Ein ständiges Auf und Ab ist das bestimmende Grundmuster der jüngeren Wirtschaftsgeschichte: Man schwimmt obenauf. Man verliert Marktanteile. Man verkündet einen Restrukturierungsplan – und gewinnt (hoffentlich) wieder an Boden. In der Regel können jene, die gerade «on top» sind, es sich erlauben, generöse Töne anzuschlagen. «Sie wollen einen Artikel über das Private Banking der beiden Schweizer Grossbanken schreiben?», fragt Marcel Rohner, 39-jähriger Wealth-Management-Chef der UBS, den Interviewer von der BILANZ. «Meiner Ansicht nach sollten Sie sich nicht auf die UBS oder die Credit Suisse beschränken. Es gibt hier zu Lande ja viele hervorragende Institute, die einen ausgezeichneten Job machen.»
So viel gönnerhafte Nonchalance im betonharten Wettbewerb wirkt schon fast verdächtig. Denn tatsächlich haben sich die grossen Schweizer Institute UBS und Credit Suisse im Private Banking mit Elan darangemacht, Markt-anteile zurückzugewinnen, die sie in den vergangenen fünf Jahren an kleinere Konkurrenten verloren hatten. Beide investieren grosse Summen in den Aufbau europäischer Onshore-Aktivitäten – natürlich mit dem Hintergedanken, den erwarteten Rückgang im Geschäft in den Steueroasen zu kompensieren. Den Privatbanken bleibt da nicht viel mehr zu tun, als sich in der Rolle des interessierten Beobachters zu üben – sie sind zu wenig kapitalstark, um im Ausland vergleichbare Strukturen aufbauen zu können.
Keine Frage: Auch UBS und Credit Suisse haben im Private Banking schwierige Jahre hinter sich. Galoppierende Ausgaben, sinkende Profite, frustrierte Kunden – nach Angaben der Unternehmensberatung Boston Consulting Group sanken die Umsätze allein im europäischen Onshore-Geschäft im Jahre 2001 um durchschnittlich rund zwölf Prozent, während die Kosten um etwa drei Prozent stiegen, weil die Banken weiter investierten. Die Gewinne brachen im Durchschnitt um 38 Prozent ein.
Andererseits erwies sich die Krise für die Grossen auch als Chance: Private-Banking-Kunden, so zeigte sich, neigen in schwierigen Zeiten eben doch dazu, ihr Geld grossen, bekannten Banken anzuvertrauen. «Das Kundenvertrauen wächst mit dem verwalteten Kundenvermögen, mit ‹assets under management›, und wird vor allem beim Zufluss von Neugeldern sichtbar», bestätigt CS-Private-Banking-Chef Alex Widmer. Anders ausgedrückt: «Big is beautiful» – die simple Erfolgsformel in der Vermögensverwaltung anno 2003.
Wie gut die beiden Schweizer Grossbanken im Private Banking positioniert sind, auch international, zeigt eine neuere Studie der Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton. Dabei sticht als spezifische Schweizer Stärke die besondere Stellung des Kundenberaters hervor, der die Präferenzen und Vorlieben der Kunden auch über Finanzthemen hinaus kennt. Etwa wenn die Topkunden der Credit Suisse bei Peter Sauber in den Formel-1-Zirkus hineinschauen können. Oder wenn man bei der UBS mit Vermögen über 50 Millionen Franken auch mal die «Alinghi» in Neuseeland besichtigen darf.
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Ein Blick auf die Zahlen bestätigt, dass die beiden heimischen Megavermögensverwalter weiterhin – oder wieder – gut unterwegs sind. Das Wealth-Management der UBS wies im vergangenen Jahr einen Gewinn vor Steuern von 2,8 Milliarden Franken aus. Besonders markant: Neugeldzuflüsse von 16,6 Milliarden Franken. Im zweiten Halbjahr verstärkte sich der Trend, der Gewinn vor Steuern betrug für den Bereich 1,19 Milliarden Franken in der Schweiz. Bei der Credit Suisse verzeichnete der von Alex Widmer verantwortete Bereich im zweiten Quartal einen Nettozufluss an Neugeldern von 3,8 Milliarden Franken, nachdem er im letzten Quartal des vergangenen Jahres noch hart am Abgrund gewandelt war und gerade 500 Millionen zugeflossen waren.
