Ein Konzernsitz in der Schweiz. Vor dem Haupteingang hält eine Limousine. Ein Personalmanager wird abgeholt und steigt ins Auto, in der Hand einen Aktenkoffer. Sein Handy klingelt, doch er antwortet nicht. Niemand soll wissen, wo er sich befindet. Der Manager hat Grund, vorsichtig zu sein. Seit Wochen erhält er Morddrohungen von einem 38-jährigen Mitarbeiter seiner Firma, dem er wegen Veruntreuung und unerlaubten Waffenbesitzes am Arbeitsplatz gekündigt hatte. Heute steht ein letztes Gespräch mit ihm bevor.

Personenschützer Chris Hoffmann (Name geändert) soll dafür sorgen, dass seinem Klienten nichts geschieht. In seiner Aktentasche liegt eine «Gefahrenanalyse» des Falls. Vor der Fahrt hat er sich in der Securitas-Zentrale mit Dienstwaffe, Pfefferspray und Handy ausgerüstet. Unter dem Anzug trägt Hoffmann eine schusssichere Weste. «Viel Glück», wünscht die Kollegin, als sie ihm die 9-mm-Patronen aushändigt.

*Unterwegs mit einem «Schattenmann»*

Ob auf Konferenzen, dem Arbeitsweg oder Reisen, Personenschützer wissen, wie ihre Auftraggeber leben, denken und fühlen. Daher ist Diskretion oberstes Gebot. Wer wird so ein Schattenmann? Chris Hoffmann hatte ein kleines Bauunternehmen, bevor er sich vor sechs Jahren bei der Securitas einer neuen Herausforderung stellte. Er hat zwei Kinder und spielt Fussball. Ein grosser Mann, 36 Jahre alt. Mit seiner Familie lebt er bei Winterthur.

Es ist kurz nach zehn Uhr, als wir von Zürich aus Richtung A1 fahren. Die Securitas-Fahrerin weicht von der gewohnten Route des Kunden ab. «Folgt uns ein Wagen?» Chris Hoffmann beobachtet. Der Manager rutscht auf dem hinteren Sitz hin und her. Er versucht sich auf das Gespräch vorzubereiten. Fahrtziel ist eine Zweigstelle des Konzerns. Im Erdgeschoss ein Kiosk, daneben ein Take-away. Hoffmann mustert das Gebäude mit den Augen eines Security-Manns: Zwei Eingänge, fünf Notausgänge, ein Lift und die üblichen Fluchtwege. Er kennt die Standorte der Feuerlöscher, die nächste Klinik und den schnellsten Weg dorthin.

Wagentüren öffnen sich. Hoffmann lässt die Umgebung keine Sekunde aus den Augen. Sein Schutzbefohlener geht auf den Eingang zu. Hoffmann seitlich dahinter. Das Aussteigen aus dem Auto ist eine heikle Situation, weil sich potenzielle Täter darauf vorbereiten können. Hoffmann ist beim Gespräch dabei. Zuvor zitiert er eine Grundregel des Bodyguards: «Achte auf die Hände des Gegenübers, auf Gestik und Mimik, das verrät schon viel über dessen Absichten.» Der Manager trägt keine kugelsichere Weste. Seriöse Sicherheitsleute schauen sich ihre Kunden vorher genau an. «Der Auftraggeber muss glaubhaft machen, dass ihm körperlicher, materieller oder ideeller Schaden droht», sagt Hoffmann.

Er kennt natürlich die Bodyguard-Klischees: Stählerne, braun gebrannte Muskelmänner mit dunklen Sonnenbrillen und Knopf im Ohr. Dabei sei in den fünfzehn Jahren, in denen die Securitas Personenschutz anbietet, noch nie ein Schuss gefallen. Manchmal müsse er handgreiflich werden, aber spektakulär gehe es im Alltag der Leibwächter kaum zu. Zu ihrer Arbeit gehört stundenlanges Observieren bei Kongressen und Versammlungen. Personenschützer begleiten Kunden auch ins Ausland und Frauen auf dem Weg zum Scheidungstermin.

