Die Clariden Bank, hob der Korrespondent der «Financial Times» an, als der Zusammenschluss der Credit-Suisse-Privatbanken zur neuen Clariden Leu der Presse vorgestellt wurde, die sei ihm ein Begriff. Die übrigen Namen hingegen seien ihm fremd.
Dieses Problem zumindest hat die CS mit ihrer strategischen Weichenstellung von Ende April gelöst. Sie schafft eine Bank unter der Marke Clariden Leu, die neue Nummer fünf im Schweizer Privatbankengeschäft, und gedenkt, mit ihr in der hiesigen Finanzindustrie ein Wörtchen mitzureden. Zwei der früheren CS-Töchter – die Clariden Bank und die Bank Leu – dürfen dem grösseren Ganzen ihren Namen geben, die restlichen drei Traditionshäuser, nämlich die Bank Hofmann, die Banca di Gestione Patrimoniale und die Effektenhändler CS Fides, verschwinden von der Bildfläche.
Der Schritt wird von den meisten Beobachtern begrüsst. Die fünf Institute ergänzten sich gut, sodass es wenig Überschneidungen und keine teuren Restrukturierungen gebe; die Kosten sänken durch Zentralisierung der Verwaltungsabteilungen, die Erträge stiegen dank mehr Produkten und Investitionspotenz. Kurz: Der Gewinn soll ab 2008, wenn die Integration erstmals uneingeschränkt wirkt, in die Höhe schiessen. Das Ganze, sagt Walter Berchtold, Chef des CS-Private-Banking und zukünftiger Präsident der Clariden Leu, sei mehr wert als die Einzelteile (siehe «100 Millionen mehr Reingewinn» auf Seite 55).
Hat Berchtold Recht? Ist der Ansatz der CS Erfolg versprechend? Es bleiben Fragezeichen. Auffällig ist der Unterschied zum Vorgehen der Nummer eins im globalen Vermögensverwaltungsgeschäft. Erzrivalin UBS verkaufte ihre Privatbanken letzten Herbst an Julius Bär. Während die UBS gegen ein Entgelt von rund sechs Milliarden Franken auf Kunden und Anlagegelder zu verzichten bereit war, marschiert Verfolgerin CS in die entgegengesetzte Richtung und stärkt ihr Privatbankengeschäft im Inland durch den Aufbau einer eigenen grossen Tochter im Segment der vermögenden Kundschaft. Und sie betont bei jeder Gelegenheit, dass ein späterer Verkauf oder ein Börsengang kein Thema sei. Im Gegenteil, Clariden Leu werde wenn möglich durch die eine oder andere Akquisition verstärkt.
Auf dem Weg, den die CS gewählt hat, lauern verschiedene Gefahren. Eine – wohl die grösste – geht vom Kunden aus. Wird jener vermögende Investor, der bisher den exklusiven Service einer Traditionsbank wie der Zürcher Hofmann schätzte, bei der viel grösseren Gruppe mit ihren 1800 Mitarbeitern verbleiben, wo er das Angebot mit 55 000 anderen Kunden teilen muss? Wiederum drängt sich der Vergleich mit der UBS auf. Diese sprach vor ihrem Deal mit Julius Bär ebenfalls jahrelang davon, die Privatbanken zu einer neuen Einheit zu verschmelzen. Doch am Ende schreckte sie davor zurück, aus Angst, die besten Mitarbeiter würden zur Konkurrenz oder in die Selbständigkeit abspringen und die Kunden mitnehmen. Statt zu integrieren oder die kleinen Banken gar vollständig ins weltumspannende UBS-Private-Banking zu transferieren – was möglicherweise hohe Vermögensabflüsse verursacht hätte –, muss nun Käuferin Julius Bär dieses Kernproblem einer jeden Integration im Bankgeschäft bewältigen.
