Immer mehr AHV- und IV-Rentner haben nicht genug Geld zum Leben und sind auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der EL-Bezüger jährlich um drei Prozent gewachsen – auf 337'000 Personen Ende letzten Jahres.
Die Ausgaben für EL stiegen jährlich gar um vier Prozent auf zuletzt 5,2 Milliarden Franken (2019). Mit der Reform der EL, die auf Anfang 2021 in Kraft tritt, soll dieses Kostenwachstum gedämpft werden. Wie kommt die Reform bei der Altersorganisation Pro Senectute an? Und wie verhält es sich mit der Altersarmut in der Schweiz? Alain Huber, Direktor von Pro Senectute, gibt Auskunft.
Wie hat sich die Altersarmut in der Schweiz in den letzten Jahren entwickelt?
Alain Huber: Wir haben vor zehn Jahren in einer Studie gezeigt, dass es das Problem Altersarmut in unserem Land nach wie vor gibt. Heute ist immer noch immer jede achte Person im Alter von Armut betroffen.
Wie ist Altersarmut definiert?
Eine genaue Definition gibt es nicht. Aber man kann sagen, dass als arm bezeichnet werden muss, wer Ergänzungsleitungen bezieht.
Nimmt die Altersarmut tendenziell zu oder ab?
Der Anteil bleibt wohl ähnlich hoch. Wir stellen aber fest, dass bei Pro Senectute immer mehr ältere Leute Rat suchen, weil sie nicht genug Geld haben. Vor zehn Jahren waren es rund 30'000 Personen jährlich, jetzt sind es 60’000. Diese Leute sind meist so knapp bei Kasse, dass sie schon bei einer höheren Ausgabe wie zum Beispiel einer Zahnarztrechnung ein Finanzierungsproblem haben. Oft ist die Altersarmut aber nicht sichtbar. Um hier mehr Klarheit zu haben, planen wir derzeit eine neue Studie.
Wie steht die Schweiz da bezüglich Altersarmut im Vergleich zu anderen Ländern?
In der Schweiz haben wir sicher eine gute soziale Absicherung, wenn man mit dem Ausland vergleicht. Dennoch muss man die Altersvorsorge im Auge behalten. Wir kennen die Herausforderungen aufgrund der demographischen Entwicklung: Es wird in Zukunft immer mehr Menschen im Pensionsalter geben. Zudem könnte die Corona-Krise dazu führen, dass viele Leute entlassen oder in die Frühpension geschickt werden. Die Gefahr ist gross, dass die Altersarmut weiter zunimmt.
Im neuen Jahr tritt die Reform der Ergänzungsleistungen in Kraft. Eine gute Sache?
Wir begrüssen es sehr, dass diese Reform zustande gekommen ist. Wir haben uns seit über zehn Jahren dafür engagiert. Die maximalen Mietzinse von EL-Bezügern wurden ja seit fast zwanzig Jahren nicht mehr erhöht.
Sie sprechen von der Obergrenze für Wohnkosten bei der Berechnung der EL. Die EL-Bezüger haben künftig etwas mehr Spielraum bei der Wohnungssuche.
Was aber fehlt, ist ein Automatismus, der dafür sorgt, dass diese Obergrenze regelmässig angepasst wird, sobald sich die Mietkosten verändern. Die Mietzinse in der Schweiz entwickeln sich sehr dynamisch und nehmen im Normalfall zu.
Mit der Reform werden auch die Vermögens-Freibeträge herabgesetzt, die bei der Berechnung der EL gelten. Man muss als Rentner mit Ergänzungsleistungen also einen grösseren Teil seines Vermögens aufbrauchen. Ist das eine sinnvolle Änderung?
Durchaus. Es ist ja schon so, dass die Ausgaben bei den Ergänzungsleistungen laufend steigen. Die Lebenserwartung wird immer höher. Darum muss man sich natürlich Gedanken machen, wie die Leute für das Alter genug Geld zur Seite legen können.
Die häufigsten Bezüger von Ergänzungsleistungen sind alte Menschen in Heimen. An sie fliessen sechzig Prozent des Geldes. Dabei leben nur etwa 100'000 von insgesamt 1,6 Millionen Senioren in einem Heim.
Darum wäre es wichtig, dass alte Menschen mit wenig Geld wenn möglich zuhause leben können. Die Kosten für die Betreuung und für Dienste im Haushalt sollten auch sie sich leisten können, zum Beispiel über Ergänzungsleistungen. So liesse sich insgesamt Geld sparen. Heute wird nur die medizinische Pflege übernommen, von den Krankenkassen.
Haben Sie Zahlen?
Pro Senectute hat in einer Studie berechnet, dass sich solche Betreuungsleistungen insgesamt auf 4,2 bis 5,4 Milliarden Franken pro Jahr belaufen würden. Dank gezielter finanzieller Hilfen könnten betreuungsbedürftige Menschen Unterstützung in Anspruch nehmen und den Übertritt ins Pflegheim hinauszögern oder sogar ganz vermeiden. Das würde den Druck auf die Gesundheitskosten spürbar reduzieren.
- Höhere Mietzinsbeiträge: EL-Bezüger können sich höhere Beträge für ihre Wohnkosten anrechnen lassen. Die Beiträge sind nach Wohnort und nach der Anzahl der Personen in einem Haushalt abgestuft.
- Neue Vermögensgrenzen: Wer ein Vermögen von mehr als 100'000 Franken (Paare: 200'000 Franken) besitzt, hat keinen Anspruch mehr auf Ergänzungsleistungen. Selbstbewohntes Wohneigentum wird nicht dazugerechnet.
- Tiefere Vermögensfreibeträge: Bei der Berechnung der EL gilt neu ein Vermögenfreibetrag von 30'000 Franken für Alleinstehende (bisher 37'500 Franken) und 50'000 Franken für Paare (bisher 60'000 Franken).
- Umfassendere Definition des Vermögensverbrauchs: Bisher wurde nur verschenktes Vermögen als freiwilliger Vermögensverzicht für die Berechnung der EL beigezogen. Neu wird auch selbst ausgegebenes Geld zum Vermögen gezählt, sofern jährlich mindestens 10 Prozent oder 10'000 Franken des Vermögens ausgegeben wurden.
- Neue Rückerstattung nach dem Tod: Stirbt ein EL-Bezüger, müssen die Erben die in den letzten 10 Jahren bezogenen Leistungen zurückbezahlen, sofern der Nachlass mindestens 40'000 Franken beträgt. Es sind nur Ergänzungsleistungen betroffen, die nach dem 1. Januar 2021 bezogen werden.
1 Kommentar
Die Aussage im Artikel, dass früher nur verschenktes Geld angerechnet wurde, ist falsch! Unter dem von findigen Rechtsvertretern im Parlament ausgetüftelten Begriffen wie "ohne adäquate Gegenleistung" und "ohne Rechtspflicht" wurden immer auch Ausgaben willkürlich von Behörden bewertet. "Ohne ökonomische Gegenständlichkeit" zB. meint, kaufte sich jemand einen Ferrari und fuhr ihn zu Schrott wurde es nicht als Einnahme angerechnet - legte jemand sein Geld spekulativ (Bitcoin etc.) an der Börse an und verlor alles, wurde er abgestraft, ebenso wie Glücksspiel-Einsätze oder Konkurs bei Selbstständigkeit! Gewann die Person dann eine grössere Summe stehen die gleichen Behörden da und wollen 40% Steuern!? Asozialer geht nimmer!