Er trifft ein Unternehmen in Auflösung an, eine verunsicherte Truppe, ein leeres Pult – und einen Haufen unbezahlter Rechnungen. Als Paul Eisenring im Frühling 1950 zum ersten Mal die Redaktionsräume der «Handelszeitung» am Bleicherweg 18 in Zürich betritt, halten ein Redaktor, ein Verwalter und zwei Sekretärinnen die Stellung. Ein Redaktor sitzt in Paris, ein anderer ist in Wien gestrandet und hat nicht genug Geld für die Rückfahrt. Das Aktienkapital ist aufgebraucht, die Gesellschaft überschuldet. Seit zwei Jahren hat keine Generalversammlung mehr stattgefunden. 88 Jahre nach ihrer Gründung steht die «Handelszeitung» vor dem Aus.
Der 26-jährige Eisenring soll sie retten. Vor vier Jahren hat er seinen Doktor in Jurisprudenz gemacht, seither arbeitet er im väterlichen Textilbetrieb in Wil. Nach dem Krieg hat Paul Eisenring neben seinem Studium in Bern für den Zürcher «Tages- Anzeiger» und die «National-Zeitung» die Berichterstattung aus dem Ständerat verfasst. Viel Erfahrung bringt er nicht mit, um die Leitung der Redaktion zu übernehmen. Aber er kann schreiben, zupacken – und rechnen.
Engagiert hat ihn der nachmalige Nationalrat Robert Eibel, Delegierter des Verwaltungsrats der «Handelszeitung». Im Zweiten Weltkrieg war er Chef des persönlichen Stabssekretariats von General Henri Guisan. Seit 1947 führt er ein eigenes Büro für Öffentlichkeitsarbeit. Er ist Gründer der «Aktion für freie Meinungsbildung», die den «Trumpf-Buur» herausgibt und den Etatismus bekämpft. Der junge Eisenring ist ihm aufgefallen. Als Student hat er 1947 nämlich das Komitee angeführt gegen den Bundesbeschluss über eine Revision der Wirtschaftsartikel in der Bundesverfassung. Nach dem Krieg sollten damit zahlreiche Staatsinterventionen in der Verfassung verankert werden, die als Folge der Weltwirtschaftskrise populär wurden. Sie bezwecken unter anderem die «Erhaltung wichtiger, in ihrer Existenz gefährdeter Wirtschaftszweige oder Berufe».
Der Student Eisenring ist ein überzeugter Gegner dieser Interventionen und organisiert die Opposition. «Ich komme aus der Textilindustrie, da mussten wir uns immer nach der Decke strecken», sagt er, «wir sind extrem liberal, wir wollen keine Staatskrücken.» Eisenring trommelt für den Abstimmungskampf 240'000 Franken zusammen – «ein Haufen Geld». Aber er verliert die Abstimmung knapp.
Doch das Engagement kommt Eisenring bei der «Handelszeitung» zugute. Er überzeugt den skeptischen Verwaltungsrat, dass eine Sanierung der Gesellschaft unausweichlich ist. «Das Papier der unbezahlten Rechnungen ist das einzige Aktivum», sagt er. Die Gesellschaft ist überschuldet, das Aktienkapital von 300'000 Franken muss vollständig abgeschrieben werden. Doch Eisenring weiss eine Lösung: Er will das neue Aktienkapital gleich selber auftreiben. Die Geldgeber, die dafür in Frage kommen, kennt er alle schon. Es sind die gleichen, die sein Komitee gegen die Wirtschaftsartikel finanziert haben.
Sanieren und Sparen
Eisenring fährt mit dem Zug nach Basel zu Ciba, Geigy und Sandoz, nach Baden zu Brown Boveri, nach Rupperswil zur Zuckermühle und zum Industriellen Max Schmidheiny. Etwa ein Dutzend Firmen schiessen das neue Aktienkapital in Höhe von 120'000 Franken ein, keine mehr als 10'000 Franken, «damit niemand zu viel Einfluss hat und die ‹Handelszeitung› nicht in Abhängigkeit gerät», sagt Eisenring. Der Kapitalschnitt reduziert den Wert der alten Aktien auf 1 Franken, der bisherige Mehrheitsaktionär Emil Bührle mit seiner Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle verliert die Mehrheit.
Im Oktober 1950 übernimmt Paul Eisenring die Leitung der «Handelszeitung». Mit der Kapitalsanierung ist die Zeitung noch längst nicht über den Berg. «Es war ein Wagnis, wir hatten nie Geld», erinnert er sich, «wir konnten uns nichts leisten, aber ich weiss, wie man spart.» Wenn nicht genug Geld da ist, um die Löhne zu zahlen, bezahlt sie Eisenring aus dem eigenen Sack. Er selber bezieht ein Honorar von 1000 Franken pro Monat – inklusive Spesen. Als ein Redaktor heiratet und reklamiert, mit seinen 800 Franken Monatslohn keine Familie ernähren zu können, löst Eisenring das Problem auf unkonventionelle Weise: «Wir tauschen: Nehmen Sie meine 1000 Franken, ich nehme Ihre 800.» Die Redaktion arbeitet nicht nur die übliche 6- Tage-Woche, sondern oft auch sonntags. «Das war meine erste Enttäuschung: Nach der Heirat kam der Redaktor am Sonntag nicht mehr zur Arbeit.»
Das Wohlergehen seiner Mitarbeiter ist ihm wichtig. «In schlechten Zeiten muss man zusammenstehen», sagt Eisenring. Zwei Lehrtöchter haben im ersten Jahr 80, im zweiten 100 und im dritten 120 Franken Lohn. Er eröffnet den beiden ein Sparkonto und legt aus dem eigenen Sack je den gleichen Betrag drauf. Später richtet er für das Personal eine Pensionskasse ein.
