Grössere Kunststoffabfälle sind nur ein Teil des Problems. Noch mehr Sorgen bereitet Mikroplastik, also Kunststoffteile, die kleiner als 5 Millimeter sind. Mikroplastik findet sich in allen möglichen Farben und Formen. Laut PET-Recycling Schweiz sind drei Quellen zu unterscheiden:
- Erstens werden die feinen Granulate als Zusatzstoffe diversen Kosmetik- und Körperpflegeprodukten wie etwa Peelingcremen und Zahnpasta gezielt beigemischt. Beim täglichen Gebrauch werden sie dann wieder ausgewaschen.
- Zweitens entstehen die winzigen Teile während der Nutzung von grösseren Kunststoffen, als Abrieb etwa von Autoreifen und von Schuhsohlen, als Abrasion von Farbanstrichen (Fassaden, Strassenmarkierungen und so weiter) oder als Mikrofasern beim Waschen.
- Drittens werden sie bei der Verwitterung von gelitterten und illegal entsorgten grösseren Kunststoffen freigesetzt.
Letzteres ist in der Schweiz mit ihren vorbildlichen Recycling- und Entsorgungssystemen zwar weniger ein Problem, zumal unser Land lediglich 1 von weltweit rund 400 Millionen Tonnen Kunststoff jährlich verbraucht. Laut Swiss Plastics, dem Verband der Kunststoffindustrie, wird bei uns 99,3 Prozent des Plastikmülls korrekt entsorgt.
Schweiz zwar ein Binnenland, aber...
Weltweit werden laut einer Studie im Auftrag des World Economic Forum (WEF) über 130 Millionen Tonnen Plastik jährlich weder rezykliert noch deponiert oder verbrannt, sondern gelangen unkontrolliert in die Umwelt. Und obwohl die Schweiz ein Binnenland ist und sich zu den sauberen Entsorgern zählt, gehört sie ebenfalls zu den Plastikmüllverschmutzern der Weltmeere. In welchem Ausmass sie tatsächlich zum Problem beiträgt, ist mangels Daten nicht genau bekannt. «Die Haupteintragsquelle für den Plastik, der zuletzt im Meer landet, ist bei uns der Mikroplastik-Abrieb», erklärt Stefanie Brauchli, Sprecherin von PET-Recycling Schweiz.
Moderne Filtersysteme in Kläranlagen könnten die Kunststoffteilchen zwar mehrheitlich zurückhalten. Aber längst nicht alle Anlagen sind entsprechend ausgerüstet. Ausserdem fliessen viele Plastikpartikel wie etwa Pneuabrieb oder Zigarettenstummel via Regenabwasser direkt in die Flüsse und später ins Meer.
Bern weiss von den Gefahren
Die Problematik des Mikroplastiks in der Umwelt hat in jüngster Zeit verschiedene Politiker auf den Plan gerufen. SP-Nationalrätin Martina Munz, Zürich, hat vor rund einem Jahr ein Postulat eingereicht. Sie und ihre Mitunterzeichner verlangen vom Bundesrat eine genauere Übersicht über die Quellen und Eintragswege von Plastik und Mikroplastik. Ausserdem sollen die Auswirkungen des Plastiks auf Flora, Fauna und die Gesundheit der Menschen eingehender untersucht werden. Ins Auge gefasst werden soll überdies ein umfassender Aktionsplan. Der Bundesrat hat die Annahme des Postulates beantragt; der Nationalrat hat ihm im März dieses Jahres zugestimmt.
In ähnliche Richtung zielt ein Vorstoss der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) des Nationalrates. Politisch im Raume steht zudem die Frage, ob und wann die Schweiz den im Dezember 2018 verabschiedeten EU-Rahmenvertrag übernehmen wird, der den Gebrauch von Plastikverpackungen massiv einschränkt. Zudem laufen Initiativen auf kommunaler und privatwirtschaftlicher Ebene. Die Stadt Genf zum Beispiel verbietet ab nächstem Jahr Einwegplastik. Auch grosse Konzerne machen gegen den Plastikmüll mobil. Morgan Stanley hat in diesem Frühjahr eine Plastic Waste Resolution verabschiedet. Die Bank will dafür sorgen, dass bis 2030 mindestens 50 Millionen Tonnen Plastikabfall aus der Umwelt beseitigt werden.
