Vom Glaspalast von BlackRock in der Londoner City, wo Philipp Hildebrand im sechsten Stock sein Büro bezogen hat, kann man auf das Gebäude der Bank of England blicken. Dort sitzt ein Mann, den er aus vergangenen Notenbankzeiten gut kennt: Mervyn King. Der tritt 2013 zurück – sein Job wurde kürzlich in der Zeitschrift «Economist» öffentlich ausgeschrieben. Lohn: 300 000 Pfund.

Hildebrand wird sich kaum melden: Aus der Kaste der Notenbanker wurde er wegen umstrittener Devisengeschäfte verstossen. Er hat sich beruflich neu ausgerichtet: Seit Anfang Oktober ist er als Vice Chairman im 22-köpfigen Führungsteam von BlackRock tätig, konzernweit zuständig für den Kontakt zu den wichtigsten Kunden in den Regionen Europa, Afrika, Mittlerer Osten und Asien. Besser bezahlt als King ist er allemal: Die anderen beiden Vizes von BlackRock erhielten letztes Jahr je rund acht bis neun Millionen Dollar – ein Mehrfaches der Million, die er zuletzt als Chef der Schweizerischen Nationalbank kassierte.

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Für Hildebrand beginnt auch persönlich eine neue Phase. Die Villa im Zürcher Quartier Enge hütet fortan sein Vater, die neue Wohnung in London ist bezogen. Mit Gattin und der zwölfjährigen Tochter hat sich Hildebrand in der Nähe des Regent’s Park mitten im Zentrum der Stadt niedergelassen. Kashya Hildebrand wolle weiter als Galeristin tätig sein und suche bereits nach einer geeigneten Location in der Themsestadt, heisst es aus dem Umfeld der Familie. Ob sie ihre Galerie in Zürich schliessen oder sie parallel zur neuen in London betreiben wird, ist noch offen.

Manche seiner ehemaligen Kollegen aus Notenbanktagen trifft er schon bald wieder – Ende November steht in New York das nächste Treffen der Group of Thirty an, einer der mächtigsten Logen der Welt. Unter dem Vorsitz von Jean-Claude Trichet, Ex-Chef der Europäischen Zentralbank, diskutiert ein exklusiver Zirkel von Notenbankern und Vertretern der internationalen Finanzwelt unter höchster Geheimhaltung wirtschaftspolitische Themen – Hildebrand ist dabei.

Auch wenn der Stress zugenommen habe – derzeit jettet Hildebrand für BlackRock rund um die Welt, um die Niederlassungen von New York bis Shanghai abzuklappern –, wirke er voller Energie, erzählen Vertraute. Ein Mann im beruflichen Hoch.

Tiefer Fall

Nur neun Monate zuvor sah die Lage ganz anders aus. Am 9. Januar 2012 trat er als Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zurück. Gestolpert war er über zweifelhafte Devisengeschäfte. Er konnte nicht glaubhaft nachweisen, dass seine Frau ohne sein Wissen 400 000 Franken in Dollars getauscht hatte. Zudem wirkte seine Kommunikation im Umfeld der Affäre unglaubwürdig, tauchten doch immer weitere E-Mails auf, die ein zweifelhaftes Licht auf das Finanzgebaren der Hildebrands warfen. Intern wie extern stieg das Misstrauen, für die Reputation einer Institution wie der Nationalbank war so etwas verheerend. Schliesslich forcierten nicht nur der Bankrat, sondern auch die Kollegen im Direktorium den Abgang des Präsidenten.

Eingebettet war das Ganze in eine der schmutzigsten Politaffären der jüngeren Geschichte. Christoph Blocher, Vizepräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP), wurde dabei vorgeworfen, mit gestohlenen Kundendaten eine Art Komplott gegen den von seiner Partei wenig geliebten Notenbankchef geschmiedet zu haben. Details über Konten der Hildebrands bei der Basler Bank Sarasin wurden von einem IT-Mitarbeiter der Bank entwendet. Blocher legte diese Daten dem Bundesrat vor und löste damit die Untersuchung gegen Hildebrand aus.

