Letzten August hat das Seco 210000 Stellensuchende registriert. Dies bei knapp 9000 gemeldeten offenen Stellen. Obwohl Personalabteilungen und -vermittler überflutet werden mit Bewerbungsdossiers, melden sich die erwünschten Bewerber selten. Und die Personenfreizügigkeit dürfte das Problem noch verschärfen.

Die Migros teilt mit, dass vermehrt Dossiers von unter- und überqualifizierten Bewerbern auf den Schreibtischen landen aber kaum je von der Person, die gesucht wird. Oder es bewerben sich Leute mit der vorausgesetzten Ausbildung aber ohne Berufspraxis. Die Winterthur Group verkündet, dass es im Bereich der Kader- und Spezialistenfunktionen etwa Controller äusserst schwierig sei, Personen mit entsprechenden Qualifikationen zu finden.

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Kriterien verändern sich

Oben, auf der Führungsebene von Unternehmen, wird die Luft sogar äusserst dünn. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kriterien sich verändern. Der Leistungsnachweis alleine reicht nicht mehr aus. Persönlichkeit wird wichtiger. Bewerber, die nach herkömmlichen Kriterien qualifiziert sind, fallen durch. Weshalb dies? Nach den Restrukturierungswellen brauchen die Unternehmen Chefs, die diese auch wirklich führen können.

Viele Mitarbeitende sind während der Restrukturierungen Opfer von unfairem Verhalten geworden. Wenn ein Chef ein Unternehmen oder auch eine Organisation erfolgreich führen will, sollte er die während der Restrukturierungswellen entstandenen Vertrauensdefizite ausgleichen können. Dazu braucht es nicht nur die entsprechende Ausbildung, sondern auch Charisma.

Der aktuelle Generationswechsel in den Manageretagen, von dem manche KMU betroffen sind, sorgt für weitere Verunsicherung. Die Aufbaugeneration tritt zurück. Manager der älteren Generation sind ausgebrannt. Dadurch entsprechen sie nicht mehr dem Führungsideal, das «unten» erwartet wird. Die Werte haben sich gewandelt. Der Individualismus der 90er Jahre ist passé, was sich in den Anforderungen wider-spiegelt, die an Chefs gestellt werden.

Der Headhunter Sandro Gianella, der auf obersten Führungsebenen potenzielle Kandidaten jagt, erkennt ein Zurück zu traditionellen Tugenden. «Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind wichtiger als vor ein paar Jahren», sagt Gianella. Die Leute wollen einen Chef, zu dem sie auch hinaufblicken können.

Sandro Gianella stellt oft fest, dass Leute nicht den anderen, sondern sich selbst etwas vormachen. Bei der Selbstreflexivität sieht er grosse Defizite. So sei es zurzeit schwierig, Leute für die oberste Führungsebene zu finden denn dort oben ist neben den Alphatierqualitäten Selbstreflexivität zumindest von Vorteil.

Es habe auch mit Firmenkultur zu tun, ob sich jemand überhaupt abwerben lässt, sagt Gianella. So ist es schwierig, gute Leute aus einer UBS rauszuholen, weil alle für eine erfolgreiche Firma arbeiten wollen. Und ein erfolgreicher CEO zieht entsprechend gute Manager an. Es ist der alte Herdentrieb. Umso wichtiger ist es, dass oben die «richtigen» Leute sind.

Wer ist der «Richtige»?

Doch wer ist das eigentlich, «der Richtige»? Wenn die Mercuri Urval AG in der «Neuen Zürcher Zeitung» eine Kaderstelle im Generalmanagement ausschreibt, erhält sie zwischen 60 und 70 Dossiers, bei Spezialisten ein bisschen weniger. Wie findet man ihn da, jenen «Richtigen»? «Wir haben sehr harte Kriterien der Selektion», sagt Egmont Jaehn, Geschäftsführer von Mercuri Urval in Zürich.

Die Dossiers werden nach einem Abc-Schema sortiert. Bei A-Dossiers stimmen die Voraussetzungen zu 100%. Bei B-Dossiers ist eines der Kriterien nicht ganz erfüllt ein Kandidat hat beispielsweise nur drei anstatt fünf Jahre Führungserfahrung. Bei C-Dossiers stimmen die Kriterien nicht. So wird fürs Erste Spreu vom Weizen getrennt.

Alle A-Kandidaten werden für ein mindestens einstündiges Gespräch eingeladen, in dem neben der fachlichen die menschliche Seite thematisiert wird. Aufgrund dieser Gespräche entscheidet der Berater, welche Kandidaten dem Kunden persönlich vorgestellt werden. Dann wird mit den zwei bis vier übrig gebliebenen Kandidaten ein eintägiges Einzelassessment durchgeführt, um ihre Persönlichkeiten gegenüber den Kriterien des Anforderungsprofils beurteilen zu können.

