Wann haben Sie sich zuletzt wegen eines überrissenen Preises aufgeregt?
Stefan Meierhans: Ich habe vor kurzem eine Kreditkartenrechnung nicht fristgerecht beglichen. Das war mein Fehler. Aber die Rechnung hatte eine sehr kurze Zahlungsfrist von wenigen Tagen. Danach hat die Kreditkartenfirma eine hohe Mahn- und Zinsgebühr auf dem fälligen Betrag verlangt. Da ärgerte ich mich über die Gebühr – und über mich selbst.
Als Preisüberwacher mussten Sie vergangenes Jahr über 2000 Anfragen beantworten. Das ist ein Plus von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wie erklären Sie den Anstieg?
Konsumenten erwarten und fordern mehr als früher. Eine gegenläufige Entwicklung mit der Digitalisierung ist, dass die Preisbildungsprozesse durch die Anbieter immer undurchsichtiger werden, etwa bei dynamischen, individualisierten Preisen. Diese Mischung führt zu Konflikten zwischen Kunden und Anbietern, die häufig auf meinem Pult landen.
Sie schauen sich alle Anfragen selber an?
Ja, das sind pro Tag rund zehn Anfragen. Bisweilen kann ich nur mitteilen, dass eine andere Stelle zuständig ist – oder auf Ausweichmöglichkeiten hinweisen. Dennoch erhalte ich gerade in solchen Fällen oft eine positive Rückmeldung. Es kann auch vorkommen, dass es zu konzertierten Aktionen kommt. Ein schöner Teil der Dorfbevölkerung schreibt uns, weil sich das Abwasserreglement ändert.
Welche Themen interessieren die Leute am meisten?
Neben dem öffentlichen Verkehr, der Telekommunikation und der Post sind es die Krankenkassenprämien. Sie sind einer der grössten Posten im Haushaltsbudget.
Wie gross ist Ihr Einfluss als Preisüberwacher?
Ich bin zuständig, wenn der Preis nicht Ergebnis des wirksamen Wettbewerbs ist. Das Gesetz schreibt vor, dass der Preisüberwacher nur gegen marktmächtige Unternehmen vorgehen kann.
Herrscht in vielen Bereichen zu wenig Wettbewerb in der Schweiz?
Die Schweiz war lange ein Paradies der Kartelle. Auch waren wir im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern in der Liberalisierung einzelner Branchen sehr spät dran. Der Telekommarkt wurde erst zehn Jahre nachdem es schon in der EU eine Liberalisierung gegeben hatte, zaghaft geöffnet. Die Schweiz hinkt hinterher, wie in der Liberalisierung des Schienenverkehrs, des Strommarktes und der Postlogistik. Auch im Gesundheitswesen findet kaum Wettbewerb statt. Ich behaupte nicht, dass Wettbewerb in jedem Fall zu einem besseren Ergebnis führt; teilweise ist er nicht möglich – wie im Gesundheitswesen, wo eine starke Informationsasymmetrie herrscht – und teilweise unsinnig, weil Synergiegewinne wegfallen wie bei der Gebäudeversicherung.
Aufgrund welcher Kriterien werden Sie aktiv?
Das wichtigste Kriterium ist die volkswirtschaftliche Bedeutung. Darum ist unser Engagement auch am grössten im Gesundheitsbereich, der jährlich 80 Milliarden Franken in der Schweiz umsetzt, davon in der Grundversicherung 35 Milliarden Franken. Die relative Betroffenheit spielt auch eine Rolle. Wenn eine Gemeinde mit 500 Einwohnern die Abwassergebühren massiv erhöht, dann ist das für die dortige Bevölkerung sehr bedeutsam. Den Fall schauen wir uns natürlich auch an.
Was sind weitere Kriterien?
In vielen Bereichen kann ich gar nicht entscheiden, weil ich konsultiert werde. Bei staatlich administrierten Preisen müssen die Behörden mich konsultieren. Da gibt es eine Pflicht zur Preisüberwachung. Beispielsweise bei den Radio- und Fernsehgebühren muss mich der Bundesrat konsultieren. Das reicht von den Kehricht- und Abwassergebühren bis hin zu den Urheberrechten, Parkkarten oder Tarifen einer Kindertagesstätte. Verzichten kann ich da nur, wenn die Gebühren oder Preise nicht missbräuchlich oder irrelevant sind.
Ist Ihr Schwert als Preisüberwacher zu stumpf?
