Das Grenzland zwischen Oerlikon und Schwamendingen in Zürich gilt bei manchen als Ghetto. In Wirklichkeit ist es eine beschauliche grüne Wohngegend mit einem vielschichtigen und vielsprachigen Menschenmix, einem wohl repräsentativen Querschnitt durch das hiesige Fernsehpublikum. Mittendrin residiert Fernsehdirektor Peter Schellenberg.

Die Distanz zum Büro am Leutschenbach ist so kurz, dass sogar die Vögel zu Fuss gehen - doch Schellenberg faltet sich in den silbernen Audi TT, auch wenn er damit verkehrsberuhigungbedingte Umwege in Kauf nehmen muss.

Das ist symptomatisch für den nicht unumstrittenen, aber unbestrittenermassen erfolgreichsten Fernsehdirektor der Schweiz: Ziemlich behäbig an den Schalthebeln eines schnellen Mediums zu sitzen, damit aber keinesfalls den Weg des geringsten Widerstandes einzuschlagen. Im Gegenteil.

*Bauchentscheider*

Schellenberg weicht Schwierigkeiten nicht aus. «Haftbar gemacht werden können Sie nur, wenn Sie Entscheide treffen. Und ich musste gewisse rabiate Dinge tun. Es war lange eine Haltung im Service public - und es hat auch eine Zeitlang funktioniert: Bloss keine Entscheidungen.»

Seine Entscheide kommen meist aus dem Bauch: «Ich bin ein grosser Anhänger emotionaler Entscheide.» Das weckt Emotionen und macht ihn nicht bei allen gleich beliebt. Doch wie er ausserhalb des Unternehmens ankommt, sei ihm ziemlich unwichtig.

Dass er der erfolgreichste Fernsehdirektor der Schweiz ist, ist kein Kunststück - er ist der einzige. Doch sein Erfolgsausweis wird auch von solchen anerkannt, die dem bekennenden Existenzialisten sonst nicht viel Gutes abgewinnen können.

Immerhin hat er dank seiner Instinktsicherheit und seiner enormen Sturheit nicht nur alle inländischen Konkurrenzversuche wie TV3 oder Tele 24 schadlos überstanden, sondern auch SF 2 gegen alle Widerstände durchgeboxt. Denn nur so war es ihm möglich, den Marktanteil der beiden Schweizer Kanäle über alle Jahre seines Wirkens zumindest stabil zu halten - und das trotz einer wachsenden Übermacht ausländischer Konkurrenten (siehe Grafik).

Der nach sieben Wochen Rekrutenschule «wegen Subordinationsschwierigkeiten» zum Hilfsdienst abgestufte Schellenberg ist ein vehementer Befürworter militärischer Führungsprinzipien. Das tönt provokativ und könnte leicht in falsche Hälse geraten. Doch er meint nicht Morgenappell und Befehlsausgabe mit anschliessendem Leerlauf bis zum Umfallen. Sondern das militärische Delegationsprinzip: «Man legt oben eine verbindliche Strategie fest. Dann wird die Verantwortlichkeit heruntergebrochen und delegiert. Im Ernstfall haben die Korporale an der Front bei der Umsetzung einen grossen individuellen Spielraum - im vorgegebenen Rahmen.»

Er kommt auch nie in eine Geschäftsleitungssitzung und fragt, was nun geschehen soll. «Meine Pflicht ist es, eine Lösungsvorstellung zu haben. Und wenn mir niemand aufzeigen kann, dass ich falsch liege, werde ich diese Vorstellung auch durchsetzen.»

Bei den Post-68ern habe man so getan, als ob die hierarchische Führung tot wäre. «Doch es gibt keine Alternative zur hierarchischen Führung.» Verantwortung und Kompetenzen müssten aber in derselben Person liegen. Das hat erst er bei SF DRS eingeführt.

Seine ersten eigenen Führungserfahrungen machte er, als er Anfang der 70er Jahre aus seinem Team heraus Chef bei der «Antenne» wurde. «Plötzlich bist du nicht mehr einer wie die anderen. Die machen dich auch sofort zum Chef und setzen Erwartungen in dich.»

*Von Mensch zu Mensch*

Einen Kurs «Führung für Anfänger» oder so etwas hat er nie besucht. Denn: «Führung ist ganz einfach: Man muss es nur wollen. Sie hängt ab vom Willen und von der Bereitschaft, Probleme offen auszutragen.»

«Es wird so viel über Führung geschrieben - dabei ist es das am wenigsten Sichtbare in einer Firma». Wie also führt er? «Führung passiert, wenn zwei Leute sich gegenübersitzen und offen miteinander sprechen.» Er tut das mit allen Mitgliedern der Geschäftsleitung, die auch jederzeit zu ihm kommen können.

«Es ist unwichtig, auf welcher Hierarchiestufe man steht - die Führungsprinzipien sind dieselben.» Der Weg zum Ziel ist jedoch unterschiedlich. «Bei mir war es praktisch durchwegs die direkte Konfrontation: Sich in die Augen schauen und miteinander reden.» Das Wort Konfrontation - anstelle von Kommunikation - wählt er bewusst: «Führung fängt dann zu spielen an, wenn es zur Konfrontation kommt.» Und die hat er - zumindest inhouse - selten gescheut.

Es heisst, er selber habe den optimalen Zeitpunkt zum Abgang verpasst, als er sich vor knapp zwei Jahren nochmals bis zum Jahr 2004 wählen liess. Doch er würde dasselbe wieder tun, wenn er nochmals zurück könnte: «Selbstverständlich - denn ich hatte zwei, drei Dinge noch zu erledigen, die unabdingbar gewesen sind.» Details? Filippo Leutenegger? «No comment.»

Für Existenzialisten ist das Leben gefüllt mit pragmatischen Zielsetzungen wie Familie, Beruf. Und je mehr Ziele - «beziehungsweise Pseudo-Lebenssinne», wie Schellenberg sagt - erreicht sind, desto mehr «Absurdes» bleibt übrig. «Von den überzeugten Existenzialisten hat sich ein guter Teil in meinem Alter umgebracht.»

Ist er nun verbittert, abgelöscht und ohne Lebenssinn, wie so oft kolportiert wird? Wer 15 Jahre im Zenit der Kritik steht, wird abgenützt. «Man mag es als Ermüdung oder Phantasielosigkeit auslegen, dass ich keine Alternative zur aktuellen Programmstrategie kenne - ich tue es nicht. Ich empfinde es als logisch: Ein Unternehmensleiter tritt hoffentlich mit einer Strategie an, hinter der er stehen kann. Da kann er doch nicht einfach nach zehn Jahren das Gegenteil machen. Was entschieden ist, muss durchgezogen werden. Aber eine Strategie braucht Zeit.» Zeit, die kommerzielle Sender nicht haben.

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