BILANZ: Mister Krugman, im Frühling hat die amerikanische Regierung ein Konjunkturpaket über 600 Milliarden Dollar aufgelegt. Wirkt es?
Paul Krugman: Ja, es löste Wachstum aus. Ich bin ein Anhänger des traditionellen keynesianischen Denkens. Kurzfristige Staatsausgaben werden kurzfristig Wachstum und Jobs produzieren.
In Zahlen?
Erste Effekte sind im dritten Quartal bemerkbar, im vierten werden sie noch stärker sein. Alles, was zu einer steigenden Nachfrage führt, wird die Wirtschaft in die Gänge bringen. Bis dato sind erst zwei Milliarden Dollar, die für Infrastrukturprojekte reserviert sind, ausgegeben. Das sind gemäss Goldman Sachs weniger als zwei Prozent der für Infrastrukturprojekte reservierten Gelder.
Und wie wird die Konjunktur längerfristig aussehen?
Ende Jahr werden wir zwei Prozent Wachstum haben, dieses wird sich in den nächsten Quartalen fortsetzen, dank Stimuluspaket. Aber ich zweifle, ob die Investments genügen, um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Dazu müsste das Stimuluspaket noch grösser sein. Machen wir uns nichts vor: Die Regierung schulterte mit dem Paket eine Mehrbelastung, die durch Zusatzeinnahmen zu decken ist.
Höhere Steuern sind Zusatzkosten für die Wirtschaft.
Richtig, nur: Verglichen mit den gigantischen Kosten aus dem Gesundheitswesen ist das fast schon bescheiden.
Gabs zum Stimuluspaket Alternativen?
Nein. Ich kann Ihnen keine Analyse bieten, die bewiese, dass wir mittel- oder langfristig besser unterwegs wären.
Und das Inflationsrisiko?
Eine Möglichkeit? Ja. Wahrscheinlich? Nein. Es wird nicht schwierig sein, die Teuerung zu kontrollieren. Unter den aktuellen Umständen die monetäre Basis massiv zu vergrössern, führt nicht zwangsläufig zu Inflation. Immerhin druckt das Fed nicht auf Teufel komm raus Noten, vielmehr leiht die Notenbank den Banken grosse Summen aus. Wenn die Banken einander wieder Geld ausleihen, wird das Fed das ausgeliehene Geld zurückfordern. Man hat in bescheidenem Rahmen ja bereits damit angefangen.
Wird der Aktienmarkt auf das Wachstum der nächsten Monate reagieren?
Das weiss nur Gott.
Wie werden künftige Steuererhöhungen auf den Konsum wirken?
Niemand will schon bald die Steuern erhöhen. Das wäre in einer Rezession kein guter Plan. Ich rede von Steuererhöhungen in ein paar Jahren, wenn wir wieder wachsen und der Privatsektor Belastungen gut verkraften kann.
Die Finanzindustrie soll an die Kandare genommen werden. Richtig?
Was die Krise erst ermöglichte, war die Tatsache, dass das Bankensystem weit über das traditionelle Banking ausgedehnt wurde, das durch ein Sicherheitsnetz aus den dreissiger Jahren abgedeckt wird. Ein Beispiel: Das Ausleihsystem wurde unterminiert durch Bankaktivitäten, die nicht durch den Regulator abgedeckt waren. Deshalb müssen wir die alte Bankenregulierung auf weitere Institutionen und Aktivitäten ausdehnen. Ideal wäre wohl, alle diese Institute den Kapitalerfordernissen einer Bank zu unterstellen.
Sie reden von Hedge Funds.
Richtig, Hedge Funds sollten denselben regulatorischen Regeln unterstellt werden wie andere Finanzinstitute.
Sind die jüngsten Gewinnanstiege ein Zeichen der Erholung, oder reflektieren sie bloss das Eingreifen des Staates?