Die über 30 Bodyguards der Securitas, Männer und Frauen, verteilen sich landesweit auf verschiedene Einsatzzentralen. Eine eigene Ausbildungsstätte sorgt für Nachwuchs: Ehemalige Kaufleute, Berufsmilitärs, Mechaniker und Studienabbrecher werden hier in Nahkampf, Waffengebrauch, Logistik, Recht und Psychologie geschult. Sie üben sich in Präventionsstrategien und erster Hilfe. Daneben feilen sie an ihrer Sozialkompetenz, «um mit jeder Situation fertig zu werden», erläutert Urs Stadler, Kommunikationsleiter der Securitas. «Zum guten Service gehört auch mal die Erledigung kleiner Botengänge ebenso wie das Dinieren im Luxusrestaurant.»

Waffennarren hätten bei der Securitas keine Chance. Kerngeschäft des Unternehmens sind Ordnungsdienst und Objektschutz, den angehende Bodyguards zuerst durchlaufen müssen. «Selbst wenn in ereignisreichen Zeiten die Nachfrage steigt, macht der Personenschutz weniger als 2% unseres Umsatzes aus», so Stadler. Im Bereich qualifizierter Personenschutz sollen in der Schweiz laut Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) jährlich rund 7,5 Mio Fr. umgesetzt werden.

*Rund 200 Firmen bieten Personenschutz an*

Über 200 private Sicherheitsdienste bieten in der Schweiz Personenschutz an. Zu den Grossen der Branche gehören nebst Securitas (Zollikofen) Protectas (Lausanne), Delta (Weinfelden), Sibag (Zürich) und Daru (Brugg), die mit hohen Qualitätsstandards im sensiblen Schutzgeschäft arbeiten. Aber es gibt auch viele, die das schnelle Geld machen wollen. Ihre zweifelhaften Arbeitsmethoden schädigen das Image der ganzen Branche. Der Begriff Bodyguard wird dabei unterschiedlich interpretiert. Offizielle Zahlen, wie viele «Bodyguards» in der Schweiz im Einsatz sind, gibt es nicht.

Deshalb strebt der Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) eine einheitliche Aus- und Weiterbildung sowie eine entsprechende Berufsanerkennung an. Zunehmend arbeiten die Unternehmen auch grenzüberschreitend. Die International SOS etwa bietet «Safety» und «Security» für im Ausland tätige Firmen an. Das in den Bereichen medizinische und sicherheitstechnische Assistance weltweit agierende Unternehmen mit Niederlassung in Meyrin GE erstellt individuelle Sicherheitskonzepte, die unter anderem Verhaltensregeln und Schutzmassnahmen im Gastland beinhalten, aber auch qualifizierte Personenschützer vermitteln und Evakuierungen aus Krisengebieten regeln.

*Ein Bodyguard für 100 Franken pro Stunde*

Jedem Personenschutz geht eine Gefahrenanalyse voraus. Dabei ist ein Bodyguard nicht das erste Mittel der Wahl. Ein Sicherheitskonzept ergibt sich aus dem persönlichen Verhalten des Gefährdeten und dessen Umfeld, der technischen Seite und nur im Bedarfsfall dem Personenschutz. Den grössten Schwachpunkt bilden der Mensch und seine Gewohnheiten. «Deshalb arbeiten wir in erster Linie präventiv», erklärt Hoffmann. «Beobachten, um jederzeit reagieren zu können.» Gleichzeitig hofft der Personenschützer immer, dass nichts passiert.

Wie heute. Nach zwei Stunden kehren Hoffmann und sein Kunde zum Auto zurück. Erleichtert. Während der Rückfahrt berichtet der Manager, dass man sich geeinigt habe, er aber in Zukunft weiterhin wachsam sein werde.

Die private Sicherheit hat ihren Preis. Für einen qualifizierten privaten Personenschützer werden rund 100 Fr. in der Stunde gezahlt. Doch allein vom Personenschutz kann Hoffmann nicht leben. Er ist auch als Sicherheitsinstruktor bei seinem Arbeitgeber tätig. Jetzt sitzt er am Fenster eines Hotel-Bistros am Zürcher Hauptbahnhof. Wäre er im Einsatz, hätte er sich an die Wand gesetzt. «Ein strategisch idealer Platz mit freier Sicht.» Den berufsmässigen Blick könne er eben nie ablegen, erklärt der routinierte Bodyguard. Was Hoffmann an seiner Arbeit gefällt, ist die Befriedigung, wenn alles ohne Vorkommnisse abläuft. Ob er sich auch als Kugelfang vor seinen Klienten werfen würde? «Es ist Teil des Trainings. Wie man aber im Ernstfall reagiert, wer kann das voraussehen», sagt er dazu nachdenklich.

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