Visionär, Ideengeber, Rebell, Anführer – so beschreibt sich Patrick Liotard-Vogt, kurz PLV genannt. Nichts, so scheint es, vermag den 27-jährigen Online-Entrepreneur aus dem Gleichgewicht zu bringen. Kracht es in einer seiner Internetfirmen, brechen Werbeumsätze weg oder kommt ein Start-up partout nicht zum Fliegen, blickt er gleichwohl so siegesgewiss in die Kameras, als wäre er Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Google-Chef Larry Page. Oder beide zusammen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Am liebsten posiert der Mann aus Stäfa ZH im Brioni auf der Gangway eines Businessjets, mit Champagnerglas und einer Miss auf der getäferten Yacht in der Ägäis, in Denkerpose am Cheminée, am Klavier oder beim Flirt mit den Pussycat Dolls. Die Botschaft: Das Leben ist eine Party, und ich, der potente Business Angel, bin mittendrin.

Liotard-Vogt ist vielleicht der bekannteste Internetinvestor der Schweiz, zweifellos ist er der schillerndste. Ob er aber auch «einer der erfolgreichsten Jungunternehmer des Landes» ist, wie die deutsche «FAZ» schrieb, muss sich erst weisen. Wer mit Branchenkennern redet und Firmenberichte analysiert, kommt zu dieser Relation: Je schriller die Schlagzeilen, desto bescheidener die Performance. Und die Schlagzeilen zu Liotard-Vogt sind gross. Mal ist er der «Swiss Mogul» («Los Angeles Times»), dann der «Goldjunge» (Schweizer Fernsehen), «a rising star» («Faces») und zweifellos «äusserst erfolgreich» («SonntagsZeitung»); der sonst stets wirtschaftskritische «Tages-Anzeiger» fand gar heraus, PLV sei daran, «im Stil eines Warren Buffett zu investieren».

Heisse Luft. Bei so viel Begeisterung geraten schon mal Zahlen durcheinander. Das Investment The World’s Finest Clubs (WFC) verkauft eine VIP-Karte, die Einlass in rund 100 Nightclubs weltweit gewährt, vom Amber Club in Zürich bis zum Z-Top im russischen Nischni Nowgorod. Offenbar ein Bombengeschäft für PLV, den Erfinder. Eine Gratiszeitung rechnete vor, WFC habe 3000 Mitglieder mit einer VIP-Karte, die 3000 Franken koste. Das spüle – man multipliziere – neun Millionen Franken in seine Kasse.

Die Fakten sind etwas bescheidener: WFC hat 2500 Mitglieder, der offizielle Kartenpreis liegt bei 2400 Franken, doch den zahlen nur die wenigsten. Unterm Strich betragen die Einnahmen nicht neun, sondern knapp drei Millionen, berichten Insider. Selbst PLV weiss, dass die genannten neun Millionen Schwachsinn sind. Allzu akkurat sollen die Zahlen aber auch nicht sein, schliesslich ist heisse Luft prima fürs Geschäft. Seine Erfahrung: «Publizität hat eine unglaubliche Wirkung – dann kommen Leute zu uns und wollen cash eine Memberkarte kaufen.» Was will man mehr?

Liotard-Vogt ist ein begnadeter Verkäufer, charmant, eloquent. Im Merger-and-Acquisition-Slang («Wir brauchen neue Revenue Streams») versteht er es perfekt, Begeisterung für Investments zu entfachen. Sein Beziehungsnetz ist dank seinen Social-Media-Aktivitäten beeindruckend, zudem ist er mit einem millionenschweren Nestlé-Paket im Rücken bei Privatbanken wohlgelitten.

