Seit vier Jahren wirkt Pius Knüsel am Zürcher Hirschengraben. In der turbulenten Zeit hat er vor allem eines gelernt: Dass man sich in diesem Job schneller Feinde schafft als Freunde. «Die Pro Helvetia zu führen», sagt Knüsel, «ist wie surfen. Man steht auf dem Brett, muss das Gleichgewicht halten und jede Welle nehmen, wie sie kommt. Manchmal kommen die von allen Seiten gleichzeitig und der innere Kompass muss doch immer zeigen, wohin es gehen soll.»

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Jene Welle, die Ende 2004 auf Knüsel und die Stiftung prallte, war besonders heftig: Die unerwartet harsche Kritik an der Ausstellung des Künstlers Thomas Hirschhorn im Pro-Helvetia-eigenen Kulturzentrum in Paris und die daraus folgende parlamentarische Budgetkürzung haben dem Direktor immerhin gezeigt, dass es sich bewährt, Konflikte sachlich zu führen, treu zur eigenen Position zu stehen und die Kritiker ernst zu nehmen. «Die Krise hat das Haus zusammengeschweisst», sagt Knüsel.

Begrenzte Verantwortung

Der 1957 in Cham geborene einstige TV-Journalist gehört zu jenen Managern, die überzeugt davon sind, dass Krisen und Konflikte Stärke verleihen. Knüsel gilt als Optimist und Kämpfer. Mut, findet er, brauchen alle, die bei dieser Stiftung arbeiten und Kommunikationstalent. Als Chef müsse er das jeden Tag vorleben.

Dazu gehört auch die bewusste Provokation, so wie seine zehn Prüfsteine einer anderen Kulturförderpolitik, die im Januar in der «Weltwoche» veröffentlicht wurden und wo er unter anderem die Frage aufwarf, ob nicht auch Laienkultur vermehrt förderungswürdig sein könnte. «In der komplexen Struktur unserer Institution ist es manchmal nötig, einen Umweg über die Aussenwelt zu machen», ist er überzeugt und nimmt dabei in Kauf, dass der Stiftungsrat Kompetenzüberschreitungen des Direktors moniert.

Seinen Job bezeichnet Knüsel als Anachronismus. Der Umstand, dass er operativ die Stiftung führt und gegenüber Kunstschaffenden zu vertreten hat, gleichzeitig aber auch im Tagesgeschäft vom Stiftungsrat abhängig ist, führt zu einem Balanceakt, der viele längst dazu verleitet hätte, den Bettel hinzuschmeissen.

Nicht so Knüsel. Wird er, wie neulich an einem Managementsymposium, gefragt, wie man unter solchen Umständen überhaupt arbeiten und auch noch Ziele erreichen könne, sagt er: «Es braucht ein inneres Ziel. Meine Aufgabe ist zu führen, dafür zu sorgen, dass die Leute einen guten Job machen, dass sie effizient sind und die Richtlinien befolgen.»

Der studierte Germanist tut das längst mit modernen Managementmethoden. Viele von ihnen hat er in seiner Zeit als Kultursponsoringchef bei der Credit Suisse gelernt. Die Grossbank lobt er bezüglich Personalführung. Er habe dort die Qualifikations-Tools kennen gelernt, die er heute anwende, und erkannt, dass Führungszyklen gut seien.

Mit sämtlichen Direktuntergebenen hält er regelmässig Einzelbesprechungen. Alle 14 Tage ist GL-Sitzung. Das System ist synchronisiert. Es dauert maximal sieben Tage, bis das ganze Haus über wichtige Geschäfte von den jeweils direkten Vorgesetzten informiert ist. Zusätzlich hat Knüsel alle 100 Tage stattfindende Personalversammlungen eingeführt, um dem gesamten Team auch die langfristigen Entwicklungen auf politischer Ebene aufzuzeigen.

Regelmässige Feedbacks

Von seinen Abteilungsleitern verlangt er regelmässig Feedbacks. Fixe Sprechstunden für seine Mitarbeiter hat er wieder abgeschafft, «weil sich die Aktualität nicht nach Sprechstunden richtet». Auch in schwierigen Phasen halte er aber die Türen offen.

Laut geltendem Pro-Helvetia-Gesetz ist Knüsel eigentlich nur ein halber Chef, ein Sekretär. Er kann seine Kaderleute weder selbst einstellen noch entlassen. Das ist Sache des leitenden Ausschusses im Stiftungsrat. Das sich in Vernehmlassung befindende neue Pro-Helvetia-Gesetz, das frühestens 2008 in Kraft träte, brächte der Geschäftsstelle diesbezüglich die Kompetenzen und insgesamt mehr Verantwortung.

Die Verantwortung für die Unterstützungsentscheide läge neu bei der Geschäftsstelle und nicht mehr beim Stiftungsrat. Dieser würde verkleinert und hätte sich ausschliesslich um strategische Fragen zu kümmern. Klar, dass Knüsel alles tut, um dem neuen Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen.