Im privatwirtschaftlichen Bereich ist mein Schwert scharf. Da kann ich konkrete Verfügungen erlassen, um die Preise zu senken. Dies gilt auch für die Post ausserhalb des Briefmonopols oder die SBB, weil diese Bundesbetriebe in privatrechtliche Gesellschaften ausgelagert sind und deren Preisbestimmungen den politischen Behörden entzogen sind.
Wo ist Ihr Handlungsspielraum beschränkt?
Wenn eine Behörde einen Preis festsetzt, habe ich eine weniger scharfe Waffe. Sind Parkgebühren überrissen, steht mir nur eine verschärfte Empfehlung zur Verfügung. Ich kann den Behörden etwas vorschlagen und diese Empfehlung öffentlich publizieren. Aber die Behörde muss lediglich öffentlich begründen, weshalb sie meinem Vorschlag nicht Folge leistet.
Ist es ein Trend, dass Gemeinden und Kantone lieber mehr Gebühren und Abgaben verlangen, statt den Steuerfuss zu erhöhen?
Ich habe keine empirische Evidenz dafür, aber mein anekdotisches Gefühl sagt mir: Ja. Bei den Gebührenlisten eines Kantons wie Bern oder Zürich gibt es Tausende von Positionen. Dies treibt seltsame Blüten. Ich hatte das Beispiel einer Bestattungsgebühr für Auswärtige, die sich von einem Jahr aufs andere verdoppelte. Als ich bei der Gemeinde nachfragte, stellte sich heraus, dass der Friedhof zu klein war. Die Gemeinde hätte den Friedhof sanieren und vergrössern müssen, was Investitionen bedeutet hätte. Also behalf man sich mit prohibitiven Gebühren gegen neue Gräber für Externe.
Wie definieren Sie Ihren Erfolg als Preisüberwacher?
Ich mache für unsere Behörde eine Art Erfolgskontrolle, aber ich veröffentliche sie nicht. Warum? Wenn ich an das Bundesamt für Gesundheit eine Empfehlung abgebe und der Bundesrat diese umsetzt und 180 Millionen Franken bei Medikamenten einspart, ist dies nur ein mittelbarer Erfolg für den Preisüberwacher. Direkt verantworten wir Preissenkungen bei der Post – jährlich rund 200 Millionen – oder im öffentlichen Verkehr, jeweils zwei- bis dreistellige Millionenbeträge. Über alles gesehen führt die Preisüberwachung jährlich zu Preissenkungen von einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag.
Ihr grösster Erfolg?
Wahrscheinlich die Spitaltarife. Als das System im Jahr 2012 eingeführt wurde, lag der Durchschnittswert bei klar über 10 000 Franken pro Fall, jetzt sind wir bei rund 9500 Franken. Da reden wir von Millionenbeträgen – über die Jahre sogar von Milliarden. Auch die Trendwende im öffentlichen Verkehr empfinde ich als Erfolg: Dass auch der SBB-Chef sagt, der ÖV solle nicht mehr teurer werden, und dass man auf die Preiserhöhung der Generalabonnemente verzichtet hat, zählt dazu.
Transparenz «In Bereichen, in denen der Wettbewerb nicht spielt, sorgt der Preisüberwacher für angemessene Preise und eine transparente Preispolitik»: So definiert der Preisüberwacher seine Hauptaufgabe. Er kann Preissenkungen empfehlen oder verfügen. Zu seinen Gebieten gehören etwa öffentlicher Verkehr, Posttaxen, Wasser- und Abfallpreise sowie Kosten für Spital und Medikamente. Konsumenten können ihn kontaktieren unter www.preisueberwacher.admin.ch.
Im Subventionsbetrug bei Postauto Schweiz hatten Sie früh den richtigen Riecher und kritische Fragen gestellt, passiert ist trotzdem sehr lange Zeit nichts – auch nicht beim Bundesamt für Verkehr. Frustriert?
Frustriert nicht, aber ziemlich verärgert. Die gelebte Intransparenz – notabene bei einem Betrieb der öffentlichen Hand – konnte ich nicht verstehen.
Wo stossen Sie noch auf Widerstand?
Bis vor dem Postautoskandal waren es vor allem alle staatsnahen Betriebe, die schwierig waren. Egal ob das SBB, Post oder Swisscom ist. In den Konzernzentralen hatte man wohl das Gefühl: Wir sind doch jetzt Firmen, die im freien Wettbewerb agieren. Was hat der Preisüberwacher mit uns zu schaffen? In der Regel erwartet der Eigentümer – der Bund oder die Kantone – teilweise auch einen Beitrag in seine Kasse – als Dividende oder als Einsparung bei den Subventionen zum Beispiel. Der Postautoskandal war ein wichtiger Katalysator. Allerdings fällt mir auf, dass diese Wirkung bereits wieder nachlässt.