Es laufen also Bemühungen auf verschiedenen Ebenen, aber insgesamt fehlt eine übergeordnete Strategie. Überdies mangelt es auch an Daten und Wissen, obwohl die Mikroplastik-Verschmutzung länger schon Wissenschafter auf der ganzen Welt beschäftigt.
Stark vom Plastikproblem betroffen ist Asien. In Ländern wie China, Indonesien, den Philippinen und Vietnam übertreffen die Belastungen die zulässigen Schwellenwerte an vielen Orten.
Eine tickende Zeitbombe
Das ganz grosse Problem konzentriert sich auf die Weltmeere. Inzwischen schwimmen dort riesige Plastikmüllteppiche herum. Der grösste – im Pazifik zwischen Kalifornien und Hawaii – ist fast 38mal so gross wie die Schweiz. Rund die Hälfte der Gesamtmenge an Plastik in den Weltmeeren dürfte aus Flüssen stammen. In Bezug auf die Konzentration von Mikroplastik in den Weltmeeren liefern die Forscher des Flanders Marine Institute im belgischen Ostende bislang die genausten Berechnungen. Sie sprechen von einer «tickenden Zeitbombe» und gehen davon aus, dass der Mikroplastik in den Meeren sich bis zum Jahr 2100 um den Faktor 50 vervielfachen wird. Ab Mitte dieses Jahrhunderts dürften die für Mensch und Umwelt bedenklichen Schwellenwerte in vielen Meeresabschnitten erreicht sein. Gert Everaert, Leiter des belgischen Forschungsteams, bereitet der an den Stränden angeschwemmte Mikroplastiks noch mehr Sorgen, der sich dort anreichert und so ganze Küstenstriche verseucht.
The Ocean Cleanup verspricht die schnelle Säuberung der Meere von Plastikmüll. Doch viele Umweltschützer halten das Projekt für nutzlos. Mehr dazu lesen Sie hier.
Über das wirkliche Ausmass der Gefahren und Risiken kann im Moment zwar nur spekuliert werden. Doch vieles deutet darauf hin, dass gewisse Meeresgegenden heute schon weitaus gefährlicher mit Plastikmüll verschmutzt sind, als dies die Hochrechnungen der Wissenschafter vermuten lassen. Indizien dafür sind die Kadaver verendeter Meeresvögel und Wale mit dem Bauch voller Plastikmüll, wie sie immer zahlreicher aufgefunden werden. Im März dieses Jahres sorgte ein verendeter Schnabelwal für Schlagzeilen, in dessen Magen 40 Kilogramm Plastikabfall steckten, im Mai dann strandete in Cefalù auf Sizilien ein toter Pottwal mit 20 Kilo Plastik im Bauch.
Zumindest das Makroplastik-Problem liesse sich mit strikten Entsorgungssystemen durchaus lösen. Schwieriger dürfte es werden, auch die Mikroplastik-Teile in den Griff zu bekommen. Die Textilindustrie hat kürzlich erste Kunststofftextilien präsentiert, die nicht länger Mikrofasern verlieren sollen. Ein Knackpunkt bleibt der Pneuabrieb, der rund 35 Prozent zum Mikroplastik-Müll beisteuert. Kurt Röschli, Geschäftsführer von Swiss Plastics, meint: «Bis es technische Lösungen gibt, bleibt nichts anderes, als die Leute noch mehr zu sensibilisieren.» Die Botschaft lautete dann ganz einfach: Weniger Auto fahren, weniger – oder nur mit Filtersack – waschen, auf keinen Fall Plastik littern!