Er sah das Ende nicht kommen. Als Michel Kunz vier Tage vor seinem abrupten Aus als Post-Chef seiner Konzernleitung seine Version der Dinge erzählte, gab er sich zuversichtlich. Gut, am Montag würde ihn vor dem Gremium eine harte Diskussion erwarten, vielleicht gar eine Rüge, aber sicher nicht der Rausschmiss.
Doch es kam anders. Am Montag, dem 14. Dezember, stellte sich Kunz um 13 Uhr 30 dem Verwaltungsrat. Das Kontrollgremium war am Vormittag zusammengekommen. Es war Kunz’ letzter Arbeitstag beim gelben Riesen. Um 18 Uhr trat er vor die Konzernleitung, die nach der VR-Sitzung kurzfristig in die Schönburg, den Hauptsitz in Bern, bestellt worden war.
Auf zwei Dinge sei er stolz, verkündete er vor den neun Verwaltungsräten und neun Konzernleitungsmitgliedern in einer kurzen Abschiedsrede: dass die Post auch in diesem Jahr wieder ein gutes Resultat erzielen würde. Und dass er jeden Abend in den Spiegel sehen könne. Die Verwaltungsräte um Präsident Claude Béglé schwiegen. Kunz hatte Tränen in den Augen. Anschliessend schritten VR und Konzernleitung zur lange geplanten Weihnachtsfeier ins Berner Restaurant Zähringer. Michel Kunz war nicht mehr dabei.
Verbissener Infight. Es war zehn Tage vor Heiligabend das dramatische Ende eines unheiligen Machtkampfes, den die Schweizer Wirtschaft so noch nie gesehen hatte. Da lieferten sich zwei Topmanager in einem Staatsbetrieb monatelang einen verbissenen Infight, zumeist im Verdeckten, zuletzt in der Öffentlichkeit. Der Kampf begann schon vor der offiziellen Inthronisierung Béglés als Präsident am 1. April und spitzte sich seither stetig zu. BILANZ beschrieb das Hickhack Mitte September in der Titelstory «Béglé – der Rambo». Der Präsident wollte die Macht des Verwaltungsrats ausbauen und den Konzern über eine Holdingstruktur dezentralisieren, der CEO wirkte durch eine eigene Umstrukturierung auf Integration hin. Statt sich zu ergänzen, kämpfte das ungleiche Paar – hier der flamboyante Präsident, dort der technokratische Konzernchef – um jeden Millimeter. Man stritt über Kompetenzen, Büroräume, die Gunst von Verwaltungsräten und Kaderleuten. Zunehmend, heisst es intern, war das Post-Management durch die Kabale wie gelähmt.
Dass sich Béglé am Ende so klar durchsetzte, war in den letzten Wochen nicht ausgemacht. Zwar war allen Beteiligten klar, dass das Zerwürfnis zwischen dem Romand und dem Seeländer nicht mehr zu kitten war. Das Duell an der Spitze des Betriebs mit 55 000 Mitarbeitenden nahm skurrile Züge an. Auf Geheiss des Verwaltungsrates mussten die Streithähne je einen Mediator bestellen und sich verpflichten, einmal die Woche das Gespräch zu suchen – ein wahrlich aussergewöhnlicher Vorgang auf diesem Managementniveau. Das Verhältnis war jedoch längst zu zerrüttet, um auf der Couch noch gerettet zu werden. Gleichzeitig holten sich Präsident wie CEO je einen externen PR-Berater zur Unterstützung. Béglé heuerte PR-Profi Jörg Neef an, Kunz den ehemaligen «Blick»-Chefredaktor Bernhard Weissberg.
Während sich die beiden höchsten Pöstler des Landes eine veritable Feldschlacht lieferten, debattierte das Parlament über die Zukunft der Post. Mit dem neuen Postgesetz wird die Liberalisierung vorangetrieben und muss der Staatsbetrieb auf mehr Wettbewerb vorbereitet werden.
Sowohl im zuständigen Departement UVEK wie im Post-Verwaltungsrat wurde immer klarer, dass ein solcher Zustand nicht ewig auszusitzen ist. Die Absetzung des Präsidenten oder des CEO war genauso ein Szenario wie ein Rausschmiss von beiden. Dann aber lieferte Kunz seinem Rivalen die perfekte Steilvorlage.
Am 5. Dezember erschien in der «Basler Zeitung» ein Interview mit Michel Kunz, in dem er die Möglichkeit einer Briefkastengebühr thematisierte. Der Brisanz des Themas schien sich der Post-CEO nicht bewusst. Informiert darüber hatte er weder PR-Berater Weissberg noch die Kommunikationsabteilung der Post. Mit dem Präsidenten und dem Verwaltungsrat war der Vorstoss ebenso wenig abgesprochen wie mit dem UVEK von Moritz Leuenberger.
Der Vorschlag, dass gut drei Millionen Schweizer Haushalte mit einem Briefkasten künftig 60 Franken Jahresgebühr bezahlen sollten, um den Umsatzeinbruch bei der Briefpost zu kompensieren, schlug wie eine Bombe ein. Kunz zündete sie ausgerechnet in jener Woche, in der das Postmarktgesetz im Ständerat zur Diskussion stand.