Das Procedere setzt voraus, dass die Consultants bei Mercuri Urval die Wünsche, Erwartungen und Unternehmenskultur der Auftraggeber genau kennen. «Unser Mandat beginnt mit einer intensiven Analyse der Aufgabe und des Unternehmens», sagt Egmont Jaehn.

MBA-Bluff

Eine Tendenz zum Bluffen stellt Jaehn nicht fest. Allenfalls lese man im Brief etwas anderes, als dann in den Zeugnissen steht. Aber dies ist verständlich, zumal der Bewerber sich ja tatsächlich verkaufen will. Zudem sei ab einer gewissen Ebene eh alles transparent. Sogar die zahlreichen MBA-Diplome.

«Wir haben eine Liste mit den Spitzen-, den mittleren und den restlichen Instituten», sagt Jaehn. Die Bedeutung eines MBA hänge von der Branche ab. Bei einem KMU sei es nicht unbedingt notwendig, den Harvard-MBA vorweisen zu können. Bei einem internationalen Weltkonzern hingegen kann ein Harvard-MBA wichtig für die Repräsentation sein.

«Die Auftraggeber wissen sehr präzise, wen sie suchen», sagt Ste-fan Poth, Geschäftsführer von smart.heads in Zug, der ausschliesslich in den Bereichen Medien, Marketing und Kommunikation Stellen vermittelt. Man suche heute nicht mehr einen Marketingleiter, sondern einen Marketingleiter mit der erwünschten Branchenerfahrung. Früher wurden gelegentlich mal Quereinsteiger eingestellt. Das kommt heute kaum mehr vor.

Meist finde er mehrere Bewerber, die diese Kriterien genau erfüllen, sagt Stefan Poth ausser im Kaderbereich. In seinem Business ist es Match-entscheidend, die Branche intensiv zu beobachten und Datenbanken sowie Netzwerke zu pflegen.

Wenn Unternehmen aber Wunschprofile erstellen, die nur noch eine einzige Person auf der Welt erfüllen kann, dann ist das legitim, solange sie diese eine Person auch zu finden hoffen. Sonst aber wäre es eine rationale Entscheidung, auch Leute mit leichten Abweichungen einzustellen.

Egmont Jaehn sagt: «Man sollte zumindest auch offen sein für Leute, die das Potenzial für eine Stelle haben, auch wenn sie nicht haarscharf dem erwünschten Profil entsprechen.» Ein Quereinsteiger kann durchaus einen alternativen Blickwinkel oder neue Impulse in ein Unternehmen hineinbringen und möglicherweise ist er sogar motivierter als jemand, der seit Jahren genau dieselbe Aufgabe bei einer anderen Firma erfüllt hat.

Nicht zu vergessen: Der Mensch wächst auch an einer Aufgabe ganz besonders an einer neuen.

Der Beste ist nicht immer auch der geeignetste Bewerber

Die sieben häufigsten Fehler bei der Stellenbesetzung

Nur «die Besten» zu suchen: Wer mit Schlagwörtern bei der Personalsuche operiert, wird sich mit Bewerbern beschäftigen müssen, die extreme bzw. einseitige Vorstellungen und Erwartungen an ihre künftige Tätigkeit mitbringen. Und vielleicht sogar glauben, dass Titel praktische Erfahrung ersetzen. Deshalb nicht nach «den besten», sondern «den geeignetsten» Bewerbern suchen. Und die finden sich erfahrungsgemäss am zuverläs-sigsten mit der Beschreibung eines realistischen Anforderungsprofils bzw. von Qualitäten, die der tatsächlichen Aufgabe entsprechen und in der betrieblichen Praxis auch wirklich verlangt werden.

Suche nach Multitalenten: Die Zeit der Universalgenies ist eigentlich Geschichte. Nicht so in Stellenanzeigen. Das Schlimme dabei ist meist: Die ausgeschriebene Stelle gibt in der Regel bei weitem nicht her, was so ein Multitalent auch nur annähernd zufriedenstellen würde. Und das macht die Sache zum Problem: Mögliche passende Bewerber, die selbstkritisch genug sind und einen sorgfältigen Abgleich zu den Anforderungen vornehmen, fühlen sich nicht angesprochen. Tritt der unwahrscheinliche Fall aber tatsächlich ein und so ein mit allen Gaben gesegnetes Exemplar wird gefunden und eingestellt, wird es kritisch: Er oder sie wäre massiv unterfordert und in kürzester Zeit unzufrieden und damit kein überragender Leistungs-, sondern ein beträchtlicher Störfaktor!