Derzeit ist PLV in 30 bis 40 Firmen engagiert, so genau weiss er es selber nicht. In einigen ist er Lead Investor, in anderen in der Minderheit. Neben The World’s Finest Clubs gehören ihm das soziale Netzwerk A Small World (ASW), ein paar Immobilien, Beteiliungen an Start-ups wie Sandbox oder Poken (siehe «Nicht ohne mich» unter 'Downloads'). Auch mit Businessjet-Flügen und Desinfektionsmitteln hat er schon geschäftet. Selbst die Kreditkartenfirma Diners Club soll ihm laut Medienberichten gehören. Ein Traum würde scheinbar wahr: «Ich habe schon als Junge davon geträumt, einmal ein Kreditkarten-Unternehmen zu besitzen.» Tatsächlich hält PLV 18 Prozent an Diners Club Deutschland und Schweiz, Mehrheitsaktionär ist ein anderer, Anthony Helbling, doch der überlässt dem Juniorpartner den Auftritt. Insgesamt dürfte der rothaarige Goldküstenspross global mit zehn Millionen Franken investiert sein.

Im Gespräch gibt er zu, dass er den Zeit- und Kapitalbedarf der Jungfirmen schwer unterschätzt habe. Speziell die technologiegetriebenen Start-ups seien «brain- and money-consuming». Allein in den letzten beiden Monaten habe er knapp eine Million Franken nachschiessen müssen. Das ist auch für ihn kein Pappenstiel, zumal es bis zum Verkauf dividendenfreie Durststrecken durchzustehen gilt. «Ein abartiger Stress, aber das muss man aushalten.»

Mittlerweile hat er realisiert, dass er sich nicht auf 40, sondern auf höchstens vier Investments fokussieren muss. Von den Beteiligungen unter 100 000 Franken will er sich in den nächsten Monaten verabschieden. PLV im Rückwärtsgang – ein ungewohntes Bild für einen wie ihn, der 10 000 Geschäftsideen wälzt, angeblich mit vier Stunden Schlaf auskommt und im Porsche Cayenne Turbo oder im Flieger – 2011 hat er weit über 500 000 Flugmeilen gesammelt – durchs Leben düst.

Der finanzielle Back-up stammt übrigens aus der Familie väterlicherseits. Urgrossvater Alfred Liotard-Vogt war Generaldirektor bei Nestlé, Grossvater Pierre CEO, später Chairman und als solcher Vorgänger des legendären Helmut Maucher. Grossvater Pierre war es, der die sagenhafte L’Oréal-Beteiligung Nestlés aufbaute. Damals, in den sechziger und siebziger Jahren, kam beim französisch-schweizerischen Clan ein schönes Nestlé-Paket zusammen, dessen Wert sich seither wohl verdreissigfacht hat.

Auch Enkel Patrick, der eigentlich Patrique heisst, profitiert vom Familiensilber. Mit 17 Jahren erhielt er 40 000 Franken als Startkapital, mit 21 Jahren sollen Nestlé-Papiere im Wert von gegen zehn Millionen dazugekommen sein. PLV verbrachte ein paar Semester im Nobel-Gymnasium Le Rosey in Rolle VD. Aus jener Zeit stammt sein erstes Engagement, die Genfer Event-Agentur Y&Y. In die Gänge kam die Firma des Partylöwen aber nicht, 2004 wurde sie mangels Aktiven («défaut d’actif») liquidiert. Sein erstes Geld verdiente er schliesslich als Aktionär der Websites Students.ch und Usgang.ch, die von Axel Springer Schweiz – Herausgeberin der BILANZ – gekauft wurden. Das war 2007/08. PLV zählte 23 Jahre – und war bereit fürs nächste Abenteuer.

Dieses folgte im Herbst 2009 mit der New Yorker Firma A Small World, einer Internetplattform für gehobene Einkommensklassen. Filmmogul Harvey Weinstein («Pulp Fiction») suchte einen Abnehmer fürs chronisch defizitäre Objekt. Für zehn Millionen Franken schlugen Liotard-Vogt und eine Handvoll «Friends of Patrick» zu. PLV war happy und meinte zum Miramax-Gründer Weinstein, er habe schliesslich mehr Geld als dieser.