Warum tut er das alles, ohne kapitalmässige Beteiligung, ohne Chefgehalt? Paul Eisenring ist ein Gesinnungstäter. «Ich habe als Berichterstatter im Ständerat gesehen, wie das im Bundeshaus zu und her geht. Ich bin wütend geworden, wie da mit dem Geld umgegangen wird. Das hat mich nicht mehr losgelassen.» Sein Bruder übernimmt den väterlichen Textilbetrieb, «und ich bin im Journalismus geblieben».
Kämpfer gegen Subventionen
Paul Eisenring setzt die Tradition des urliberalen Gründers der «Handelszeitung» fort. Wie Friedrich von Taur kämpft er mit allen journalistischen Mitteln für Freiheit und gegen Etatismus, Bürokratie und Verschwendung. Und wie sein Vorgänger bewahrt er die Unabhängigkeit seines Blattes, auch wenn es weh tut. Seit Jahren unterstützt die Wirtschaftsförderung (WF) die Zeitung mit 50'000 Franken. Die WF ist das PR-Organ der Wirtschaftsverbände (im Jahr 2000 wird sie mit dem Vorort zum Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fusioniert). Ihre 50'000 Franken sind für die finanziell schwer angeschlagene Zeitung eigentlich unverzichtbar – aber für den liberalen Eisenring unannehmbar. «Wir können doch nicht gegen Subventionen und Staatsinterventionismus schreiben und uns selber aushalten lassen wie ein kleines Hürchen», erklärt er dem konsternierten Verwaltungsrat.
Seine Kompromisslosigkeit bekommt auch die Jean Frey AG zu spüren, die die «Handelszeitung» seit 1945 druckt. Eines Tages entdeckt er, dass auf dem gleichen Arbeitstisch, auf dem das Blei der «Handelszeitung » umbrochen wird, Plakate für die kommunistische Partei der Arbeit vorbereitet werden. Das nervt den Antikommunisten, doch sein Protest kommt beim Drucker nicht gut an: Es gehe ihn nichts an, für wen er sonst noch arbeite. Am gleichen Tag nimmt Eisenring Kontakt auf mit der Druckerei Zollikofer – fortan wird die Zeitung in St. Gallen gedruckt. Trotz den zusätzlichen Umtrieben kann die Zeitung bald eine Dividende zahlen.
1963 wird Eisenring Delegierter des Verwaltungsrats der «Handelszeitung», 1968 Präsident. 1973 gibt er die Chefredaktion ab. Paul Eisenring ist aber nicht nur Unternehmer und Journalist, sondern immer auch Politiker. Ab 1963 vertritt er die Zürcher CVP im Nationalrat. Er analysiert treffsicher die Verirrungen der Schweizer Agrarpolitik. Er tritt konsequent für die Abschaffung der Staatsinterventionen ein, die den Krieg überlebt haben. Die Interessenverbände würden nur allzu gerne mit dem Grundsatz der «Existenzgefährdung» ihrer Branche argumentieren und staatliche Unterstützung fordern, schreibt er. «Sind wir, die wir der freien Marktwirtschaft das Wort reden, weil sie allein geeignet ist, den Volkswohlstand zu heben, denn nicht alle existenzgefährdet?» Er beantwortet die Frage gleich selbst: «Wo Konkurrenz ist, muss sich natürlich jeder anstrengen, sonst wird er ausgeschieden. Deshalb ist er dem Geiste unserer Verfassung gemäss aber nicht als existenzgefährdet zu betrachten, auf dass er staatlichen Schutz erhalten soll.»
Bissige Kommentare als Markenzeichen
Eisenring warnt, die Schutzmassnahmen für gewisse Industrien und die Landwirtschaft würden diese nur träge machen. Und er bekommt recht: Das von ihm als Präsident des Aktionskomitees erfolglos bekämpfte Uhrenstatut lässt die vor Konkurrenz geschützte Uhrenindustrie in den 70er-Jahren auf Grund laufen. Sie muss von Nicolas Hayek saniert werden.
Eisenring vertritt konsequent klare Positionen: Im Geschäft, in der Politik, im Journalismus. Für ihn muss ein Journalist eine Meinung vertreten, «ohne die Gewissheit zu haben, ob seine Meinung denn auch wirklich die richtige ist», wie er 1986 in der Sondernummer zum 125-jährigen Jubiläum der «Handelszeitung» schreibt. Eisenring ist bekannt für seine bissigen Kommentare, im Nationalrat wie in der Zeitung. Auch darin gleicht er seinem Vorgänger Friedrich von Taur.
1991 tritt das politische Schwergewicht nach 28 Jahren als amtsältester Nationalrat zurück und macht sich an die Nachfolgelösung für die «Handelszeitung». Im Laufe der Zeit haben sich die meisten Aktionäre von ihren Aktien getrennt, weil betriebsfremde Beteiligungen für die Unternehmen nicht mehr zeitgemäss sind. Einen Teil der Aktien hat Eisenring aufgekauft, später hat er seinen Verlagsleiter Ralph Büchi und den Chefredaktor Kurt Speck mitbeteiligt. Anfang 1999 verkaufen sie das Unternehmen an den Axel Springer Verlag, um der «Handelszeitung» und dem neu aufgebauten Fachzeitschriftenverlag die besten Voraussetzungen für eine blühende Zukunft zu geben.
Emotional aber bleibt Paul Eisenring mit dem Blatt ewig verbunden: «Die ‹Handelszeitung› ist halt schon ein bisschen mein Kind.»