Wie fühlt man sich, wenn man in einer Branche arbeitet, die dank dem Staat wächst?
Peter Athanas: Nach wie vor gut. Aber ich muss relativieren: Ich höre viel, dass wir Profiteure dieser ungewünschten zunehmenden Regulierung sind oder dass wir die zunehmende Regulierung mit den Bilanzskandalen bei Enron oder Worldcom ausgelöst haben. Eigentlich wollte man uns stärker kontrollieren, und jetzt profitieren wir auch noch. Das hört man viel.
Das stimmt nicht?
Athanas: Zum Teil stimmt das. Die zunehmende Regulierung vor allem in den USA mit dem neuen Börsengesetz Sarbanes-Oxley Act hat uns zusätzliche Arbeit gegeben.
Eben.
Athanas: Das ist aber nur eine Seite. Auf der anderen Seite sind wir durch die neue Gesetzgebung auch massiv eingeschränkt worden.
Zum Beispiel?
Athanas: Wir haben hervorragend laufende Geschäfte aufgegeben: Im letzten Jahr die Libera, die Nummer eins in der Pensionskassenberatung. Hier haben uns die hohen Anforderungen im Bereich Unabhängigkeit zunehmend Probleme geschaffen. Im vergangenen Oktober gaben wir bekannt, dass wir unser Corporate-Finance-Geschäft einer Bank übergeben. Das war ein sensationelles Geschäft, welches bei uns am schnellsten gewachsen ist. Auch sonst geben wir immer wieder Leistungen zu Gunsten unserer Unabhängigkeit auf.
Was heisst das in Zahlen?
Athanas: Das hat uns in den vergangenen drei Jahren sicher 50 Mio Fr. an Umsatz gekostet.
Sie haben doch auch daran verdient?
Athanas: Ich hätte viel lieber den Umsatz als das bisschen Geld aus dem Verkauf.
Was bewirkt die zunehmende Regulierung bei E&Y?
Athanas: Was uns die Regulierung intern an zusätzlichen Kosten verursacht, ist unvorstellbar. Wir mussten Strukturen aufbauen, um die garantierte Qualität und Unabhängigkeit zu prüfen und zu dokumentieren. In den letzten drei Jahren haben sich in der Schweiz rund 50 Mitarbeitende mit nichts anderem befasst, als zu kontrollieren.
Zum Beispiel?
Athanas: Bevor wir ein Mandat annehmen, gibt es eine rigorose Überprüfung der Frage: Sind wir irgendwo auf der Welt in unserer Unabhängigkeit eingeschränkt, wenn wir das Projekt für diesen Kunden machen? Was die US-Börsenaufsicht SEC vorschreibt, ist zwar amerikanisches Recht. Dieses gilt aber bei US-kotierten Kunden für uns weltweit.
Das heisst?
Athanas: Wenn wir das Revisionsmandat eines SEC-registrierten Kunden erhalten und sich herausstellt, dass wir in Lettland im letzten halben Jahr Buchhaltungsdienstleistungen im Wert von 10000 Fr. für dieses Unternehmen erbracht haben, dann heisst das: Wir können dieses Mandat nicht annehmen, weil wir nicht unabhängig sind.
Also ist die zusätzliche Regulierung ein Nullsummenspiel?
Athanas: Langfristig sicher. Klar ist: Die Sarbanes-Oxley-Aufträge brachten zusätzlich Umsatz, das sind aber oft Einmalkosten. Ich glaube, dass eine überregulierte Welt weder für uns noch für die Kunden gut ist.
Ist die Wirtschaft heute schon überreguliert?
Athanas: Generell kann ich das nicht beantworten, in einzelnen Bereichen ist die Wirtschaft aber sicher überreguliert. Sicher ist auch: Langfristig können wir nur wachsen, wenn auch unsere Kunden wachsen. Wenn diese übermässig eingeschränkt werden, werden auch wir eingeschränkt.
Was sind die Gründe, die dazu führten, dass wir so reguliert sind?
