Biocad ist das Vorzeigeunternehmen des Kremls. Die Biotech-Firma spielt eine wichtige Rolle in Russlands Bestreben, den Grossteil der Medikamentenimporte durch heimische Produkte zu ersetzen. Als der kasachische Alleinherrscher Nursultan Nasarbajew jüngst in Russland weilte, führte Staatschef Wladimir Putin seinen hochrangigen Gast höchstpersönlich durch die Räumlichkeiten von Biocad in der Nähe von Sankt Petersburg.
Biocad ist in Russland auch der ärgste Widersacher des Basler Pharmakonzerns Roche. Die beiden Firmen führen einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft im Markt für Krebsmedikamente. Nun wirft Biocad Roche vor, diesen Streit mit unlauteren Mitteln zu führen, wie eine Klage vor einem Gericht in New York zeigt. Konkret geht es um Dumpingpreise, Korruption und Günstlingswirtschaft.
Attacke auf den Ruf von Roche
Die Vorwürfe wiegen schwer: Bisher zofften sich die beiden Firmen wegen Patentverletzungen, jetzt attackiert Biocad die Integrität und den Ruf von Roche. Russische Gesundheitsdienstleister sollen von Angestellten des Schweizer Konzerns Geld für die Abgabe von Roche-Medikamenten erhalten haben.
In der 76-seitigen Klageschrift ist die Rede von einer «endlosen» Liste von «illegalen Kickback-Zahlungen». Dieses System sei von Roche-Managern in Moskau gefördert worden. Das lokale Management soll Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt haben, bei den vermeintlich illegalen Praktiken mitzuwirken. Es sei zu Suizidfällen gekommen. Roche reagiert mit einer Gegenklage in New York.
Whistleblower hat Roche verraten
Biocad stützt seine Anschuldigungen auf E-Mails von Roche-Angestellten, die ein Whistleblower der russischen Firma zugespielt hat. Laut den Unterlagen war die Zentrale in Basel über die vermeintlich illegalen Praktiken in Russland informiert. 2013 sollen Angestellte des Moskauer Roche-Büros eine Nachricht an das Compliance-Office in Basel geschrieben haben.
Roche habe darauf zwei Mitarbeiter in die russische Hauptstadt geschickt, um den Vorwürfen nachzugehen. Die beiden werden in der Klageschrift namentlich erwähnt. Sie sollen sich mit den russischen Roche-Angestellten unter anderem im Luxushotel «Park Hyatt» getroffen haben. Die Roche-interne Untersuchung sei aber ergebnislos verlaufen, die Zustände hielten bis heute an, vermerkt die Klageschrift.
Biocad der Überflieger der russischen Biotech-Branche
Biocad behauptet, die Geschäftspraktiken von Roche hätten dazu gedient, russische Anbieter wie Biocad auf dem Heimmarkt zu schädigen. Das Ziel von Roche sei gewesen, die Konkurrenz auszuschalten, bevor sie noch stärker werde. Biocad produziert drei biotechnologisch hergestellte Medikamente, die in Konkurrenz stehen zu den drei Roche-Blockbustern Avastin, Herceptin und Rituxan.
Das Unternehmen gilt als Überflieger der russischen Biotech-Branche. Die beiden US-Giganten Amgen und Pfizer wollten die Firma bereits kaufen. Stattdessen stiegen zwei russische Oligarchen ein. Roman Abramowitsch, der Besitzer des Premier-League-Klubs Chelsea, und Viktor Charitonin, der Käufer der Formel-1-Rennstrecke am Nürburgring, haben 2014 eine 70-Prozent-Mehrheit an Biocad gekauft. Mittlerweile sind die beiden Unternehmer wieder ausgestiegen, wie ein Sprecher von Abramowitschs Investmentgesellschaft Millhouse bestätigt. Mehrheitsbesitzer ist eine Holding mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Biocad-Chef Dmitri Morosow besitzt noch einen Anteil von 30 Prozent.
