Gerade mal zehn Meter trennen die Büros des Konzernchefs und des Präsidenten am Post-Hauptsitz Schönburg in Bern, doch gerungen wird um jeden Meter. Als jüngst das Büro des Generalsekretärs in der Führungsetage frei wurde, meldete Verwaltungsratspräsident Claude Béglé seinen Anspruch an: Da könnten doch seine zwei neuen Strategieverantwortlichen sitzen. Doch Konzernchef Michel Kunz wehrte sich. Er platzierte den Chef der neu geschaffenen Servicesparte im Raum. Bloss keinen Millimeter preisgeben.
Der Präsident und sein Konzernchef, die beiden Büronachbarn, könnten kaum gegensätzlicher sein. Hier Claude Béglé, der flamboyante Waadtländer, der in 15 Ländern lebte und am liebsten 24 Stunden am Tag als oberster Pöstler durch die Welt zöge, obwohl sein offizielles Pensum nur 40 Prozent beträgt. Dort Michel Kunz, der Konzernchef, geboren und aufgewachsen in Schüpfen im Berner Seeland, Ingenieur, Frühaufsteher, Hobbybergsteiger, profunder Kenner des Unternehmens, knochentrocken, hochpräzis.
Zwei unterschiedlich gepolte Alphatiere, die seit einem halben Jahr zusammen eines der grössten und traditionsreichsten Unternehmen der Schweiz führen sollen – die Schweizerische Post mit 55 000 Mitarbeitern. Ein Unternehmen, das an einem strategischen Scheideweg steht: Das Kerngeschäft der Brief- und Paketpost schrumpft dramatisch, das Briefmonopol wird gekappt. Innert fünf Jahren, schätzen Experten, werde das Kerngeschäft um 30 bis 40 Prozent einbrechen. Neue Geschäftsfelder, die diese Ausfälle kompensieren sollten, sind erst in Umrissen erkennbar (siehe «Buntes Gelb» unten).
Béglé und Kunz müssten sich zur Zukunftsbewältigung eigentlich zusammenraufen. Doch davon ist noch nicht viel zu spüren. Stattdessen liefern sich die beiden einen der heftigsten Machtkämpfe der jüngeren Schweizer Unternehmensgeschichte. Zündstoff liegt nicht allein in den unterschiedlichen Temperamenten, sondern auch in der Ausgangslage. Béglé wurde als Präsidentenkandidat angegangen, doch er liebäugelte mit dem Job des CEO, der seinem Naturell wesentlich besser entsprechen würde. Dagegen aber wurde bei der Post heftig opponiert. Béglé hätte kaum Chancen auf eine Ernennung durch den Verwaltungsrat gehabt. Und um CEO zu werden, hätte er aufs Präsidentenamt verzichten und sich einem Assessment unterziehen müssen – ein riskantes Manöver. Also liess sich Béglé («Ich bin ein Macher») zum Teilzeitpräsidenten wählen. Als neuen CEO portierte Béglé aber nicht den internen Kandidaten Michel Kunz, sondern den Ex-Swisscom-Manager Adrian Bult. Dieser unterlag – und mit ihm sein Promotor Béglé. Die Mehrheit im Verwaltungsrat stimmte für Kunz.
Der Plot für eine Mesalliance war gelegt: Der Präsident arbeitet mit einem CEO, den er nicht wollte; und der CEO wirkt unter einem Präsidenten, gegen den er vor dessen Ernennung aktiv agierte. Und beide wissen es.
Der ungestüm-kreative Claude Béglé, der Out-of-the-Box-Denker, der vor Ideen und Tatkraft strotzt, der die grossen Zusammenhänge liebt, drei Natels gleichzeitig benutzt, Ende Jahr jeweils persönliche Weihnachtsgrüsse an 4500 Freunde und Bekannte verschickt, ständig auf Achse ist und trotzdem unverbraucht wirkt, der mit seiner internationalen Erfahrung und seinem Logistik-Know-how punktet, dieser Béglé will eines: Gas geben. Michel Kunz dagegen, der Analytiker und Umsetzer, sieht sich in der betriebswirtschaftlichen Verantwortung. Der CEO, der ab 4.30 Uhr für eine Stunde im hauseigenen Fitnessraum trainiert, der das Unternehmen kennt wie seine Westentasche, zurückhaltend in der Art, fühlt sich durch die ständige Präsenz und die Übergriffe des Präsidenten eingeschränkt und an den Rand gedrängt.