Ein Grossteil der Profite geht auf die Kappe der Steuerzahler. Selbst wenn die Regierung kaum Verluste aus dem Troubled Asset Relief Program (TARP) hinnehmen muss, mit dem man Finanzinstituten finanziell unter die Arme griff, übernimmt sie doch eine Menge Verbindlichkeiten. Faktisch haben wir eine massive Quersubventionierung, die sich in den aktuellen Gewinnen widerspiegelt. Aber klar: Wenn das Haus brennt, fragt keiner, ob man löschen soll oder nicht. Man tut es einfach, in der Hoffnung, es würden nicht noch andere Häuser in Brand geraten, das war auch in den dreissiger Jahren so. Damals hat die Regierung regulatorisch reagiert, so wird es auch diesmal sein. Glauben Sie mir: Wir haben dem Bankensektor in den letzten Monaten grosse Geschenke gemacht, im Gegenzug sollten wir etwas dafür zurückbekommen. Darauf haben wir einen moralischen Anspruch. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir nie mehr eine derartige Kernschmelze erleben.
Wollen Sie Banken verstaatlichen?
Ich schlug vor, die schwächsten Banken zu nationalisieren. Um ihre Bilanzen zu säubern, sie zu rekapitalisieren und um die Steuerzahler am Profit partizipieren zu lassen, wenn sie Gewinn schreiben.
Können wir uns einen Bankencrash wie bei Lehman Brothers nochmals leisten?
Nein. Deshalb müssen wir den Finanzsektor so regulieren, dass dieses Risiko minimiert wird. Doch bevor die Regeln stehen und durchgesetzt sind, darf kein Fall Lehman mehr passieren. Ich war geschockt, als die Regierung die Bank fallen liess.
Welches sind die grössten Gefahren
für die US-Wirtschaft und die globale Wirtschaft in den nächsten Monaten?
Für mich gibts drei Risiken. Die Grossbanken scheinen stabilisiert, aber es könnte eine zweite Welle geben, die kleinere Banken erfasst. Diese könnten in Mitleidenschaft gezogen werden durch das Einbrechen des gewerblichen Immobiliensektors, selbst der private Hypothekarmakt könnte durch das Refinanzieren von Althypotheken Probleme kriegen.
Zweitens?
Die Wirtschaft könnte wieder in die Rezession abgleiten, wenn der Aufschwung nicht nachhaltig wird. Diese Gefahr sehe ich, wenn die Arbeitslosigkeit stark ansteigt und der Konsum einbricht, weil die Leute zu wenig verfügbares Einkommen haben. Basierend darauf sehe ich eine dritte Gefahr: japanische Verhältnisse.
Eine Rezession über ein Jahrzehnt?
Eine Deflation. Dann müssten wir mit einem zweiten Stimuluspaket von 400 bis 500 Milliarden Dollar nachhelfen. Aber wie gesagt, ich bin eher optimistisch. Ich sehe ein Wachstum beim Bruttosozialprodukt dieses und nächstes Jahr. Es wird zwar moderat sein, zwischen einem und drei Prozent. Ich bin allerdings weniger optimistisch als das Fed, sehe auf dem Arbeitsmarkt keine rasche Erholung. Im Gegenteil, ich bin auf der Linie von Goldman Sachs mit einer Arbeitslosigkeit von 10,8 Prozent – und zwar längerfristig.
Und die Haushaltsdefizite?
Sie werden über die nächsten zwei Jahre steigen, anschliessend aber relativ stark absinken. Die Zukunft wird in den USA sehr stark von der Politik abhängen und dem Weg, den wir im Gesundheitswesen und in der Fiskalpolitik beschreiten.
Wird der Dollar nicht unter der expansiven Politik des Fed leiden?
Schwer zu sagen. Der Druck auf den Dollar ist derzeit nicht so gross, wie man gedacht hat. Auch weil die USA vermutlich schneller aus der Krise finden als die meisten anderen Industrieländer.
Wie sind Sie investiert? Kaufen Sie zu?
Nein. Ich bin extrem zurückhaltend. Ich halte viel Cash und nur ein paar wenige Aktien. Ich zog mich glücklicherweise vor der Finanzkrise aus dem Aktienmarkt zurück und verpasste auch das Rally der letzten Wochen.
Gibt es einen heissen Börsentipp für die Zukunft?
Wenn ich das wüsste.
Paul Krugman (56) ist an Effizienz kaum zu überbieten: Er schreibt zweimal wöchentlich eine Kolumne für die «New York Times», lehrt in Princeton und an der London School of Economics, hält Vorträge, verfasst Bücher (bislang 25). 2008 wurde er für seine Handelstheorien mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet.