Eine Riesenüberraschung war es nicht. Schliesslich hat Medienkönig Rupert Murdoch bereits letztes Jahr einen möglichen Strategiewechsel angekündigt. Dennoch war das Staunen der Medienexperten nicht gering, als der frischgebackene Besitzer des Dow-Jones-Verlags Mitte Januar 2008 verkündete, alle Inhalte inklusive Archiv der renommierten Wirtschaftszeitung «Wall Street Journal» («WSJ») ins Internet zu stellen – gratis.

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Dabei hat das «WSJ» bereits 1996 seine Web-Inhalte grösstenteils kostenpflichtig gemacht – und gut damit verdient. Vor allem die von einer eigenständigen Redaktion gemachte Online-Ausgabe rentierte wie keine andere Internetzeitung: 980 000 Leser zahlten jährlich 79 Dollar respektive – als Abonnent der Druckausgabe – 49 Dollar. Das schwemmte der Zeitung geschätzte 65 Millionen Dollar in die Kasse.

Rupert Murdoch allerdings rechnet anders. In einem ersten Schritt fallen zwar die Online-Aboeinnahmen weg. Das kostenfreie Angebot lockt aber neue Nutzer an; im Dow-Jones-Verlag wird mit bis zu 30 Millionen neuen Besuchern gerechnet. Womit die «WSJ»-Internetplattform zusätzlich an Attraktivität gewinnen würde. Bereits heute gelten die Leser des Wirtschaftsblatts bei Online-Werbern als hochkarätige Zielgruppe.

Ob Murdochs Rechnung aufgeht, muss sich erst weisen. Sowieso ist die Öffnung des «WSJ» keine Pioniertat, sondern ein Gleichziehen mit der Konkurrenz. Den Damm gebrochen hat die altehrwürdige «New York Times», die bereits im September 2007 den grössten Teil ihres Web-Archivs unentgeltlich zugänglich machte. Nun lassen sich Originalartikel über den Tod des Pistolero Billy the Kid, den Untergang der «Titanic» oder die US-Wirtschaftsdepression der dreissiger Jahre abrufen. Zusätzlich haben die Nutzer Zugriff auf Videos der US-Fernsehstation CNBC.

Seither öffneten eine Reihe angesehener Zeitungen ihre Archive. Jüngst kündigte der deutsche Spiegel-Verlag die totale Öffnung an: Vom kommenden Frühjahr an haben die Surfer Zugang auf alle seit 1947 erschienenen «Spiegel»-Artikel sowie auf die Inhalte von «Spiegel Online», dazu kommen Lexika und Wörterbücher aus dem Hause Bertelsmann. «Das einst hochgelobte Geschäftsmodell der Printmedien, mit Zweitverwertungen im Internet Geld zu verdienen, ist tot», sagt Rainer Kuhlen. Der Professor für Informationswissenschaft der Universität Konstanz erwartet, dass die Artikel nun je nach Thema verlinkt werden, beispielsweise ein Reisebericht über Italien mit Sprachkursen oder touristischen Angeboten.

Schweizer Medien dage-gen halten ihre Archive meist unter Verschluss. Die «Neue Zürcher Zeitung» kassiert pro abgerufenen Artikel mehrere Franken, der «Tages-Anzeiger» leitet Anfragen ans kostenpflichtige Archiv der Schweizerischen Medien-datenbank weiter. Auch auf Artikel der BILANZ haben nur Abonnenten gratis Zugriff. SL