Die Post geht ab in der Schönburg. Seit Monaten wird um alles und jedes gestritten: um Kompetenzen, Beratermandate, Zahlen, Bürobelegungen, um Personal, um die Gunst von Verwaltungsräten, von Kadermitarbeitern und – natürlich – um die Strategie.
Seinen Machtanspruch deklarierte der neue Präsident dem CEO erstmals offen bei der ersten Konzernleitungsretraite Ende April in Grindelwald. Eingeladen hatte Kunz, doch Béglé liess sich den Auftritt vor den Spartenchefs nicht nehmen. Charmant im Ton, aber unerbittlich in der Sache, stellte er erstmals sein Modell eines starken Verwaltungsrats vor. Das Gremium, das sich unter Béglés Vorgänger, dem Physiker Anton Menth, gegenüber der Konzernleitung eher zurückgenommen hatte, sollte unter dem Macher richtig wichtig werden: Festlegung der Strategie, Kommunikation, Personalauswahl – fast eine Art Obergeschäftsleitung.
Kunz, ein kontrollierter Charakter, liess sich nichts anmerken, schlug aber in den nächsten Wochen zurück. Er setzte eine Reorganisation durch, welche die Zentrale und damit seine eigene Macht stärken sollte. Er schuf die Abteilung Services, in der unter anderem die Informatik und das Immobilienwesen zusammengelegt wurden. Gleichzeitig stärkte Kunz die Abteilungen für Personal, Finanzen und Kommunikation. Dafür strich er den Bereich Konzernentwicklung radikal zusammen und siedelte die Aufgabe neu direkt in den einzelnen Abteilungen an, auf subalterner Stufe. Eine Todsünde in den Augen des Visionärs Béglé.
Dieser reagierte umgehend. Die beiden Verantwortlichen für Strategie und Konzernentwicklung, Beat Friedli und Martin Söderberg, nahm er kurzerhand zu sich und formierte ein neues Team. Es soll Baustellen im Betrieb ausmachen und analysieren. Die beiden Strategieentwickler und drei Sekretärinnen werden künftig dem Präsidenten und dessen Verwaltungsräten zudienen. Ganz grundsätzlich sollen die Gewichte stärker von der Konzernleitung hin zum Verwaltungsrat verschoben werden – eine klare Absage ans frühere Modell unter Präsident Anton Menth und CEO Ulrich Gygi. Menth wirkte im Hintergrund und überliess Gygi das Feld. Dachte man früher an Post, dachte man an Gygi. Kunz, gross geworden unter seinem Mentor Gygi, sieht sich in der Tradition seines Vorgängers, der neue Präsident dagegen hat andere Vorstellungen.
Ein Müsterchen aus dem zermürbenden Kleinkrieg in der Schönburg: Béglé, der hyperkommunikative Präsident, sollte den Konzernchef darüber informieren, wenn er das Gespräch mit Kaderleuten sucht. Da Béglé über sämtliche Ebenen und Dienstwege hinweg redet und führt, hat sich Kunz ausbedungen, dass Informationen aus der Konzernleitung nur von ihm stammen dürfen. Daran hält sich Béglé freilich nicht. Kunz hat seine Konzernleitungsmitglieder deshalb angehalten, ihm diese Verstösse zu melden. Das aber machen diese nicht immer. Denn auch wenn Kunz sie unmissverständlich auf den gemeinsamen Kampf gegen ClaudeBéglé einschwört, so finden doch einige Spartenchefs an den grösseren Autonomieversprechungen des Präsidenten Gefallen. Bloss: Zugeben dürfen sie es nicht.