Kaum war die Tinte unter den Verträgen trocken, begann der Stress. Das Management: unfähig, die Umsatzprognosen: ein Witz, das Büro: zu teuer, die Liquidität: unterirdisch, das Personal: unterbeschäftigt. Nach nur vier Wochen unter neuer Ägide war Ebbe in der Kasse. Kapital musste her. Eine Finanzierungsrunde so kurz nach der Übernahme hinterliess «ein sehr ungutes Gefühl» (PLV). Auf Deutsch: Die Schweizer hatten sich über den Tisch ziehen lassen.

Schwierig war auch das Marktumfeld: Facebooks rasanter Aufstieg mischte die Social-Media-Welt gewaltig auf und degradierte Websites wie Myspace zu Statisten. Auch Nischenplayer A Small World geriet unter die Räder. Umsätze und Page Impressions brachen bedrohlich ein. Um das Investment über Wasser zu halten, musste der Vielbeschäftigte, der sich primär in der Rolle des VR-Präsidenten und Chefstrategen sah, nun selber anpacken. Über ein Jahr fungierte er als Chairman und als CEO. Im Wochentakt pendelte er zwischen Stäfa (Villa der Eltern), New York (Hauptsitz von ASW) und London (Verkaufsabteilung von ASW). 20-Stunden-Arbeitstage waren die Norm. Doch für diesen «tough shit» habe sich kein Journalist interessiert, klagt PLV. «Man sieht nur die schönen Frauen und die Partys – doch die Knochenarbeit sieht man nicht.»

Immerhin gelang es ihm, die Kosten um 30 Prozent zu senken. Heute scheint die Community-Plattform mit 740 000 Nutzern über den Berg zu sein. 2011 dürfte der Verlust noch 500 000 Franken betragen. Der ASW-Präsident scheint zufrieden: «Die Pfeile zeigen nach oben.»

Goldener Fallschirm. Nach dem nervenaufreibenden Kraftakt macht sich im Aktionariat Ungeduld breit. Denn der Druck von Facebook nahm zwischenzeitlich weiter zu, und mit Google+ kündigt sich der nächste mächtige Konkurrent an. Klar, A Small World ist attraktiv positioniert, doch die Sanierung hat Zeit gekostet, was unschwer an der veralteten Technik ablesbar ist. Mobile Small-World-Apps für Smartphones oder das iPad existieren trotz Ankündigungen noch immer nicht, auch fehlen Web-2.0-Features. Ein Nachrüsten aber wird weiteres Kapital benötigen. Ein Investor-Update hält fest: «A Small World braucht Cash, um negative Effekte auf den Business-Plan zu kompensieren.»

So ist wohl der Plan gereift, einen Käufer für ASW, «den Weltmarktführer unter den privaten Online-Communities» (Eigenwerbung), zu suchen. Im «Plan für 2011» ist fürs zweite Halbjahr nachzulesen: «Exit-Strategie ausarbeiten.» Liotard-Vogt bestätigt: «Die momentane Lage im M&A-Umfeld der Social Media ist für einen Verkauf günstig.»

Das Angebot hat durchaus Charme: Eine Privatbank käme via ASW an potenzielle Kunden mit interessantem Profil: jung, vermögend, hedonistisch. Liotard-Vogt ist überzeugt, mit dem Verkauf 40 bis 50 Millionen zu lösen – das Zehnfache des Jahresumsatzes. In der Branche kursiert derweil eine andere Preisvorstellung, eine, die wohl näher bei der Realität liegt: 25 Millionen. Selbst dieser Preis ist hoch, doch er reflektiert die Goldgräberstimmung, die weiter das Social-Media-Universum befeuert.

Bloss: Ein Ausstieg droht den eigenen grossen Schlachtplan zu torpedieren. Bis dato war die Konvergenz von Online und Offline das Mantra des Visionärs aus Stäfa: A Small World liefert die zahlungskräftigen Kunden, The World’s Finest Clubs die Angebote aus dem Jetset, Diners Club das Zahlsystem. Wie hatte Patrick Liotard-Vogt kürzlich noch geschwärmt? «Das alles ergibt sensationelle Synergien.»