Erstaunlich dabei: Ursprünglich stammte die Gebührenidee von Beat Friedli, dem Chef der Unternehmensentwicklung. Kunz hatte Vordenker Friedli im Sommer entmachtet, worauf Kontrahent Béglé diesen zu seinem Strategieentwickler ernannte. Noch in der Ära Ulrich Gygi hatte Friedli für eine internationale Postkonferenz ein Papier zum sogenannten Receiver Pays Principle erstellt, basierend auf einer Kundenbefragung im zürcherischen Binz. Kunz, damals noch Briefpostchef, war ein vehementer Gegner. Dass er die Idee ausgerechnet jetzt, im Kampf ums berufliche Überleben, ausgrub und im Alleingang propagierte, bleibt selbst Vertrauten rätselhaft. Es war der Schritt ins Verderben.
Nicht nur, weil der Vorschlag umstritten ist. Vielmehr hatte der Verwaltungsrat vorgängig entschieden, dass sich die Konzernleitung nicht mehr zur Briefpost äussere, solange die Beratungen im Parlament zum Postmarktgesetz im Gang seien.
Der Zweite Fehler. Was er ausgelöst hatte, wurde Kunz im Verlauf des Tages klar. Das UVEK distanzierte sich in einer Stellungnahme von der Idee einer Briefkastengebühr. Kunz’ oberster Boss, UVEK-Chef Moritz Leuenberger, kanzelte den Post-Chef und seinen Vorstoss in der «Tagesschau» mit harschen Worten ab: «Wir denken nicht im Traum daran!»
Dann beging Kunz den zweiten Fehler. Zwar schrieb er Leuenberger einen erklärenden Brief, mit Béglé aber redete er die ganze Woche kein Wort, obwohl der Verwaltungsrat ihn zur wöchentlichen Kommunikation verpflichtet hatte und diese in der vertrackten Situation besonders geboten gewesen wäre. Während Béglé sich darum bemühte, alle Abmachungen einzuhalten, und das Gespräch suchte, verweigerte sich sein CEO zunehmend. Das wurde ihm später angekreidet. Kunz vertraute offenbar auf seine Kontakte zum Bund, neben dem UVEK insbesondere zum Finanzdirektor Peter Siegenthaler. Solange er sich dort gedeckt wähnte, fühlte er sich sicher. Doch UVEK-Generalsekretär Hans Werder stand auch in intensivem Kontakt zu Béglé, der Werder als seinen «direkten Chef betrachtet und behandelt», so sagt ein Insider.
Béglé, von internen Machtkämpfen bei der französischen La Poste und der Deutschen Post gestählt, witterte seine Chance und nutzte sie: Statt sich schützend vor seinen CEO zu stellen, distanzierte er sich. Im «SonntagsBlick»-Interview meinte er nach Kunz’ Vorprellen, eine Briefkastengebühr sei im VR «nie ein Thema gewesen» und gehöre auch nicht zur Strategie der Post.
Nach Absprache mit dem UVEK wagte sich Béglé weiter vor. In Einzelgesprächen mit den Verwaltungsräten fühlte er deren Puls. Am Donnerstag vor der VR-Sitzung wusste der Präsident, dass er die Mehrheit auf seiner Seite hatte. Schliesslich kontaktierte er PostFinance-Chef Jürg Bucher, der in der Konzernleitung nie als Kunz-Freund galt. Bucher, der sich von niemandem in seine PostFinance dreinreden liess, hatte die Strategie eines integrierten Post-Konzerns, wie sie Kunz anstrebte, strikt abgelehnt: Er wollte einen Holding-Konzern mit autonomen Bereichen und eigener Kultur, genauso wie Béglé. Und natürlich wusste der Präsident auch, dass der 62-jährige Bucher, dem das Parlament gerade seinen Traum von der Banklizenz genommen hatte, den Chefposten als Krönung seiner langen Karriere sah.
Der Abgang. Das Terrain an der montäglichen VR-Sitzung war also vorbereitet. Béglé musste nicht mehr in grossem Stil eingreifen und hielt sich zurück. Selbst Mitglieder, die Kunz bislang wohlgesinnt waren, rückten von ihm ab. Dass er sich zweimal über Vorgaben des Verwaltungsrates – erst das Interview, dann die Nichtkommunikation mit Béglé – hinweggesetzt hatte, war zu viel. Das Votum zur Absetzung von Kunz fiel klar aus: Sechs stimmten gegen den CEO, drei Mitglieder enthielten sich der Stimme. PostFinance-Chef Bucher wurde dann mit neun zu null Stimmen zum Nachfolger gewählt. Turbo-Präsident Béglé hat seine Lektion gelernt und sich korrekt seiner Stimme enthalten.
Für Kunz bleibt nach 15 Jahren Postdienst mindestens eine Abfindung von einem Jahr – 850 000 Franken –, wahrscheinlich ein bisschen mehr. Offenbar haben Kunz und der VR nach der Mitteilung seiner Absetzung noch länger über die Modalitäten verhandelt. Dass Kunz «im gegenseitigen Einvernehmen» ausscheidet, deutet auf eine weitergehende Entschädigung für ihn hin.
Jetzt hat Béglé, der eigentlich lieber selber Post-CEO geworden wäre, freie Bahn. So ungestüm wie vor dem Eklat wird er aber kaum Gas geben. Der Erwartungsdruck steigt, und der umtriebige Macher muss zeigen, dass sein gewinnendes Temperament, sein Netzwerk und sein kreativer Geist auch zu konkreten Resultaten führen.
Nach geschlagener Schlacht, an der Weihnachtsfeier im Restaurant Zähringer, liess sich Präsident Béglé kein Triumphgefühl anmerken. Er freue sich, dass sich die Vision eines Holding-Konzerns mit autonomen Bereichen durchgesetzt habe, sagte er in einer kurzen Tischrede und versprach den Post-Spartenchefs eine Stärkung ihrer Bereiche. Es war eine gut verdauliche Botschaft.