Will Peter Wüst, seit 2003 CEO des Konsumgüterkonzerns Valora in Bern, wissen, was die Mitarbeiter an der Kioskfront so treiben, braucht er nur in den Lift zu steigen. Ein paar Stockwerke unter seinem Büro, im Berner Hauptbahnhof, leuchtet der blau-rote K-Würfel der Valora-Kioske gleich acht Mal auf.
Es ist anzunehmen, dass er dennoch nicht allzu häufig beim Plausch mit den Kioskdamen anzutreffen ist. Denn momentan ist Zeit bei Wüst Luxus. Und jetzt auch noch das: Ein Interview. Auf dem Schreibtisch vor ihm eine stattliche Anzahl von Papierstapeln. Pendenzen, die sich aufgrund einiger Tage Abwesenheit angesammelt haben. Der Blick klebt am Bildschirm. Erst als seine Kommunikationschefin ein Zeichen gibt, dass nun auch die Fotografin bereit sei, wechselt er an den Konferenztisch.
Und dann ist er da. Ganz Ohr. Entschuldigt sich in lupenreinem St.Galler Dialekt für das, was er als überladenen Schreibtisch bezeichnet, «normal ist der fast leer». Wüst mag geordnete Verhältnisse. Seit zwei Jahren leitet er die Geschicke des Konsumgüterkonzerns, doch um bei der Valora aufzuräumen, braucht es einen langen Atem. Und mitunter ein dickes Fell. Im Geschäftsjahr 2003 schrieb der Konzern zum ersten Mal in seiner Geschichte rote Zahlen. Seither ist es um die früher so erfolgsverwöhnte Valora nicht mehr ruhig geworden. Verkäufe von Firmenanteilen wie beispielsweise von Merkur Confiserie und Kaffee, Entlassungen und Aktienrückkäufe bringen die Valora immer wieder in die Schlagzeilen.
Mehr Kontakt zur Basis
Macht Wüst diese öffentliche Unruhe zu schaffen? «Es gehört zu meinem Job», sagt er nüchtern. Valora sei börsenkotiert und daher stets im Fokus der Öffentlichkeit. «Wir sind getrieben von den Märkten, den Finanzanalysten, den Aktionären.» Und deren Ziele, das weiss er genau, sind einfach zu umschreiben: «Performance, performance, performance». Koste es, was es wolle.
Ein Zeitphänomen. In der Wirtschaftswelt komme der gesunde Menschenverstand bei der derzeitigen Fokussierung auf die Finanzen zu kurz. Häufig fehle es auf der Managementebene an Mut, nicht jede Modeströmung mitmachen zu müssen. Und vielleicht, so grübelt er weiter, seien die Führungsmitglieder oft zu sehr auf sich selbst konzentriert, anstatt sich mit den Mitarbeitern zu beschäftigen, dabei hätten sie eine soziale Verantwortung. Er wünscht sich daher, mehr Zeit mit der «Basis» verbringen zu können, die Mitarbeiter vor Ort zu besuchen, mit ihnen zu sprechen, ihre Nöte und Wünsche zu erfahren. «Ich machte das im vergangenen Jahr zu wenig», beurteilt er sich selbstkritisch, doch seit diesem Jahr ist er wenigstens drei Tage im Monat bei den einzelnen Firmen unterwegs.
Wüst, das dichte graue Haar kurzgeschnitten, ist auf den ersten Blick kein Chef zum Anfassen. Kein jovialer Schulterklopfer oder gar eine Vaterfigur. Er steht lieber nicht allzu sehr im Rampenlicht, «dann arbeitet es sich ruhiger». Doch nach anfänglicher Zurückhaltung wird der Mann gesprächig. Wüst ist ein guter Anekdotenerzähler, einer, der gerne laut lacht. Und er hat durchaus eine Portion Eigenironie.
Finanzchef sein ist nichtsein Ding
Ins Schwärmen kommt Wüst, wenn er über seine Weine im Keller spricht und über seine bevorzugten Anbaugebiete. Wein ist eines der Hobbys, das derzeit zu kurz kommt. Wie so vieles. Früher war er der klassische Morgenjogger, zurzeit trifft man ihn aber eher beim Nordic-Walken. So richtig ausleben kann er seinen Bewegungsdrang am Wochenende. Dann ist er ein glühender Fan von Mountainbiken, Berg- und Skitouren.
Die Valora in der schwierigsten Phase ihrer Geschichte. Ist das die bislang grösste Herausforderung für den HWV-Ökonomen? Wüst schüttelt den Kopf. «Ich scheine die schwierigen Jobs magisch anzuziehen», meint er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wo immer der inzwischen 52-Jährige im Laufe seiner Karriere auftauchte, gab es zunächst einen Haufen Aufbauarbeit. Beispiel Diethelm. Das Schweizer Handelshaus suchte 1983 für Thailand einen Händler. Wüst und seine Frau entschlossen sich «quasi über Nacht», die Koffer zu packen und nach Asien auszuwandern. Wüst lacht schallend und schiebt nach: «Mein Gott, was waren wir Greenhorns, wir hatten von Far-East keine Ahnung.»