Persönliche Kritik verletze ihn zwar, doch die Wunden heilten relativ schnell und nachtragend sei er nicht. Und doch gesteht er, dass er kürzlich nach dem Lesen eines Zeitungskommentars, der ihm Lavieren und Schielen nach allen Seiten vorwarf, «am liebsten die PC-Tastatur aus dem Fenster geschmissen hätte».

Knüsel funktioniert bei aller Cleverness und dem nötigen Feeling für die politischen Prozesse oft intuitiv und gilt als sensibel. Das wissen nicht nur die, die ihn besser kennen. Es beschäftigt ihn emotional stark, wenn er feststellt, wie bescheiden die eigenen Kräfte sein können oder, wie er es formuliert, «die persönlichen Einflussmöglichkeiten in einer historischen Dimension in der Messunschärfe verschwinden».

Eine Portion Narzissmus geht ihm nicht ab. Die brauche es, um in einer solchen Position zu bestehen. Schliesslich ist die Kunstbranche voll von Narzissten. Und doch ist ihm nichts so zuwider wie Protzerei. Noch immer trägt er dieses Bescheidenheitsideal mit sich, fährt am liebsten mit dem Velo zur Arbeit und schätzt den Glamour nicht. «Das ist meine Herkunft aus einer Büezerfamilie. Das bringt man nicht mehr weg.»

Reorganisation und Abbau

Führungsmässig die grösste Herausforderung war für Knüsel das Sparprogramm per Ende 2005. Die Betriebs- und Personalkosten von 37 auf fast 30% zu senken, war nur möglich mit einem Personalabbau. Doch für den Direktor kam Sparen allein nicht in Frage. Er forderte, dass der Abbau mit einer Perspektive verbunden zu sein habe, wie das Haus danach aussehen soll.

In der Folge beeinhaltete das Projekt «Vision 70» nicht nur den Abbau oder das Outsourcing von 16 der 72 Stellen, sondern auch eine prozessorientierte Reorganisation. «Bei allen Tränen und harten Entscheiden stelle ich heute fest: Die Verschlankung hat uns gut getan. Es ist jetzt mehr Luft im Haus und wir haben uns von einigen Fesseln gelöst», so Knüsel.

Mehr Luft muss sich der Pro-Helvetia-Direktor auch selbst regelmässig schaffen, mit bis zu 30 Stunden Sitzungszeit pro Woche. Inzwischen habe er sein Zeitmanagement im Griff. Im Vorfeld von wichtigen Ereignissen blockiert er Stundenblöcke im Wissen, für die Vorbereitung mit einem knapp berechneten Zeitaufwand auszukommen. «Diese Methode bewährt sich, bedingt aber das Vertrauen in die eigene Produktivität.»

Solche fordert er auch von seinen Mitarbeitern. «Man muss viel verlangen. Ich setze oft kurzfristige Deadlines auch für anspruchsvolle Aufgaben. Die Anstrengung, später wieder ins Thema zu kommen, ist viel grösser, als wenn man nur wenige Tage Zeit hat. Damit hat das Haus Tempo entwickelt.» Knüsel ist überzeugt von der motivierenden Wirkung und lässt die Mitarbeiter auch an wichtigen Prozessen teilhaben. «Nichts geht über ein gutes Team, und dieses formt man nur, wenn man sich selbst nicht zu schade ist, im übertragenen Sinn auch mal das Klo zu putzen.»

Dass die Pro Helvetia unter ihm eine bessere Konfliktkultur entwickelt hat, freut ihn. «Jetzt gibt es auch an Geschäftsleitungssitzungen zuweilen rote Köpfe wegen inhaltlicher Fragen. Das ist gut so», sagt Knüsel und strahlt.

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Steckbrief

Name: Pius Knüsel

Funktion: Direktor Pro Helvetia

Alter: 49

Zivilstand: Geschieden

Führungsprinzipien:

1. Ausreichend Schlaf - nur ausgeruht bleibt man auch in Konflikten ruhig.

2. Offene Türen für alle.

3. Zuhören heisst Mitarbeiter ernst nehmen, lenken heisst klar machen, dass man ein Ziel vor Augen hat.

4. Delegieren und Ergebnisse loben.

5. Vorbild sein in Sachen Ideenreichtum, Effizienz, Genauigkeit, Loyalität und Mut.

Karriere:

- 1985-1992 Kulturredaktor beim Schweizer Fernsehen

- 1992-1997 Programmleiter Jazzclub Moods

- 1998-2002 Leiter Kultursponsoring Credit Suisse

- seit 2002 Direktor Pro Helvetia

Firma

Pro Helvetia

Die nationale Kulturstiftung fördert das zeitgenössische Kulturschaffen und pflegt den kulturellen Austausch zwischen den Sprachregionen im Landesinnern und mit fremden Kulturen. Die Stiftung behandelt mit 57 Vollzeitstellen jährlich rund 3500 Gesuche und hat ein Budget von 33 Mio Fr.