Wo?
Die Verkehrsverbünde sind zum Teil sehr schwierig, so gaben viele von ihnen die Mehrwertsteuersenkung nicht an die Kunden weiter.
Ein Ärgernis sind Roaming-Gebühren. Die Europäische Union hat sie gestrichen. Weshalb ist die Schweiz ein gallisches Dorf?
Wenn man wirklich etwas ändern möchte wie beim Roaming, aber auch beim Geoblocking, dann braucht es systemische Änderungen, also wie es die EU vorgemacht hat: Der Gesetzgeber schafft die Roaming-Gebühren einfach ab.
Das Schweizer Parlament hat eine Motion zur Abschaffung der Roaming-Gebühren abgeschmettert. Wie erklären Sie sich das?
Fragen Sie unsere Parlamentarier. Ich habe den Eindruck, immer kurz vor einer Kommissionssitzung kommt ein Telekomanbieter und sagt: Wir haben einen neuen Tarifplan und für die Kunden schon viel erreicht; es braucht ja gar kein neues Gesetz, die Selbstregulierung funktioniert bestens. Ich finde: Je weniger Wettbewerb in einem Markt herrscht, desto wichtiger ist eine Marktordnung, die Leitplanken setzt und dafür sorgt, dass alle Teilnehmer zu ihrem Recht kommen. Das ist im Fernmeldebereich leider längst nicht der Fall. Die Swisscom behauptet stets, sie stehe im harten Wettbewerb. Mit Blick auf die Marktanteile und die Gewinne habe ich aber meine Zweifel, ob das so stimmt.
Oft hiess es von der Wettbewerbskommission: Gibt es einen Duopol, also zwei grosse Anbieter, die vielen kleinen Nachfragern gegenüberstehen, schläft der Preiswettbewerb ein. Zwei grosse Player wollen sich nämlich selten weh tun.
Ich bin kein Ökonom, der das ausführlich erforscht hat. Aber in der Regel gilt: Je weniger Akteure im Markt sind, desto weniger Wettbewerb gibt es. Das ist ein systemisches Problem in der Schweiz; wir haben manchmal in einer Branche viel liberalisiert, manchmal aber eben auch nicht.
Wie im Strommarkt.
Das ist sicher auch ein Fehler unserer Konsens-Wahl-Demokratie: Im Strommarkt gibt es Verordnungen und Gesetze mit festen Zinssätzen: 3,83 Gesamtkapitalkostensatz beziehungsweise 6,96 Prozent Rendite auf dem Eigenkapital für die Anbieter im Strombereich – das ist natürlich sehr fragwürdig in Zeiten der Nullzinspolitik.
Ein schöner garantierter Zins in einem Nullzinsumfeld. Genau.
Das ärgert mich auch sehr. Der Zins war zwar mal bei 4 Prozent und ist nun etwas gesunken. Dann gibt es aber eben Gutachter, die argumentieren, dass es einen Mindestzins für risikolose Anlagen braucht, der nie unter 2,5 Prozent sinkt, damit Versorgungssicherheit und Investitionsschutz gewährleistet seien. Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen.
Die Plattformökonomie zeigt: Oft gibt es nur einen grossen Anbieter. Was heisst das für Kunden und Preise?
Bei uns läuft ein formelles Verfahren gegen die Buchungsplattform Booking.com, weil wir keine einvernehmliche Lösung gefunden haben. Sind alle gesetzlich vorgegebenen Kriterien erfüllt, können wir noch in diesem Jahr eine Verfügung zur Preissenkung erlassen, gegen die das betroffene Unternehmen den Rechtsweg beschreiten kann. Hoteliers beschweren sich wegen der Gebühren, die sie an Booking zahlen, wenn sie dort ihre Zimmer offerieren. Sie machen geltend, dass sie kaum eine andere Wahl haben, als auf der Plattform ihre Dienstleistung anzubieten, sie seien sozusagen auf der Plattform gefangen. Es gebe kein Gleichgewicht in der Preisfestsetzung. Und dies zahle auch der Hotelgast eben mit. Solche formellen Verfahren gegen Unternehmen dauern aber oft sehr lange.