Egal. Was die Wüsts wollten, war, fern von der Schweiz etwas ganz Neues aufzubauen. «Ich war 30 und wollte unbedingt ins Ausland.» Aus den geplanten drei Jahren wurden deren zehn, die Wüst mit seiner Frau und den zwei Kindern in Bangkok verbrachte. Mit Vorteil für Diethelm. Der Umsatz in Thailand wuchs in dieser Zeit von anfänglichen 200 Mio Fr. auf 1 Mrd Fr. Und der Ökonom holte sich das Rüstzeug für die Arbeit im Handel. Kenntnisse, die ihm heute bei der Valora zugute kommen.
Zurück in der Schweiz, ging er vier Jahre in die Textilbranche zu Forster Rohner im ostschweizerischen Balgach und anschliessend zur Nuance, der Einzelhandelsfirma der Swissair. Auch diese war bei seinem Eintritt in einem schlechten Zustand. «Nach zwei Jahren waren wir profitabel», sagt er. Als die Swissair 2001 crashte, gehörte die Nuance mit einem Umsatz von 2,2 Mrd Fr. zu ihren Filetstücken. Peter Wüst half, sie zu verkaufen, und ging anschliessend zur Valora. «Ich habe zwar eine hohe Affinität zu Zahlen», meint er, «aber im Grunde tauge ich nicht zum Finanzchef, weil ich lieber nach vorne als nach hinten schaue.»
Ohne Vertrauen geht es nicht
So auch bei der Valora. Stück für Stück hat er in den vergangenen zwei Jahren den Konzern reorganisiert, die gesamte Führungscrew ausgetauscht. Sein Fazit über den Zustand des Konzerns bei seinem Eintritt: «Möglicherweise hat man Probleme zu lange verdrängt.» Setzte die Valora in früheren Zeiten auf Expansion, kaufte im grossen Stil alle möglichen Firmen dazu, so fokussiert Wüsts Strategie auf das Kerngeschäft Handel, Retail, Pressegrosshandel. Um wieder profitabel wirtschaften zu können, wurde der Konzern in den vergangenen eineinhalb Jahren gründlich entschlackt. Firmen wurden verkauft, Aktien zurückgekauft. Dieser Aderlass führte zu Stellenabbau, die Valora wurde in der Presse als Grossbaustelle bezeichnet. Die einzige Firma, die nicht in das Portfolio passt, ist Fotolabo. Sie soll in absehbarer Zeit verkauft werden.
Jetzt soll es ruhiger werden. Erst seit ein paar Monaten ist der Aufbau der neuen Managementstrukturen abgeschlossen, die Divisionen sind komplett neu besetzt. Allesamt mit Wunschkandidaten von Peter Wüst. Zwei davon kamen aus der alten Swissair Grund genug für Unkenrufe, um bei Wüst einen Job zu bekommen, müsse man bei der Swissair gewesen sein. «Blödsinn», meint er, «einer der Herren arbeitete zwar früher bei der Nuance, allerdings lange bevor ich dort war.» Ansonsten hält er es nicht nur für richtig, sondern für wesentlich, dass man nur Mitarbeiter um sich schare, denen man trauen könne. «Ich kannte viele von vorher und wusste, auf die kann ich zählen.» Vertrauen ist für Wüst die Basis einer fruchtbaren Zusammenarbeit.
Es mache ihm Spass, starke Persönlichkeiten um sich zu haben. «Ich bin selbst stark, und wenn jemand dem nichts entgegenzusetzen hat, dann läuft er Gefahr, von mir überrollt zu werden.» Er beschreibt sich als dialog- und auseinandersetzungsfreudig. Vorausgesetzt, die Diskussion ist konstruktiv. Die Stimmung im Management sei gut und zielorientiert. «Ich habe selten eine Gruppe von Managern erlebt, die derart viel arbeitet.»
Steckbrief: Fokussierung ist angesagt
Name: Peter Wüst
Funktion: CEO Valora
Geboren: 1953
Wohnort: St.Gallen
Familie: Verheiratet, eine Tochter, ein Sohn
Karriere
1994-1998 CEO Jakob Rohner AG
1999-2003 Executive Vice President, verantwortlich für Verkauf und Marketing bei der Nuance-Group
1. März 2003-11. Juni 2003 Mitglied Valora Konzernleitung, Division Sourcing und Marketing
Seit 11. Juni 2003 CEO Valora
Firma: Valora
Die im Konsumgüterbereich tätige Valora-Gruppe mit 11603 Beschäftigten befindet sich in einer Phase der Neuausrichtung. Nachdem das frühere Management auf Expansion im grossen Stil gesetzt hatte und Firmen dazukaufte, setzt man jetzt wieder auf Bewährtes. Der derzeitige CEO Peter Wüst hat den Auftrag, die Valora auf ihre Kernaktivitäten Retail, Trade sowie den Presse- und Buch-Grosshandel zu fokussieren. Nachdem die Valora 2003 zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Verlust von 106 Mio Fr. machte, konnte sie für 2004 einen Gewinn von 34,6 Mio Fr. ausweisen.