Ein Personalvermittler löst alle Probleme: Viele Unternehmen bedienen sich einer Personalberatung, die oft, z.B. aus Geheimhaltungsgründen, nur als ausgelagerter Briefkasten, meist aber als Institution der Bewerber-Erstauswahl, sprich als Vorsortierinstanz, agiert. Gerade in mittelständischen Unternehmen führt das häufig zu grossen Überraschungen beim Zweitgespräch: Irgendwie kommt das Gefühl auf, keiner der vorgeschlagenen Kandidaten passt «so richtig». Und zwar weniger aus fachlichen als vielmehr aus Gründen der «persönlichen Chemie». Es empfiehlt sich also, vor dem Engagement eines einschlägigen Spezialisten sicherzustellen, dass er die Anliegen des Unternehmens versteht und sich im Vorfeld der Suche auf den spezifischen Fall auch wirklich einstimmt.

Voraussehbare Spannungsverhältnisse ignorieren: Es gibt nicht wenige Einstellprozesse, da bekommt der Bewerber nicht einmal den künftigen Vorgesetzten zu Gesicht. Beispiel: Ein Wechsel auf zwei übereinander liegenden Ebenen steht an, also Chef und Mitarbeiter werden gleichzeitig eingestellt, einander nicht vorgestellt und nicht gegenseitig abgestimmt. Eine betriebliche Todsünde der Personal-Rekrutierung. Auch nicht gerade selten: Eine Neueinstellung läuft als geheime Kommandosache ab. Der/die «Neue» sieht weder die Abteilung noch den Arbeitsplatz, schon gar nicht wird er/sie künftigen Kollegen vorgestellt und lernt vorher niemanden seiner/ihrer möglichen Mitarbeiter kennen. Das Ergebnis: Auf zwei Seiten entsteht schon im Vorfeld ein Spannungsverhältnis, das anschliessend nur mit Mühe abgebaut werden kann.

Angst vor Gefühlen: Manches Vorstellungsgespräch könnte rasch beendet werden und wird nur aus scheinbarer Höflichkeit weitergeführt. Eine Absage wird auch dann mühevoll sachlich begründet, wenn in Wirklichkeit Abneigung, also schlicht gefühlsmässige Ablehnung, die ausschlaggebende Rolle gespielt hat. Soweit liesse sich noch von «Gepflogenheiten» sprechen. In der Personalauswahl passiert aber nur zu oft etwas, das nachher gravierend schadet: Obwohl dem Auswählenden ein ungutes Gefühl bleibt, überredet er sich selbst anhand der vorliegenden Daten, eine Führungs- oder Fachkraft einzustellen. Oder er lässt sich dazu überreden. Das kann eine tickende Zeitbombe sein.

Lebenslauf überbewerten: Lückenlos und geradlinig, so der ideale Lebenslauf. Dazu stetig nach oben führend, mit genügend langer Verweildauer pro Etappe. So die übliche Vorstellung. Nichts davon ist falsch. Dennoch ist zu relativieren. Längst vorhandene Lü-cken im Lebenslauf werden zugedeckt: Durch lange Restlaufzeiten im bisherigen Unternehmen bei gleichzeitiger Freistellung. Vor allem bei Führungskräften ist dies nicht selten. Andererseits gibt es zunehmend die Entwicklung zu einer kürzeren, zum Teil nur noch projektbezogenen Firmenzugehörigkeit, die keinesfalls automatisch gegen den Bewerber spricht. Wechsel sollten folglich nicht automatisch und ausschliesslich mit den überlieferten Massstäben gemessen werden.

Neubesetzen unter Vorbehalt: Ein kritischer Moment für einen Familienbetrieb ist der Übergang auf ein externes, also familienfremdes Management. Zumal diesem Schritt nicht selten das Scheitern der eigenen Kinder vorausgeht. Oft wird fälschlicherweise eine Kopie gesucht, die Kopie der Patron-Vorlage, die unter völlig anderen Bedingungen und in einer überhaupt nicht vergleichbaren Situation etwas aufgebaut und dabei scheinbar oder tatsächlich alles richtig gemacht hat mindestens viele Jahre lang.

Wer jetzt kommt, ist zu einem heiklen Spagat verdammt: Er soll keine Entscheidung des Übervaters infrage stellen, das Unternehmen aber den aktuellen Erfordernissen anpassen. Dabei wird er kaum frei agieren dürfen. In solch diffizilen, heiklen Fällen sollte Personalauswahl nie ohne Begleitung erfolgen. Zwingend geboten ist, sämtliche Aspekte eines Stabwechsels sorgfältig zu besprechen. Und schliesslich sollte gerade das Gegenteil der Kopie ins Auge gefasst werden: Ein Nachfolger, der sich bewusst und spürbar in Person und Stil von der Vorgänger-Generation unterscheidet und entsprechend wirken darf. Hartmut Volk

Diese «Fehlerliste» entstand in Zusammenarbeit mit Stefan Müller, Personalentwicklung und Laufbahnberatung, Stuttgart und Köln.