Wie haben Sie den schnellen Wechsel an die Führungsspitze von Valora verdaut?
Wüst: Sehr gut. Ausser der Leitungsstelle der Retail-Divison haben wir alle Vakanzen besetzt und ein gutes Team zusammengestellt, das längerfristig zusammenbleiben wird. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um gute Leistungen zu erbringen.
Genau diese Grundlage ist nicht gegeben. Allein in den letzten Wochen nahmen gleich mehrere Kadermitglieder den Hut. Darunter Finanzchef Martin Ramsler, Peter Rutishauser, CEO der Division Wholesale, und die Kaderleute Edi Perret und Heinz Hodel.
Wüst: Edi Perret lässt sich aus gesundheitlichen Gründen frühpensionieren. Heinz Hodel hat gekündigt, weil er sich beruflich verändern will. Martin Ramsler hat das Unternehmen aus persönlichen Gründen verlassen.
Dafür haben Sie die alte Seilschaft aus Ihrer Swissair-Zeit beim Flughafen-Retailer Nuance geholt: Ruedi Keller als Leiter Management Services, Markus Vögeli als Finanzchef.
Wüst: Es geht die Mär um, dass man bei der Swissair angestellt sein musste, um bei Valora eine Kaderstelle zu erhalten. Das stimmt natürlich nicht. Mit Ruedi Keller habe ich zusammengearbeitet, aber Markus Vögeli wirkte vor meiner Zeit bei der Nuance. Zudem sehe ich nichts Schlechtes darin, jemanden anzustellen, mit dem man vorher gut zusammengearbeitet hat. Im Gegenteil: So kennt man bereits von Anfang an die Stärken und Schwächen, weiss, wie die jeweilige Person tickt und wie sie sich ins bestehende Team einfügen wird.
Ihre Strategie ist widersprüchlich. Offiziell heisst sie Fokussierung. Dennoch kaufen Sie zu, wie jüngst den österreichischen Pressegrossvertrieb.
Wüst: Das ist kein Widerspruch. Wir haben letzten September unsere Fokussierungsstrategie lanciert und dabei gesagt, dass wir auch Opportunitäten anschauen. Die beiden Besitzer Frieder und Franz Burda sind 73 respektive 68 Jahre alt. Sie haben eine Nachfolge-regelung für ihre Firma gesucht, diese Chance haben wir nun ergriffen.
Sie haben 50 bis 60 Mio Fr. für diesen Kauf bezahlt.
Wüst: Das hat ein Finanzanalyst geschrieben. Das möchte ich nicht kommentieren.
Was erhoffen Sie sich von dieser Expansion nach Österreich?
Wüst: Wir wollen den Pressegrosshandel stärken. Das gehört zu unserer Kernkompetenz. Es gibt Synergien. Wir überlegen uns auch Szenarien für einen Markteintritt im österreichischen Retail-Bereich. Wir wollen auch in Österreich weiter expandieren.
Sie wollen also auch das Kiosk- und Einzelverkaufsgeschäft in Österreich erobern?
Wüst: Das ist unser Ziel. Indirekt sind wir mit dem Kauf des Pressegrosshandels bereits im Retail-Geschäft, da wir dadurch auch Minderheitsbeteiligungen an Bahnhofsbuchhandlungen erworben haben. Die Mehrheiten hält aber die Firma Morova, die im Pressegrosshandel unser direkter Konkurrent ist.
Gab es zwischen Valora und Morova bereits Gespräche?
Wüst: Nein, noch nicht. Nach den Sommerferien werden wir aber selbstverständlich den Kontakt suchen und Morova fragen, wie verbunden sie mir ihrem Retail-Geschäft ist. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass diese Geschäfte den Kern bilden werden für eine Retaile-Expansion nach Österreich.
In welchen Ländern können Sie sich weitere Akquisitionen vorstellen?
Wüst: Im Moment ziehen wir die Fokussierungsstrategie durch, die wir bis 2005 abschliessen werden. Wir überlegen uns natürlich jetzt auch, was nach der Fokussierungsstrategie kommt.
Und, was kommt?
Wüst: Wir werden erst Ende Jahr so weit sein, etwas Konkretes dazu zu sagen.
Sie haben 41 von 59 Merkur-Filialen auf den 1. Juni an die Confiserie Läderach verkauft. Bereuen Sie dies, nachdem der Firmenchef Jürg Läderach wegen seiner Zugehörigkeit zur evangelischen Freikirche Kwasizabantu in Verruf kam?
Wüst: Ich wusste nichts von dieser Religionszugehörigkeit. Aber wir haben Herrn Läderach bereits früher die Firma Feller in Rüti verkauft, und diese Firma wird heute von ihm sehr professionell geführt, wir haben also gute Erfahrungen gemacht. Aber wir verfolgen natürlich die Situation.
Wie steht es mit den übrigen 18 Merkur-Filialen?
Wüst: Sieben Filialen bauen wir zu Kiosken um, neun weitere haben wir an Einzelinteressenten verkauft, und für die restlichen zwei stehen wir in Verhandlungen.
Was passiert mit den 55 Gastronomiebetrieben?
Wüst: Wir sind im Verkaufsprozess.
Wie viele Interessenten sind im Spiel?
Wüst: Mehrere, auch ausländische. Mit einem sind die Verhandlungen aber schon weit fortgeschritten. Wir möchten in erster Linie ein Gesamtpaket veräussern.
Schwieriger wird wohl der Verkauf von Professional Imaging, des Filmentwicklungsgeschäfts für Profis.
Wüst: Mit Ihrer Vermutung liegen Sie falsch: Wir sind in den Verhandlungen bereits sehr weit fortgeschritten. Ebenso wie bei den beiden Kaffeeröstereien in der Schweiz und in Deutschland.