Immer öfter gibt es dynamische oder personalisierte Preise. Wie wollen Sie das überwachen?
Das ist eine Herausforderung, aber nicht unmöglich. Vor einigen Jahren haben wir mit der Fluggesellschaft Swiss eine Regelung gefunden bezüglich Flugpreisen: Es ging damals um die Routen Zürich–Luxemburg und Zürich–Brüssel.
Also Monopolstrecken der Star Alliance, zu der Lufthansa und die Swiss gehören…
Diese Routen sind sehr teuer. Wir konnten uns auf eine Preisreduktion in einer ebenfalls dynamischen Regelung einigen. Die Swiss musste zwar von Hand ihre Preisalgorithmen anpassen und Preisobergrenzen einführen, das Beispiel zeigt aber, dass es funktioniert und umgesetzt werden kann.
Wie lange läuft das noch?
Diese Regelung ist abgelaufen, sie lief bis Oktober 2016.
Und wann erneuern Sie die Regelung?
Ich reagiere, wenn ich Beschwerden von Kunden erhalte. Allerdings ist in dem Zusammenhang auch wichtig zu wissen, dass die Schweiz mit dem Luftverkehrsabkommen die Luftverkehrsregulierung an die EU abgegeben hat.
Schweizer Passagiere müssen sich an die EU wenden?
Wenn es sich um Routen in die EU handelt, ist grundsätzlich auch die EU zuständig. Das schliesst ein weiteres Eingreifen meinerseits allerdings nicht von vornherein aus. Allerdings gibt es auch im Luftverkehr das Problem der zu hohen staatlich garantierten Renditen bei den Flughäfen, was sich auf die Industrie auswirkt. Das halte ich für das aktuellere und gravierendere Problem.
Werden Sie Algorithmen prüfen, ob sie diskriminierungsfrei arbeiten?
Die Frage ist bisher noch nicht abschliessend beantwortet. Algorithmen sind eine Herausforderung aus regulatorischer Sicht. Aber wenn es viele Anbieter in einem Markt gibt und alle es praktizieren, dann kann auch beim Algorithmen-Einsatz grundsätzlich der Wettbewerb spielen. Dynamische Preise haben wir nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch bei Wintersport-Tickets. Bisher war das eher unproblematisch, weil es auch Rabatte gibt und einen veröffentlichten Maximalpreis.
Name: Stefan Meierhans
Vita: Meierhans wurde 1968 in Altstätten im St. Galler Rheintal geboren. Er studierte Recht an den Universitäten von Basel, Oslo und Uppsala und schloss 1998 mit einem Doktortitel der Universität Basel ab. Er arbeitete anschliessend im Bundesamt für Justiz und von 1998 bis 2003 im Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements im Stab der Bundesräte Arnold Koller und Ruth Metzler-Arnold. Bevor er 2008 Preisüberwacher wurde, war Stefan Meierhans bei Microsoft tätig. Er ist Mitglied der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Meierhans ist verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Bern.
Wenn in Zukunft die Migros sagt, die Orange in Porrentruy JU kostet 5 Franken und im Seefeld in Zürich 10 Franken, ist das diskriminierend?
Wenn Kunden ausweichen können und Auswahl haben, sehe ich kein Problem. Mich erinnern personalisierte Preise an die Situation auf einem Markt vor 500 Jahren: Ist da ein Käufer zum Händler gegangen und wollte ein Stück Stoff kaufen, hat der Händler sich den Käufer angeschaut und überlegt, ob er einen Reichen oder einen Armen vor sich hat, und entsprechend den Preis angepasst.
Heute weiss der digitalisierte Händler aber fast alles über seine Kundschaft und ihre Vorlieben.
Das ist sicher so. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Grundsätzlich gilt: Wo Preise diskriminiert werden können, kann dies auch ein volkswirtschaftlicher Vorteil sein. Problematisch wird es, wenn etwa Konzerne das vermeintlich reiche Schweizervolk preislich diskriminieren und so die Früchte unserer Anstrengungen pflücken, wie dies bei vielen im Ausland hergestellten Medikamenten der Fall ist.
Sie sind seit fast elf Jahren Preisüberwacher. Machen Sie den Job noch weitere elf Jahre?
Das frage ich mich manchmal auch – das ist auch gut so. Heute finde ich: Preisüberwacher ist einer der besten Jobs, den die Schweiz zu bieten hat. Er ist abwechslungsreich und spannend. Ich kann in verschiedene Bereiche reinschauen und Sinnstiftendes machen.