Die Verantwortlichen der Credit Suisse und der Clariden Leu wollen von Abflüssen selbstverständlich nichts wissen. «Clariden Leu wird ihren Charakter bewahren und den traditionellen Werten einer kundennahen Schweizer Privatbank verpflichtet bleiben», verspricht Walter Berchtold. Deshalb rechnet er auch nicht mit einem Abgang wichtiger Kunden. Hans Nützi, bisheriger Leu-Chef und nun oberster Vermögensverwalter der fusionierten Clariden Leu, hört von langjährigen Kunden, die den Namensverlust kurz nach dem 250-Jahr-Jubiläum der Bank Leu bedauerten. «Dies ist nachvollziehbar», sagt Nützi, fährt aber fort: «Im direkten Gespräch konnten unsere Kundenberater diese Emotionen adressieren und den Kunden die Vorteile des Zusammenschlusses aufzeigen.»
Die Zukunft wird zeigen, ob sich sowohl die langjährigen Mitarbeiter als auch die betuchte Kundschaft im neuen Clariden-Leu-Verbund wohl fühlen. Zum Vergleich: Aus Kreisen der vergrösserten Julius Bär ist zu vernehmen, dass einige Kundenberater der übernommenen UBS-Privatbanken trotz vorteilhaften Konditionen abgesprungen seien und die Kundengelder mitgenommen hätten.
In einem zweiten Punkt unterscheiden sich CS und UBS nach der Weichenstellung mit den Privatbanken stärker als zuvor. Die UBS setzt ihren Ein-Marken-Ansatz konsequent in die Tat um, sie positioniert sich als global agierende Vermögensverwalterin, für die das Schweizer Bankgeheimnis immer unwichtiger wird. Die Milliarden, die ihr durch die Verkäufe der Privatbanken und der Beteiligung am Atel-Stromkonzern im letzten Geschäftsjahr zuflossen, investiert sie zügig im Ausland. Jüngst erwarb sie mehrere Finanzhäuser in aufstrebenden Märkten wie Brasilien und China sowie spezialisierte Privatbanken mit vermögender Kundschaft in Deutschland. Die bisherigen Resultate zeigen, dass die Strategie Früchte trägt. Selbst das kostspielige europäische Onshoregeschäft, bei dem die Kunden ihr Geld nicht in die Schweiz transferieren, sondern im eigenen Land anlegen, macht erstmals Gewinn.
Eine konsequente Ausrichtung wie bei der UBS – weg von der Abhängigkeit vom Schwarzgeld in der Schweiz, hin zu einer Präsenz in allen wichtigen Vermögenszentren – ist bei der CS (noch) nicht erkennbar. Statt ihre Privatbanken beispielsweise an einen ausländischen Multi zu verkaufen und die Milliarden in Fernost, Lateinamerika oder Europa zu reinvestieren, versucht sie, mit Clariden Leu eine zweite starke Marke mit Sitz in der Schweiz aufzubauen. Der CS-Aktionär wird damit Besitzer von zwei Banken mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen: einer global agierenden Vermögensverwaltungs- und Investmentbank und einer auf reiche Privatkunden fokussierten Bank mit Schwerpunkt Schweiz. Wenn er nur das eine, nicht aber das andere will, kommt der CS-Titel für ihn nicht in Frage. Während die UBS ihre Kräfte auf eine Marke konzentriert, droht bei der CS eine Verzettelung, und es ist nicht auszuschliessen, dass sich Mutter CS und Tochter Clariden Leu dereinst ins Gehege kommen.
Die unterschiedlichen Ansätze passen ins Bild der letzten Jahre. Die UBS, die beim Platzen der Internetblase weitgehend ungeschoren davonkam, weil sie just in diesen Jahren mit internen Problemen zu kämpfen hatte, investiert laufend aus einer Position der Stärke heraus in die Zukunft. Beharrlich setzt sie ihre Strategie um und verstärkt ihre Position als weltweit grösste Vermögensverwalterin und führende Wertschriftenbank. Der Verkauf der Privatbanken war ein wichtiger Stein in diesem Puzzle.