Athanas: Durch die Bilanzskandale ging das Vertrauen verloren. Die Politiker in den USA mussten schnell zeigen, dass sie alles im Griff haben, und entwickelten innert kürzester Zeit den Sarbanes-Oxley Act. Viele Probleme, die man damals hatte, kann man aber nicht vermeiden. Das haben wir im Fall des Rohstoff- und Terminbrokers Refco gesehen, der Insolvenz anmelden musste. Das Unternehmen ist Sarbanes-Oxley-geprüft. Trotzdem konnte der damalige Verwaltungsratspräsident verheimlichen, dass eine von ihm kontrollierte Firma Refco 430 Mio Dollar schuldete. Wenn jemand betrügen will, kann er das auch mit den neuen Regeln.
Trotzdem geht die Tendenz in Richtung mehr Regulierung,
Athanas: Da bin ich nicht sicher. Es gibt Stimmen bei den Regulatoren, auch in den USA, die sagen, dass wir die Grenze erreicht haben, dass es mit noch mehr Regulierung nicht mehr Sicherheit gibt. Die Frage ist, wie hoch sind die Kosten und wie gross sind die Verbesserungen. Da gibt es auch Missverhältnisse.
Sind die Firmen besser geworden?
Athanas: Ja. Die Diskussion um die Bedeutung der Revision und die Verantwortung des Verwaltungsrats für das richtige Zahlenwerk haben auch die Unternehmen besser gemacht. Die Schweizer Verwaltungsräte nehmen ihre Funktion viel besser wahr als früher. Sie haben heute Prüfungsausschüsse, die genau wissen, welche Verantwortung sie haben.
Das Revisionsaufsichtsgesetz kommt am Donnerstag, 1. Dezember, zur Differenzbereinigung in den Ständerat. Sind Sie zufrieden mit der aktuellen Fassung?
Athanas: Wir können sehr gut damit leben. Man hat eine Balance gefunden zwischen zusätzlicher Überwachung und zusätzlichem Aufwand.
Was bedeutet es für E&Y, wenn das Gesetz 2007 in Kraft tritt?
Athanas: Wir werden überwacht. Druck tut immer gut, um ständig besser zu werden.
Wie wird sich das Gesetz auf das Geschäft auswirken?
Athanas: 95% der Schweizer Unternehmen, die heute eine Revision haben müssen, werden künftig keine volle Revision mehr brauchen. Das betrifft die kleineren Unternehmen, es sind tausende Firmen.
Schlechte Nachrichten für Sie.
Athanas: Nein, weil es nicht unser Markt ist. Wir sind aus strategischen Überlegungen seit etwa zwei Jahren aus dem Markt mit kleinen Mandaten ausgestiegen. Wir fahren heute eine auf mittlere und grosse Kunden mit internationalen Herausforderungen ausgerichtete Qualitätsstrategie.
Sie sagen, Qualität wird gross geschrieben. Trotzdem sorgen Sie sich vor möglichen Klagen. Wieso?
Athanas: Gegen die grossen vier Wirtschaftsprüfer sind im Moment weltweit Schadenersatzklagen in der Höhe von 50 Mrd Euro hängig. Das reicht zehnmal, um die Branche auszulöschen, trotz Versicherungen.
Wenn Sie gute Arbeit leisten, müssen Sie ja nichts befürchten.
Athanas: Nicht überall, wo wir eingeklagt werden, haben wir etwas falsch gemacht. In der Schweiz haften wir solidarisch mit dem Verwaltungsrat. Aber kein Unternehmen geht Bankrott wegen des Wirtschaftsprüfers.
Sondern?
Athanas: Wir legen nicht die Strategie eines Unternehmens fest. Wenn eine Firma Bankrott geht, sind doch primär der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung schuld. Doch hat eine Firma ein Problem, dann gehen die Kläger auch auf den Wirtschaftsprüfer los er kann zahlen, weil er versichert ist. Es wird immer mehr gegen den geklagt, der Geld hat und nicht gegen denjenigen, der schuld sein könnte.
Auch in der Schweiz?
Athanas: Ja. Die Statistiken der Rückversicherer zeigen, dass der Hochrisikomarkt per se die USA sind, dann kommen Australien, England und die Schweiz.
Warum sind wir so weit vorn?
Athanas: Die solidarische Haftung lädt zu Klagen gegen die Wirtschaftsprüfer ein. Zudem glaube ich, dass es in der Schweiz zu viele Anwälte gibt. Und sehr viele von ihnen wurden in den USA ausgebildet. Schliesslich haben wir eine stark angelsächsisch geprägte Geschäftskultur, auch wegen der vielen multinationalen Unternehmen.
Das heisst: Die Prämien steigen?