Es war die Initialzündung für einen beispiellos tiefen Fall. Noch 2011 war Hildebrand von der Zeitschrift «The Banker» zum Notenbanker des Jahres ernannt worden. Durch seine Rolle als Vizepräsident des Financial Stability Board wirkte der Schweizer an der Schaltstelle der Wirtschaftswelt. Und dann dies.

Hildebrand räumte das Feld, betonte aber, rechtlich müsse er sich nichts vorwerfen lassen. Er sah sich als Opfer, nicht als Täter. Nicht nur im Umfeld der SNB schüttelten viele den Kopf angesichts dieser Argumentation. Hildebrand gehe die Sensibilität für die Lage ab, so der Eindruck. Als Notenbankchef müsse er besonders vorbildhaft agieren und dürfe sich nicht hinter Reglementen verstecken. «Dass er im Vorfeld von Marktinterventionen Devisengeschäfte tätigt, ist absolut inakzeptabel», betont ein ehemaliges Direktoriumsmitglied. Bei vielen Vertretern des Establishments ist Hildebrand seither untendurch.

Er tauchte ab und ging mit seiner Familie für mehrere Wochen in die Ferien nach Asien. Die SNB garantierte ihm die Lohnfortzahlung für zwölf Monate.

Nach der Rückkehr in die Schweiz nahm er seine berufliche und persönliche Neupositionierung in Angriff. Wie die Sache herauskommen würde, war unklar. Wie stark war seine Reputation angeschlagen?

Um seine Voraussetzungen in der undurchsichtigen Informationslage zu stärken, willigte er ein, auch seine Finanzaktivitäten auf mehrere Jahre zurück durchleuchten zu lassen. Einer solchen Prüfung aller Transaktionen durch die Revisionsgesellschaft KPMG mussten sich die verbliebenen Mitglieder des Direktoriums, Thomas Jordan und Jean-Pierre Danthine, unterziehen. Die SNB wollte nicht riskieren, bei den Nachfolgern eventuell ebenfalls von versteckten Problemen heimgesucht zu werden. Der KPMG-Bericht fand keinen Regelverstoss von Hildebrand. Das Papier wurde als Kurzbericht veröffentlicht. Es war für die berufliche Neupositionierung von Hildebrand deshalb wichtig, weil ein potenzieller neuer Arbeitgeber kaum riskieren wollte, sich mit Hildebrand Reputationsprobleme ins Haus zu holen.

BlackRock zeigte schon früh Interesse an einer Anstellung des Notenbankers. Der allmächtige Laurence (Larry) Fink, Gründer, Chairman und CEO, habe Hildebrand nur wenige Wochen nach dessen Rücktritt spontan angerufen, erzählen Insider. Fink wusste um die ausgezeichneten Kontakte, die sich Hildebrand in der internationalen Finanzwelt erworben hatte. Diese würden für die Geschäftsausweitung von BlackRock nützlich sein.

Das Interesse von BlackRock muss Hildebrand mehr als gelegen gekommen sein. Auch wenn er einige Anfragen bekam, so war sein Spielraum doch eng. Als ehemaliger Regulator konnte er kaum zu einer Schweizer Bank wechseln, hatte er diese doch vorher an die Kandare genommen. Auch bei ausländischen Instituten mit starkem Investment Banking oder milliardenhoher Bilanzsumme hätte er kaum glaubwürdig agieren können, hatte er die Risiken dieses Geschäfts doch stets getadelt. BlackRock aber ist ein Asset Manager, der im Auftrag von Kunden investiert (siehe «Powerhouse»).

Gut vernetzt

Wichtige Repräsentanten von BlackRock in der Schweiz kannte Hildebrand gut. Mit Länderchef Martin Gut geht er gerne Ski fahren. Auch Mathis Cabiallavetta, Vizepräsident von Swiss Re und Verwaltungsrat von BlackRock, soll begeistert vom US-Finanzhaus erzählt haben. Nach letzten Gesprächen im Mai und Juni sagte Hildebrand zu.

Zwischenzeitlich war er als Uni-Dozent in Oxford tätig. An der Blavatnik School of Government wirkte er als Visiting Fellow. Mit der Anstellung bei BlackRock hat er dieses Engagement nun allerdings reduziert: neu Mitglied des International Advisory Board, hält er nur noch vereinzelte Vorlesungen.