Ein Blick zurück: Bei der UBS hat man die Krise an den Finanzmärkten der letzten Jahren vergleichsweise schadlos überstanden. «Entscheidend ist, dass wir als Berater die Ruhe bewahren», beschwor Rohner am Tiefpunkt der Baisse. Er und sein Team vermieden notfallmässige Einschnitte und abrupte Kurskorrekturen. «Wir haben auch in den Boomphasen eine zurückhaltende Strategie gefahren», so der jugendlich wirkende Vermögensverwalter, «wir hatten eine etwas tiefere Aktienquote und waren auch defensiver bei der Titelauswahl als unsere Konkurrenten.»
Das Wealth-Management blieb die wichtigste, stabilste und gewinnträchtigste Sparte des Konzerns. Entsprechend selbstbewusst kann der Aargauer heute auftreten, der 1999 zum Chief Risk Officer des UBS-Konzerns ernannt wurde und im vergangenen Jahr das Zepter als oberster Vermögensverwalter übernahm. Für seinen Bereich hat sich Rohner Wachstum aus eigener Kraft auf die Fahne geschrieben. Seine «Europa-Initiative» zielt auf Kunden mit einem Vermögen ab 750 000 Franken. «Die kritische Masse haben wir mit den bis Mitte 2003 akquirierten 39 Milliarden Franken zwar noch nicht erreicht, aber der Trend stimmt mich optimistisch», sagt er. Wieso kauft Rohner keine Bank? Die Preise sind tief, Geld für eine Akquisition hätte die UBS genug. «Die Grundstrategie ist organisches Wachstum. Wir halten die Augen aber auch für selektive Akquisitionen offen. Zu den Private- Banking-Anbietern gehören unter anderen die grossen Universalbanken. Es ist voraussehbar, dass die eine oder andere sich vom Private Banking trennen wird. Daraus können sich für die UBS Möglichkeiten ergeben.»
Bei aller Freude über den Neugeldzufluss in Europa fällt auf, dass die neu gewonnenen Kunden massiv Geld gekostet haben. «Sicher werden wir auch weiterhin die Kosten kontrollieren müssen», kontert Rohner, «wir werden jedoch nicht in kurzfristiger Optik Infrastrukturen zerschlagen, die wir später mit viel höheren Kosten, als wir jetzt sparen, wieder aufbauen müssten.» Langfristig, besonnen, unaufgeregt, auch beim Anlagestil: Während bei Konkurrenten wie der Credit Suisse die Buy-and-hold-Strategie ausgedient hat, hält Rohner nichts davon, Kundenportfolios jetzt öfter und hektischer umzuschichten als früher. Man habe die Vergütungssysteme in den vergangenen Jahren ohnehin stark auf vermögensabhängige Gebühren umgestellt. «Von daher gibt es bei uns keinen unnötigen Anreiz zum Trading» – auch das eine klare Abkehr vom Brokerage-orientierten Private Banking, das die UBS mit der Akquisition von PaineWebber in den USA eigentlich zu forcieren schien.
So weit, so solide. Doch die Vorreiterrolle birgt auch Risiken. Während der grosse Rivale Credit Suisse nach den Einbrüchen der letzten Jahre eine Restrukturierungsstory bietet, darf sich die UBS kaum auf den Lorbeeren ausruhen. Rohner wird sich in ein paar Jahren fragen lassen müssen, ob er genug aus seinem Vorsprung gemacht hat. Das klassische Private Banking mit seinem Offshore-Geschäft bietet in den nächsten Jahren ein eher mässiges Aufwärtspotenzial. In Europa ist die UBS bereits so gut positioniert wie keine andere Schweizer Bank. In den letzten drei Jahren steigerte die Bank ihre verwalteten Vermögen im EU-Raum von 6 auf 40 Milliarden Franken und beschäftigt mittlerweile 600 Berater in 30 Finanzzentren.