Die CS hingegen geriet nach der Jahrtausendwende in den Strudel der überbewerteten New Economy und versucht seither, ihren Rückstand aufzuholen. Das braucht eine Langfriststrategie und viel Geduld bei der Umsetzung. Nichts von beidem ist ersichtlich. Stattdessen erweckt die CS den Eindruck, ihren Unternehmenswert mit Überraschungsaktionen auf die Schnelle steigern zu wollen. Ein strategischer Ansatz, wie man ihn bei der UBS erkennen kann, leuchtet einem bei der Schaffung der Clariden Leu jedenfalls nicht ein. Denn was hat sich im Kern gegenüber vorher verändert? Statt dass jede Bank einzeln im Markt auftritt und ihren Gewinn separat an die Mutter abliefert, passiert das in Zukunft gebündelt. Um mehr geht es im Grunde genommen nicht.
Selbstverständlich hat die CS die Option geprüft, ihre Privatbanken zu verkaufen. Sie ist aber zum Schluss gekommen, dass sie die sicheren Gewinne ihrer Töchter den unsicheren einer Investition im Ausland vorzieht. Zusammen verdienten die fünf Banken im letzten Jahr 450 Millionen Franken, ab dem Jahr 2008 sollen es durch eine zentralisierte IT und weitere Synergien sowie dank neuen Kunden 550 Millionen sein. Jeder Clariden-Leu-Mitarbeiter würde demnach die stolze Summe von 300 000 Franken zum Gruppengewinn beisteuern. Bei der Julius Bär sollen es 250 000 Franken sein.
Als besondere Perle gilt die Clariden Bank. Sie ist aus der früheren White Weld hervorgegangen, wo CS-Konzernchef Oswald Grübel seine ersten Sporen abverdiente. Als die CS Mehrheitsaktionärin wurde, teilte sie White Weld auf: Das Handels- und Firmengeschäft ging an die CS First Boston, aus dem Privatkundengeschäft wurde die Clariden Bank. Da diese von ihrer Mutter an der langen Leine geführt wurde, zog sie innovative Manager an, die Risiken eingehen durften, für die sie bei der CS oder der UBS ihre Karriere aufs Spiel gesetzt hätten.
Dass die Clariden Bank bis heute unabhängig agieren konnte, hat sie dem früheren CS-Präsidenten Rainer E. Gut zu verdanken. Dieser garantierte den White-Weld-Besitzern und späteren Clariden-Chefs die unternehmerische Freiheit, solange sie aktiv im Geschäft seien. Nun scheidet mit Alex Hoffmann, dem bisherigen Präsidenten der Clariden Bank, der letzte der Gut-Boys aus. So wurde der Weg für eine Integration frei.
Einer der jungen Banker, die das enge Korsett einer Grossbank mit den Freiheiten bei der Clariden tauschte, ist Beat Wittmann, Sohn des emeritierten Freiburger Professors und Buchautors Walter Wittmann. Er stiess Mitte der neunziger Jahre zur Clariden und machte sich dort einen Namen als «Vater der Sektorfonds», Finanzvehikel, die nicht in Regionen und Währungen investierten, sondern auf Themen setzten. «Wir sagten uns damals, dass wir weltweit zu den Besten zählen wollen», schaut Wittmann auf seine Anfangszeit bei Clariden zurück. «Das geht nur mit einer grossen Anstrengung.»
Sektorfonds sind inzwischen alltäglich geworden, allein damit wird sich die Clariden Leu nicht von der Masse abheben können. Und auch ihre neue Grösse, als Plus herausgestrichen, ist keine Garantie für zukünftigen Erfolg. Es bleibt ein gewaltiger Abstand zu den globalen Finanzmultis. Ob im Markt tatsächlich genügend Raum für eine dritte Kraft à la Julius Bär und Clariden Leu besteht, bleibt offen.