kostet es die Firma, einen Container abzufertigen. Bei Kühne + Nagel sind es nur 212 Dollar. Und wegen des fortschreitenden Marktanteilverlustes wird es für Panalpina zunehmend schwieriger, durch Synergieeffekte diese Lücke wieder zu schliessen.
«Nicht mehr sanierbar»
Dass der Aktienkurs angesichts dessen nicht noch dramatischer sinkt, liegt an zwei Umständen: Zum einen wird der Titel – erstaunlich für eine Firma dieser Grösse – kaum gehandelt. Der Grund: 93,5 Prozent des Aktienkapitals sind in Händen institutioneller Anleger, die Panalpina als langfristiges Investment sehen.
Zum anderen ist die Dividendenpolitik überaus grosszügig: Der Logistikkonzern schüttet mehr aus, als er verdient. Letztes Jahr überstiegen die Dividenden den Gewinn um 51 Prozent, 2016 gar um 64 Prozent, in den Jahren 2012 und 2013 war es noch dramatischer. Die Grosszügigkeit beschlossen hat die Stiftung, und sie ist auch der Hauptprofiteur: Allein letztes Jahr kassierte sie 40 Millionen Franken Dividende. Doch die Substanz der Panalpina wird so aufgezehrt. Die Eigenkapitalquote ist seit 2008 von 44 auf 27 Prozent gefallen.
Rückläufige Marktanteile, zu niedrige Margen, zu wenig Skaleneffekte, ineffiziente Strukturen – als «nicht mehr sanierbar» bezeichnet ein Insider den aktuellen Zustand von Panalpina. Die ausländischen Grossaktionäre wollen daher eine Radikallösung: Wert soll durch eine Übernahme oder Fusion geschaffen werden. Der Zeitpunkt ist günstig, denn der Markt konsolidiert sich gerade.
An Planspielen mangelt es nicht: «Ein Zusammengehen von Kühne + Nagel mit Panalpina würde strategisch Sinn machen», urteilt die Berenberg Bank in einer ausführlichen Analyse und sieht ein Synergiepotenzial zwischen 160 und über 300 Millionen Franken. Ein Zusammenschluss mit dem Nachbarn aus Schindellegi SZ würde den weltweit grössten Luft- und Seefrachtanbieter und Speditionsbetrieb schaffen.
Bei Kühne + Nagel ist man dafür offen: «Falls sich die Göhner Stiftung an uns wenden würde für einen möglichen Tausch eines Mehrheitspaketes, könnte man das prüfen», heisst es aus Kreisen des VR. Doch auch für einen der grossen chinesischen oder japanischen Spediteure wäre Panalpina ein interessanter Partner, sagt David Samra von Artisan Partners: «Ihr Wert liegt in ihrem globalen Netzwerk.»
«Panalpina würde perfekt zu DSV passen»
Edwin Lugo von Franklin Templeton bringt eine weitere Variante ins Spiel: «Panalpina würde perfekt zu DSV passen», sagt er. Denn es ist in der Branche ein offenes Geheimnis, dass der dänische Milliardenkonzern bereits mehrmals angeklopft hat beim Verwaltungsrat der Panalpina. Nachdem man jedoch bei Ulber wiederholt kein Gehör gefunden hatte, stoppte man die Avancen und versucht stattdessen, den Schweizer Logistiker Ceva zu kaufen (siehe Box links). Hätte das unfreundliche Übernahmeangebot Erfolg gehabt, wäre die Marktlage für Panalpina noch ungemütlicher geworden.
Ulber und Walti hoffen unterdessen auf einen operativen Turnaround: Mit Einführung des neuen IT-Systems will man grössere Volumen abfertigen, so zu Synergieeffekten kommen und die Margen steigern. Es ist mit anderen Worten jene Strategie, die seit Jahren nicht funktioniert. Und sie sehen ihre Firma als Konsolidatorin, nicht als zu konsolidierende. Dieses und letztes Jahr übernahm Panalpina sechs Logistiker von Kanada bis Südafrika – allesamt Klein- und Kleinstfirmen ohne strategischen Impact. «Ich bin zurzeit sehr zurückhaltend, irgendwelche Dinge zu tun, die den Eindruck erwecken, die Göhner Stiftung bringe Panalpina auf den Markt», sagt ein Mitglied des Stiftungsrates. «Das wird auch so nicht passieren.»
«Wir haben eine längerfristigere Perspektive als der eine oder andere Aktionär.»
Ein Mitglied des Stiftungsrates
Dabei schliesst der Stiftungszweck eine Übernahme oder einen Verkauf von Panalpina keineswegs aus: «Das Stiftungsvermögen ist nach unternehmerischen Gesichtspunkten und mit unternehmerischer Initiative zu verwalten und fortzuentwickeln unter Übernahme gewisser damit verbundener Risiken», heisst es lediglich in den Satzungen. Würde ein Verkauf also tatsächlich Wert schaffen, wäre dies auch im Interesse der Stiftung. «Wir haben eine längerfristigere Perspektive als der eine oder andere Aktionär», widerspricht ein Mitglied des Stiftungsrates. Nur: Cevian ist seit acht Jahren investiert, Artisan Partners seit zehn, Franklin Templeton seit fünf. Kurzfristigkeit kann man ihnen nicht vorwerfen.
«Das Interesse des Präsidenten und seines Stellvertreters scheint hauptsächlich darin zu liegen, ihren persönlichen Einfluss zu sichern», kontert denn auch Förberg. Ein Insider vermutet wiederum: «Die Stiftungsvertreter wollen nicht verkaufen, weil sie den Erlös von knapp 1,5 Milliarden Franken gewinnbringend anlegen müssten. Ausserdem würden dann die Begehrlichkeiten steigen.» Denn Stiftungszweck ist auch die Förderung von kulturellen, wissenschaftlichen und sozialen Institutionen, von Natur-, Heimat- und Tierschutz sowie zahlreicher anderer guter Zwecke.
Offener Showdown
Innerhalb des Verwaltungsrats schwelt der Konflikt um die Zukunft von Panalpina schon lange. Das Verhältnis von Ulber und Walti zu Cevian-Vertreter Ilias Läber gilt als angespannt. Logistik-Experte Chris Muntwyler hat das Gremium diesen Frühling nach acht Jahren verlassen. Er soll gegangen sein, weil er mit seinen Vorschlägen beim Präsidium wiederholt kein Gehör fand (Muntwyler selber will sich dazu nicht äussern). Jetzt, mit der Kampfansage der drei Grossaktionäre, kommt es zum offenen Showdown mit der Stiftung.
In den nächsten Monaten dürfte sich der Verwaltungsrat nach ähnlich ruhigen und vorhersehbaren Verhältnissen sehnen, wie sie die Piloten der «Spirit of Panalpina» erleben.