Doch die Dimensionen relativieren den Erfolg: Die UBS verwaltet allein im Schweizer Private Banking 700 Milliarden Franken. Gewinne? Wohl frühestens in drei Jahren. Amerika? Da ist man mit PaineWebber vertreten, wobei die viel gepriesenen transatlantischen Synergien bisher eher undurchsichtig blieben. Asien? «Wir beobachten derzeit den Markt, insbesondere natürlich China, und werden uns zu gegebener Zeit dort verstärkt engagieren», sagt Rohner und klingt ein bisschen sehr lakonisch. Dass er im Ruf steht, eher vorsichtig zu sein, stört ihn nicht weiter. Als Risiko-Minimierer hat er sich längst verdient gemacht. Jetzt muss sich zeigen, ob er auch den Mut und die Kreativität aufbringt, das Geschäft forciert voranzutreiben.
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Anders die Ausgangslage bei der Credit Suisse. Der Finanzkonzern hat soeben die elementarste Vertrauenskrise seiner Geschichte überwunden. Ende letzten Jahres drohten die Zuflüsse an Neugeldern praktisch zu versiegen. Der neue Co-Chef Oswald Grübel verwies auf die schlechten Schlagzeilen in der Presse. «Das waren nicht gerade die Headlines, die eine Bank haben sollte.» Doch er handelte schnell, insbesondere beim Kronjuwel Private Banking. Hier hatte Thomas Wellauer mit einer Zweiteilung des Geschäfts in Private Banking International und Private Banking Schweiz die Struktur schwerfällig gemacht. Seit einem Jahr nun gibt es nur noch einen CEO: Alex Widmer. Dieser war bereits in der Geschäftsleitung des Private Banking, als Grübel diesen Bereich noch selbst leitete, wurde dann aber von Wellauer zur Seite gedrängt.
Mittlerweile belaufen sich die Neugeldzuflüsse wieder auf über fünf Milliarden Franken. Widmer holte die Kunden zurück. Zudem profitierte die Credit Suisse stärker als die UBS von den rigorosen Kostensenkungsmassnahmen und der aufgehellten Börsenstimmung. Das Private-Banking-Geschäft habe viel von seinem Glanz zurückgewonnen, jubelten die Analysten zuletzt. «Wir bilden hier zu Lande wieder die Messlatte im Private Banking», diesen Anspruch erhebt der Leiter des Schweizer CSPB-Geschäfts, Arthur Vayloyan. Zumindest was die Marge betrifft, muss man ihm Recht geben. Mit 120 Basispunkten im zweiten Quartal liegt die CSPB deutlich vor der UBS (104 Basispunkte) und verweist Vontobel, Sarasin und Julius Bär ins Mittelfeld. Wenn Oswald Grübel verlauten lässt, man habe im Private Banking «noch nicht wieder die Spitzenposition erlangt, die wir vor zwei, drei Jahren hatten», kann das die gute Stimmung kaum trüben. Alex Widmer lächelnd: «Welcher Chef würde so etwas nicht sagen?»
Widmer gilt als Macher und Motivator mit ausgeprägtem Geschäftssinn, aber auch als guter Stratege. Ab 1999 leitete der – wie Rohner im Aargau gebürtige – Spitzenbanker die Region Asien und Pazifik und konnte mit Wachstumsraten von über 20 Prozent die Vermögensbasis fast verdoppeln. Auf absehbare Zeit rechnet der 47-Jährige noch mit schwierigen Finanzmärkten. Das Wichtigste für ihn sei, jetzt die Kunden intensiv zu beraten. Eine zweite Herausforderung bestehe darin, die Wachstumschancen in Europa zu nutzen, widrigen Marktbedingungen zum Trotz. «In Frankreich, Spanien und Deutschland würden wir bei passender Gelegenheit auch zukaufen, denn organisches Wachstum dauert sehr lange.» Er ist überzeugt, dass seine Einheit mit einem hervorragenden Angebot auch auf Kosten der Konkurrenz wachsen könne. Kostenkontrolle sei wichtig, aber man müsse aufpassen, dass dem Rotstift nicht Geschäftschancen zum Opfer fielen.