Das Fingerhakeln ging an der Verwaltungsrats-Retraite vom 24. und 25. August in Thun in die nächste Runde. Der Präsident wollte nach sechs Monaten im Amt die Weichen stellen (siehe BILANZ 15/09: «Mit neuem Anlauf»). Béglé plant, die Gewichte vor allem in strategischen Belangen in Richtung Verwaltungsrat zu verschieben. Auf dem Programm standen Fragen der internationalen Strategie, mögliche Allianzen, die Corporate Governance und die Logistikstrategie.
Berater von Oliver Wyman präsentierten Vorschläge zur Reorganisation des Verwaltungsrats mittels neuer Ausschüsse, unter anderem zur Unternehmensentwicklung, für Fragen von Allianzen und Akquisitionen, aber auch für Organisation und Personalentwicklung. Vor allem aber schwebt Béglé ein Board Office vor, in dem unter seiner Ägide einzelne Sachfragen oder Vorhaben geprüft würden. Keine dramatischen Vorhaben, doch Kunz, der einige Tage vor der Retraite von Béglés Plänen erfahren hatte, schlug Alarm. Er machte in den zuständigen Departementen und bei verbündeten Verwaltungsräten mobil.
Béglé lief prompt auf. Verworfen wurde der Vorschlag eines Präsidialbüros, wie man es vom früheren UBS-Chairman Marcel Ospel her kennt. Ein Tabu in einem Staatsbetrieb, dem Corporate Governance heilig sein soll. Auch Béglés Visionen von globalen Allianzen wurden zurechtgestutzt. Zu nachhaltig ist die Erinnerung an die Auslandabenteuer der ehemaligen Telecom PTT. Wegen missglückter Expansionen musste die heutige Swisscom in den neunziger Jahren über 900 Millionen Franken abschreiben – besonders schmerzhaft waren die Erfahrungen in Indien. Und ausgerechnet diesen Boommarkt hatte Béglé im Visier. Im Sommer war er vor Ort, um sich geeignete Partner im IT-Sektor anzuschauen. Im Juli 2008 meinte er noch voller Tatendrang: «Wir müssen in Europa und global strategische Partnerschaften prüfen.» Heute scheint dieser Schritt, wiewohl vielleicht sinnvoll, kein vordringliches Ziel mehr zu sein. Stattdessen muss der Turbo auf dem Präsidentenstuhl nun eine Arbeitsgruppe einsetzen, die allfälligen Bedarf an Allianzen und Änderungen der Corporate Governance prüft.
Auch im Neugeschäft sind sich Präsident und Konzernleiter nicht immer einig. Mit dem Bereich Swiss Post Solutions – Outsourcing, Scanning usw. – möchte der Visionär im grossen Stil expandieren und den Umsatz von heute 700 Millionen Franken in den nächsten drei bis fünf Jahren aufs Drei- bis Vierfache hochschrauben. Viel zu ambitiös, glaubt offenbar die Konzernleitung um Kunz. Um die Richtigkeit seiner Prognose zu stützen und Béglé eines Besseren zu belehren, hat Kunz nun bei Roland Berger eine Studie in Auftrag gegeben, die das Wachstumspotenzial des Auslandgeschäfts ausloten soll.
Derweil vergeht die Zeit. «Allzu viel Neues hat man seit dem Ende der Ära Gygi noch nicht gehört oder gesehen», sagt ein Branchenkenner. Ob sich auch das Grossprojekt Logistikstrategie verzögert, wird sich weisen. Hier soll das Kerngeschäft auf Effizienz (PostMail, PostLogistics) getrimmt werden, federführend ist Kunz. Bis zu 2500 Stellen stünden auf dem Spiel, meldete kürzlich der «Sonntag». Béglé, der sonst stets für direkte Ansprache steht, gibt sich für einmal zurückhaltend und versöhnlich. «Wir haben moralische Pflichten, denen wir nachkommen möchten. Wir bleiben ein sozialer Arbeitgeber.» Das präsidiale Wort gefällt den Gewerkschaften, derweil Optimierer Kunz als knallharter Verhandler gefürchtet ist. Und auch beim heiklen Thema Poststellennetz, wo 420 Filialen auf dem Prüfstand stehen, werden Positionen gesucht und Allianzen geschmiedet. Im März drohte Béglé im «NZZ»-Interview: «Ich kann weder eine Garantie abgeben, noch will ich das bestehende Netz betonieren.» Nun sind ein Abbau und ein partieller Rückzug aus der teuren Fläche kein Thema mehr. Béglé: «Ersatzlos schliessen ist keine Option.» Offen ist auch die Frage, welche Auswirkungen das Sequencing, die vollautoamtische Posteinsortierung, auf den Bestand der Briefträger haben wird.