Wie hat sich der Bereich Privat-Fotografie entwickelt?
Wüst: Da fahren wir bei der analogen Fotografie wie erwartet auf einer Umsatz-Minus-Schiene von 10 bis 12%, während im digitalen Bereich ein grosses Wachstum zu verzeichnen ist allerdings auf noch kleinem Niveau.
Weshalb halten Sie an der Kaffeekette Caffè Spettacolo fest?
Wüst: Caffè Spettacolo ist für uns nicht nur ein reines Gastrogeschäft, sondern besitzt einen starken Link zum Convenience-Geschäft. Wir sehen das als Entwicklungspotenzial.
Caffè Spettacolo war aber als Kaffeehaus geplant. Sie ändern nun Ihre Strategie Richtung Tchibo.
Wüst: Das ist keine Strategieänderung, sondern eine Weiterentwicklung. Wir sind die grösste Kaffeehauskette in der Schweiz und sind zudem profitabel.
Werden Sie im ersten halben Jahr die Verkäufe nicht eingerechnet operativen Gewinn schreiben?
Wüst: Selbstverständlich. Wir erwarten ein gutes Halbjahresergebnis mit ansprechenden Gewinnzahlen. Den genauen Betrag werden wir am 26. August 2004 mitteilen.
Im Kioskgeschäft fühlen Sie den Puls der Zeit. Wie ist die Konsumentenstimmung «an der Front»?
Wüst: Auf und ab leider. Einige Wochen laufen hervorragend, und in den nächsten Wochen entwickeln sich die Umsätze wieder markant zurück. Das Bild ist deshalb sehr uneinheitlich, die Bilanz durchzogen. In den ersten drei Monaten war die Entwicklung positiv, April und Mai waren schwach, Juni ist wieder besser gelaufen. Wenn wir für das ganze Jahr ein organisches Wachstum von 1 bis 2% aufweisen können, dann bin ich zufrieden. Wir haben keine klaren Indikationen für einen Aufschwung.
Welche Produkte laufen gut?
Wüst: Nach wie vor verkaufen wir Tabakprodukte und Presseerzeugnisse sowie Schokolade gut. Wenn die Temperaturen wieder steigen, wird auch der Absatz von Glaceartikeln und gekühlten Getränken hoffentlich wieder zunehmen.
Ihre Kiosks haben Sie neu k Kiosk getauft. Wie sieht Ihr neues Kioskkonzept aus?
Wüst: Wir stellen nicht einfach von rot auf blau um. Wir haben auch das Sortiment überarbeitet. Wir gestalten die Läden heller und freundlicher. Das Personal wird intensiver geschult.
Wie viele Produkte werden nach der Restrukturierung an den Kiosken noch zu finden sein?
Wüst: Anfänglich führten wir 20000 Artikel, in Zukunft werden wir zwischen 12000 bis maxi-mal 15000 Artikel anbieten. Aber die Verkleinerung des Sortiments merkt der Konsument gar nicht.
Wird der Kiosk bald auch zur Poststelle, zur Ticketeria und zum DVD-Händler?
Wüst: Der Kiosk ist dem ständigem Wandel unterworfen. Heute geht die Entwicklung des Kiosks Richtung multifunktionales Dienstleistungszentrum und Mini-Convenience-Geschäft. Warum nicht Tickets oder Klingeltöne verkaufen oder gar als Poststelle funktionieren? Gestern haben wir in der Konzernleitung zum Beispiel entschieden, dass wir am Kiosk künftig frischen Kaffee anbieten. Sie sehen: Der Kiosk ist einem permanenten Wandel unterworfen.
Wann gibts den Kiosk im Internet?
Wüst: Wir erarbeiten tatsächlich einen Internetkiosk. Dieser wird jedoch ganz andere Produkte anbieten als der herkömmliche Kiosk.
Wie passt der SC Bern in ein Unternehmen, das sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren will?
Wüst: Der SC Bern gehört nicht zu Valora. Wir führen diesen Klub nicht, sondern wir sind in der Sport-Stiftung vertreten.
Profil: Steckbrief
Name: Peter Wüst
Funktion: CEO Valora
Alter: 51
Wohnort: St. Gallen
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Karriere
1994-1998 CEO des Textilunternehmens Jakob Rohner AG
1999-2003 Verantwortlich für Verkauf und Marketing der Nuance-Gruppe
2003-2003 Mitglied Valora-Konzernleitung, zuständig für Sourcing und Marketing
2003-heute CEO Valora
Schlagworte
«Ich möchte mit Ex-Valora-Chef Reto Harmann einen Kaffe trinken gehen, weil ...
... ich kein Problem mit ihm habe. Aber zurzeit wäre das nicht opportun, weil Valora am 22. September 2004 eine erste Gerichtsverhandlung mit ihm führt.»
«Berührungspunkte mit Eishockey hatte ich bisher keine, weil ...
... ich andere Sportarten pflege, wie Skitouren, Mountain biken, Wandern.»
«Ich mache diesen Sommer Ferien in der Schweiz, weil ...
... es wunderschön zum Wandern ist.»
Valora N Letzer Kurs: Fr. 277
(in Mio Fr.) 2004* 2003 %
Umsatz 3090 3021 3
Ebit 130 106
Reingewinn 92 106
Eigenkapital 830 774 7
*Schätzung ZKB
Fazit: Valora hat noch viele Baustellen offen, etwa im Gastronomiebereich. Die Akquisition des österreichischen Pressegrossvertriebs und die Ankündigung eines Ausbaus der Tätigkeiten in Österreich muten deshalb etwas seltsam an, sind aber keineswegs als Abkehr vom eingeschlagenen Restrukturierungskurs zu interpretieren. Deshalb bleibt die Aktie ein interessantes Papier mit Entwicklungspotenzial.