Athanas: Sie haben sich in den letzten zwei Jahren verdreifacht.
Der Trend wird sich wohl in der Zukunft nicht ändern. Was tun Sie?
Athanas: Wir müssen noch besser werden, das heisst: Qualitätssteigerung um jeden Preis.
Was läuft konkret in Bern?
Athanas: Im Dezember veröffentlicht der Bundesrat eine Botschaft zum so genannten Corporate-Governance-Gesetz, in der es auch um die Haftungsfrage geht. Wir erwarten, dass die Haftung des Wirtschaftsprüfers auf ein Mehrfaches seines Honorars limitiert ist.
Sie sagen, die Qualität sei das A und O. In der Branche herrscht aber ein grosser Preiskampf. Wie wollen Sie sich diesem entziehen?
Athanas: Wir verzichten auf ein Mandat, wenn es sein muss. Wir senken nicht beliebig den Preis. Die Strategie ist aber nicht bei allen grossen Wirtschaftsprüfern die gleiche.
Sie verzichten auf Wachstum?
Athanas: Ja. Wir sind im letzten Geschäftsjahr 2% gewachsen. Es hat keinen Wert, für ein Honorar, das nirgendshin reicht, das Risiko und die Verantwortung zu übernehmen.
Die Konkurrenz sieht das anders.
Athanas: Andere Unternehmen fahren eine gezielte Wachstumsstrategie. Wir setzen auf eine Qualitätsstrategie. Es passiert, dass wir bei einem Unternehmen aussteigen, bei dem wir an der Integrität des Managements zweifeln. Am nächsten Tag hat dieses Unternehmen aber wieder einen Wirtschaftsprüfer in der ersten Liga.
Das kann Ihnen doch egal sein.
Athanas: Es geht um die Reputation der Branche. Wenn einer der Grossen abstürzt, stürzen wir mit.
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Revisionsaufsichtsgesetz: Mehr Transparenz und Kontrolle
Der gesellschaftliche und politische Regulierungsdruck hat direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftsprüfer. Nebst dem verstärkten Zwang, die eigenen Strukturen immer wieder zu durchleuchten, werden den Wirtschaftsprüfern neue Rahmenbedingungen durch das Revisionsaufsichtsgesetz diktiert. Dieses wird am am 1. Dezember 2005 im Ständerat zur Differenzbereinigung beraten und soll am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Zudem werden im neuen Gesetz die fachlichen Voraussetzungen an die Revisoren konkretisiert. Ein in den Augen von Ernst & Young wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Unternehmenskontrolle liegt in der Neuregelung und Verschärfung der Unabhängigkeitsbestimmungen.
Gleichzeitig sollen im Obligationenrecht neue Kriterien für die Revision von Unternehmen verankert werden. Jene Firmen, die in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren zwei der drei Grenzen übersteigen Bilanzsumme: 10 Mio Fr.; Umsatz: 20 Mio Fr.; Mitarbeiter: 50 , müssen sich einer ordentlichen Revision unterziehen. Bisher gab es nur eine Form der Revision; die Pflicht dazu hing von der juristischen Organisationsform (AG) ab und nicht von der wirtschaftlichen Bedeutung. (pi)
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Der Mann von Arthur Andersen: Steckbrief
Name: Peter Athanas
Funktion: Chef E&Y Schweiz
Alter: 51
Wohnort: Baden
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Ökonomiestudium an der Universität St. Gallen, Doktor
Karriere
1984-1994 Arthur Andersen Schweiz
1994-2001 Leiter der Rechts- und Steuerabteilung Andersen Schweiz
2001-2002 Chef Andersen Schweiz
2002-2004 Präsident E&Y
Seit März 2004 Chef E&Y Schweiz
Firma
Ernst & Young Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen setzte im vergangenen Geschäftsjahr (per Ende Juni) 479,7 Mio Fr. um 2% mehr als in der Vorjahresperiode. E&Y beschäftigt 1674 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Langfristig will das Unternehmen 5 bis 6% pro Jahr wachsen. E & Y übernahm Mitte 2002 die Geschäfte von Arthur Andersen Schweiz. Andersen war Buchprüfer und deshalb mitverantwortlich für den Bilanzskandal beim US-Energiehändler Enron. E&Y ist der zweitgrösste Buchprüfer in der Schweiz. PWC ist die Nummer eins, KPMG die Nummer drei.