Dabei kommt der Staatsbetrieb Post nicht um eine Steigerung der Effizienz und der Rentabilität herum. Abzulesen ist die Schieflage auch an der Bedeutung der PostFinance. Vor ein paar Jahren trug dieser Konzernteil ein Viertel zum Gewinn bei, letztes Jahr war es knapp die Hälfte, heuer werden es bereits 60 Prozent sein.
Für Bern wird der Zweikampf an der Konzernspitze allmählich zum Problem. Bundesrat Moritz Leuenberger lässt das Gerangel auf der Chefetage jedenfalls nicht unberührt. Schliesslich hat er den umtriebigen Claude Béglé dem Gesamtbundesrat als neuen Präsidenten vorgeschlagen. Der Sozialdemokrat versucht die Wogen zu glätten: Anfang Jahr nahm er die Béglé-kritischen Verwaltungsräte Peter Sany, Wolfgang Werlé und Rudolf Hug ins Gebet, nachdem sie sich in einem Schreiben über die Zusammenarbeit beschwert hatten. Leuenberger ermahnte sie, sich zu arrangieren. Béglé, seinerzeit als Präsident erst nominiert, verteilte bereits Visitenkarten mit dem Aufdruck «Designated Chairman» und trat schon vor Amtsantritt forsch auf.
Bern will nach dem verpatzten Start jetzt vor allem eines: Ruhe. Die beiden Departmente Uvek und EFD begleiten Béglés Aktionen mittlerweile eng. Leuenbergers Generalsekretär Hans Werder und Peter Siegenthaler, Direktor der Finanzverwaltung, nahmen an der Retraite in Thun teil. Ob als Begleitschutz für den Präsidenten oder zur Supervision, ist nicht ganz klar.
Man darf gespannt sein, wie sich Uvek-Chef Leuenberger im Konflikt verhalten wird. Ärger in Personalfragen sitzt er gerne eisern aus – allerdings kann ihm auch unvermittelt der Kragen platzen. So war es im Konflikt mit André Auer, dem ehemaligen Chef des Luftfahrtamts BAZL. Dieser wurde trotz anhaltender Kritik an seiner Führung und den ungenügenden Strukturen lange von Leuenberger gestützt, dann aber Knall auf Fall entlassen. Dem umstrittenen Skyguide-Chef Alain Rossier hielt der Uvek-Chef nach dem Unglück von Ueberlingen im Jahr 2002 ebenfalls lange die Stange, 2006 gab Rossier überraschend seinen Abschied.
Auf verlorenem Posten steht der VR-Präsident Béglé aber nicht. Die verhärteten Fronten gegen ihn im Verwaltungsrat haben sich zum Teil gelöst. «Er engagiert sich stärker als sein Vorgänger und tut das gut», sagt ein Verwaltungsrat. Mehrere Mitglieder räumen ein, dass es durchaus sinnvoll sein könnte, das Vorgängermodell Gygi/Menth zu überdenken und daraus auszubrechen. Béglés breiter Erfahrungsschatz, seine Schaffens- und Überzeugungskraft loben selbst Kritiker.
Und kaum einer billigt Kunz heute schon die Statur seines Vorgängers Gygi zu. Doch auch Béglé wohlgesinnte Verwaltungsräte sagen, Kunz sei als CEO eine gute Wahl. Zumal der Präsident jemanden brauche, der die Details kennt und notfalls durch seine Kompetenz auf die Bremse tritt. Nein, im Verwaltungsrat hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich die beiden Alphatiere doch noch rechtzeitig zusammenraufen und ihre Egos hinter das Unternehmen Schweizerische Post stellen.