Jobmässig schnell auf Linie, stand die grösste Herausforderung noch an – seine Rückkehr aufs öffentliche Parkett. Seit Januar war er von der Bildfläche verschwunden. Wie würde die Öffentlichkeit auf einen Auftritt reagieren? Was, wenn er ausgepfiffen würde? Er hatte Bedenken und zögerte.

Anfang Juni wagte er den Schritt: Er trat als Überraschungsgast am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken auf. Dessen Chefs Stefan Linder und Peter Stähli konnten ihn überreden. Sie sind mit Hildebrand seit Jahren befreundet, er ist mehrmals als Speaker beim SEF aufgetreten. Hildebrand war im Programm nicht angekündigt worden. Die SEF-Chefs und auch er selber wollten sich angesichts der Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Affäre die Möglichkeit bis zuletzt offenhalten, auf den Auftritt zu verzichten.

Die Bedenken waren unbegründet. Als Hildebrand vor den rund 1400 Gästen die Bühne betrat, ging ein langer und warmer Applaus durch den Saal, es fehlte nicht viel zur Standing Ovation. «Ich fand es fast etwas übertrieben», erzählt ein Repräsentant einer Grossbank, der im Saal war, «es kam mir vor wie eine Art Heiligenverehrung.» Dass Hildebrand nach wie vor polarisiert, zeigte sich an einzelnen Gästen, die demonstrativ nicht klatschten.

Magistraler Segen

Seit diesem Auftritt wirkte Hildebrand wie befreit. Es war ein wichtiger persönlicher Wendepunkt.

Philipp Hildebrand hatte die Plattform allerdings auch geschickt ausgewählt. Er trat am SEF in der Veranstaltung mit Bundesrätin Doris Leuthard auf, was seinem Comeback eine Art magistrale Absegnung verlieh. Er hatte sich davor persönlich mit Leuthard getroffen und die Sache besprochen. Sie unterstützte sein Vorhaben.

Im Anschluss an den SEF-Auftritt liess sich Hildebrand munter weiter für Auftritte buchen. So sagte er etwa dem Schweizer Fernsehen zu, für die Sendung «Sternstunde Philosophie» zusammen mit dem ehemaligen UBS-Präsidenten Peter Kurer über das Thema «Geld stinkt nicht» zu diskutieren. Doch Arbeitgeber BlackRock soll wenig Freude an solcher Form von Selbstdarstellung gehabt haben. Die PR-Strategen des Finanzhauses wollen ihren Vize «low key» halten, vor allem Finanzthemen sind heikel. Als Hildebrand auf Drängen von BlackRock die Themen für die Sendung neu aushandeln wollte, stieg das Fernsehen aus. Es wurde beschlossen, die Diskussion am Gottlieb Duttweiler Institute ohne Kamera und Mikrofon stattfinden zu lassen.

Am Alpensymposium vom Januar ist Hildebrand gemeinsam mit Dieter Bohlen und Karl-Theodor zu Guttenberg als Referent gelistet. Ob es dem Gusto von Fink entspricht, seinen Vize zusammen mit einem sprücheklopfenden Fernsehentertainer und einem zurückgetretenen Politiker zu sehen, ist fraglich. BlackRock ist bekannt dafür, in Sachen Compliance und Reputation keinerlei Spielraum zu dulden. Hildebrand ist enge Fesseln wenig gewohnt. Bei der SNB agierte er mitunter mit einem Hang zur Selbstherrlichkeit, er stellte schon mal Bankratsmitglieder vor aller Augen in den Senkel.

Als Person polarisiert Hildebrand bis heute. Er gilt als hervorragender Netzwerker und durchsetzungsstarker Macher. Doch er ist auch überaus eitel und hat einen Hang zur Selbstdarstellung. Die Gründe für seinen Rücktritt bei der SNB vornehmlich in persönlichem Fehlverhalten zu suchen, liegt ihm fern. Das schnelle berufliche Comeback und die Sympathiebekundungen der Öffentlichkeit dürften einer selbstkritischen Aufarbeitung seiner Rolle wenig zuträglich sein.

Manager stolpern oft über die gleichen Fussangeln. Will Hildebrand langfristig erfolgreich bleiben, wird er wohl nicht darum herumkommen, mehr Bodenhaftung zu entwickeln.