Biocad investiert massiv in die Expansion. Rund 20 Milliarden russische Rubel will das aufstrebende Unternehmen in den nächsten Jahren in eine neue Fabrik nahe Sankt Petersburg stecken. Das sind etwa 350 Millionen Franken oder das Anderthalbfache des Biocad-Jahresumsatzes. Der Staat subventioniert das Vorhaben. Die Anlage ist auf den Export in die USA ausgelegt.
«Räuberische» Preispolitik
Das ist nur die Speerspitze der Investitionen. Biocad bringt sich seit Jahren in Stellung, um den US-Markt zu erobern - den lukrativsten Pharma-Markt der Welt. Biocad gründete eine Tochterfirma, stellte Mitarbeiter ein, baute Fabriken um und mietete Lagerfläche an. Das alles hat zweistellige Millionensummen verschlungen. Roche gefährde mit der «räuberischen« Preispolitik in Russland und den vermeintlich illegalen Praktiken im russischen Markt diese Investitionen, klagt Biocad.
Die Russen listen die Verfehlungen von Roche detailliert auf. So sollen Ärzte für jede Abgabe eines rezeptpflichtigen Roche-Medikamentes umgerechnet 10 Franken erhalten haben. Als Beweis hätten Roche-Manager Ende Monat die leeren Medikamentenverpackungen bei den Medizinern eingesammelt, den Betrag aufgerechnet und direkt an die Ärzte überwiesen. Die Geldströme an die Gesundheitsdienstleister seien in den Büchern bewusst kaschiert worden, so Biocad. Die Angestellten in Moskau hätten die Ausgaben wahlweise als Aufwand für Marketing, Ausbildung oder Reisen verbucht.
Die Klageschrift weist einzelne Zahlungen an Spitäler und Ärzte aus. Demnach soll Roche die Renovation der Onkologieabteilung einer Klinik in der russischen Pampa nahe der Ukraine bezahlt haben. Kostenpunkt: 40'000 Dollar. Der Umbau einer Onkologieabteilung im Umland von Moskau soll 16 000 Dollar gekostet haben. Interne Roche-Dokumente sollen belegen, dass das Geld ein Gegengeschäft für eine grosse Order bei Roche war.
Datenbank über treue Mediziner
Die Basler sollen sogar eine Datenbank mit Angaben geführt haben, welche Mediziner wie viel Einfluss auf dem Gebiet der Onkologie haben und wie treu diese Ärzte gegenüber den Produkten von Roche sind. Darin heisst es etwa über eine Ärztin in der westrussischen Stadt Smolensk, die Onkologin sei «loyal zu Roche, die Loyalität sei aber mit grossen Schwierigkeiten gewonnen worden».
Die Basler weisen sämtliche Vorwürfe zurück. «Die Anschuldigungen von Biocad gegenüber Roche entbehren jeder Grundlage», sagt Sprecherin Ulrike Engels. Zu den einzelnen Vorwürfen nimmt der Konzern keine Stellung. Roche wehrt sich indes vor Gericht gegen Biocad: Anfang März haben die Basler Gegenklage in New York eingereicht. «Biocad hat mit dieser äusserst frivolen Klage die Grenzen des Vernünftigen überschritten», schreiben die Roche-Anwälte. Und weiter: «Es ist unmöglich, dieses Verhalten als etwas anderes als einen Missbrauch des amerikanischen Justizsystems zu sehen, um einen Vergleich oder die Herausgabe geheimer Informationen zu erzwingen.»
Die Roche-Anwälte fordern, dass das New Yorker Gericht Biocad und dessen Anwälte sanktioniert. Ein erster Entscheid in dieser Sache folgt in diesen Wochen. Nicht nur in den USA tobt der juristische Streit: In Russland sind weitere Verfahren vor mindestens zwei Regionalgerichten hängig. In Sri Lanka hat Roche bereits ein Verfahren gegen Biocad verloren.