Als grössten Wachstumsmarkt sieht Widmer vor allem Asien an, eine Region, in der er sich bestens auskennt. Und Amerika? Anders als die Konkurrenz von der UBS ist die Credit Suisse im Private-Banking-Geschäft in den Vereinigten Staaten nicht präsent. Widmer formuliert im Gespräch mit der BILANZ vorsichtig. «Das steht zurzeit nicht zur Diskussion. Für uns hat der Ausbau des Geschäfts in Europa und Asien die grösste Priorität.» Ein Einstieg ins US-Private-Banking-Geschäft wäre in der Tat schwierig. Wie aus Unternehmenskreisen zu hören ist, würde sich Widmer nicht nur mit etablierten Playern und einem völlig unterschiedlichen regulatorischen Umfeld herumzuschlagen haben, sondern möglicherweise auch mit Konkurrenz aus dem eigenen Hause. Die Investment-Banking-Kollegen von CSFB, so heisst es, seien derzeit selbst an dem Ausbau einer eigenen Brokerage-getriebenen Vermögensverwaltung interessiert.
Ob es am Ende womöglich über das Private Banking zu dem von vielen prophezeiten Lagerkampf zwischen der Grübel- und der Mack-Fraktion kommen könnte, bleibt abzuwarten. Kurzfristig kommt es für Widmers Erfolg entscheidend darauf an, dass seine beiden Chefs es schaffen, die Credit Suisse endgültig vom Ruf einer Skandaltruppe zu befreien. Private Banking ist am Ende eben doch Vertrauenssache.
Aufregende Zeiten, alles in allem. Die Konsolidierung und Internationalisierung im Private Banking wird sich eher noch beschleunigen. Seit 1999 verging kein Jahr, in dem nicht Übernahmen und Fusionen für Schlagzeilen sorgten. Des Weiteren werden sich die Institute infolge der amerikanischen Finanzskandale auf stetig kompliziertere Regulierungen einzurichten haben. Schon heute wird der hiesige Finanzplatz mit immer neuen Regelwerken und internationalen Bestimmungen eingedeckt. «An dem ständig wachsenden Paragrafen-Dschungel droht unsere Branche zu ersticken», sagt Christian Rahn, Teilhaber der ältesten Zürcher Privatbank, Rahn & Bodmer. Ein dritter Punkt ist das gestiegene Anspruchsdenken der Anleger, und das überall auf der Welt. Früher war das Geschäft im Grunde einfach: Der Anleger parkte sein Geld beim Institut seines Vertrauens, gab sich mit Festgeldanlagen und Anleihen zufrieden und riskierte einen ganz kleinen Teil an der Börse. Heute verlangen topinformierte Investoren Dinge wie Long-Short-Strategien, Arbitragestrukturen, ereignisorientierte Anlagestrategien oder kapitalmarkt-basierte Schuldtitel. Doch auch dieser Trend sollte den Grossen in die Hände spielen. Gestiegene Ansprüche stellen kleinere Banken und Branchenneulinge nämlich vor erhebliche Probleme. Man braucht eben gute Leute, und die sind teuer. Wenn man die kritische Grösse nicht hat, kann man diese Kostenstruktur nicht schultern.
Es steht einem Land von der Grösse der Schweiz nicht schlecht zu Gesicht, im Private Banking mit zwei Playern aufzuwarten, die in der Weltliga spielen, statt in der Kreisklasse zu kicken. Marcel Rohner und Alex Widmer bewältigen eine nicht nur für ihre jeweiligen Konzerne extrem wichtige Aufgabe. Sie stehen gleichsam auch in volkswirtschaftlicher Verantwortung.
Nur gut, wenn sich da zwei unternehmerische Alphatiere gegenseitig zu Höchstleistungen antreiben. UBS-Mann Rohner bringt das Geheimnis des Erfolges des eidgenössischen Banking-Duos wohl am besten auf den Punkt: Auf die Frage, warum die CSG im Private Banking immer noch höhere Nettomargen erzielt als die UBS, sagt er: «Es ist eben sehr gut und gesund, starke Mitbewerber zu haben.»