Bill Hinshaw verbringt seinen Ruhestand etwas anders als der Durchschnittsrentner. Der 75-jährige Grossvater von insgesamt 32 Enkeln und Urenkeln ist zwar auch bei seiner Familie. Das Arbeiten aber kann er nicht lassen. Er hilft amerikanischen Unternehmen dabei, ihre Computersysteme am Laufen zu halten.
Sein Alter ist dabei kein Nachteil. Im Gegenteil: Hinshaw erlernte das Programmieren in den 1960er Jahren, als ein Computer so gross wie ein Zimmer war und mit Lochkarten arbeitete. Der Unternehmer gehört zur immer kleiner werdenden Zahl von Experten für die Programmiersprache Cobol.
Alt, aber noch immer in Gebrauch
Obwohl es längst modernere Sprachen gibt, ist Cobol aus grossen Banken, Konzernen und Teilen der US-Regierung nicht wegzudenken. Denn die leistungsfähigen Computersysteme der Firmen und Behörden wurden oft in den 1970er oder 1980er Jahren aufgebaut und nie ganz ersetzt.
Vor allem für die Finanzbranche hat die Uralt-Programmiersprache eine grosse Bedeutung. Täglich werden Transaktionen mit einem Volumen von schätzungsweise drei Billionen Dollar über Cobol-Systeme abgewickelt. Dabei geht es um Girokonten, Kartennetze, Geldautomaten und die Abwicklung von Immobilienkrediten.
Wichtige Schnittstelle
Weil die Banken aggressiv auf eine Digitalisierung ihres Geschäftes setzen, wird Cobol sogar noch wichtiger. Denn Apps für Smartphones etwa sind in modernen Sprachen geschrieben, müssen aber mit den alten Systemen harmonieren. In solchen Fällen kommen Hinshaw und andere Experten ins Spiel.
Vor ein paar Jahren wollte der 75-Jährige aus Nordtexas seine IT-Firma eigentlich schliessen und in den Ruhestand gehen. Aber seine früheren Kunden riefen immer wieder an und wollten Hilfe. Im Jahr 2013 gründete Hinshaw schliesslich eine neue Firma, die Kontakte zwischen Konzernen und Experten vermittelt.
Lieber auf der (alten) sicheren Seite
Erfahrene Cobol-Programmierer können mehr als 100 Dollar in der Stunde verdienen, wenn sie Fehler beseitigen, Handbücher neu schreiben oder dafür sorgen, dass die alten Systeme mit den neuen zusammenarbeiten. Für Konzerne ist das allemal billiger, als die alten Systeme ganz aufzugeben – was ohnehin riskant wäre.
Der frühere Barclays-Chef Antony Jenkins sagt, für Geldinstitute gehe es nicht nur darum, dass es immer weniger Spezialisten gebe. Die heutigen Grosskonzerne sind oft das Ergebnis etlicher Firmenfusionen. «Es ist unheimlich komplex», sagt Jenkins, der heute neue IT-Systeme an Banken verkauft. «Die alten Systeme der verschiedenen Generationen haben mehrere Ebenen und sind oft stark miteinander verwoben.»
An eine Systemumstellung denken manche Bankmanager deswegen nur mit Grauen. Ihr Albtraum ist, dass dabei ein Fehler unterläuft und Millionen Kundendaten verschwinden. Zugleich wissen die Verantwortlichen, dass sie nicht ewig auf eine Expertengeneration setzen kann, die irgendwann ausgestorben ist.
Ausbildung und Erfahrung
IBM – ein Pionier im Bereich der Mainframe-Computer – sieht die Zukunft weniger schwarz. Der US-Konzern bildet junge IT-Spezialisten in Cobol aus und hat nach eigenen Angaben innerhalb von zwölf Jahren mehr als 180'000 Entwickler geschult. «Nur weil eine Sprache 50 Jahre alt ist, heisst das nicht, dass sie schlecht ist», sagt Mitarbeiterin Donna Dillenberger.
Cobol-Veteranen wie Hinshaw argumentieren jedoch, dass es nicht reiche, die Sprache zu beherrschen. Einzelne Systeme sind sehr unterschiedlich, und die Programmierer hinterliessen in den Frühtagen nur selten Handbücher. Das erschwert heute die Fehlerbehebung.
In die Moderne finden
In den USA beginnen Banken nur langsam damit, Systeme komplett auf modernere Sprachen umzustellen. Dabei können sie von Erfahrungen im Ausland lernen. So löste die Commonwealth Bank of Australia ihr zentrales System 2012 mit Hilfe der Unternehmensberatung Accenture und dem Softwarekonzern SAP ab.
Letztlich dauerte die Umstellung fünf Jahre und kostete mehr als eine Milliarde australische Dollar (rund 760 Millionen Franken). Einen ähnlichen Schritt hat die schwedische Bank Nordea bis 2020 vor sich.
Raus und wieder rein
Bis es für andere Institute soweit ist, müssen sie frühere Angestellte reaktivieren – obwohl deren Wissen einst als überflüssig eingeschätzt wurde. So berichtet ein Cobol-Programmierer, er sei 2012 entlassen worden. Stattdessen sollten jüngere und billigere Angestellte mit einer Ausbildung in neueren Sprachen seinen Job übernehmen.
Zwei Jahre später kam er als Freischaffender in dieselbe Firma zurück, weil die Manager auf unerwartete Probleme gestossen waren. «Die Rückbeorderung in die Bank war für mich wie eine Ehrenrettung», sagt der Experte.
(sda/jfr)