Die Stille ist ohrenbetäubend: Da sucht die zweitgrösste Bankengruppe der Schweiz einen neuen CEO. Und keinen scheint es zu interessieren. Kurz vor Weihnachten teilte die Raiffeisen überraschend mit, dass Heinz Huber nach knapp sechs Jahren an der Spitze der Raiffeisen Schweiz quasi per sofort seinen Hut nimmt. Diesen Sommer will er der neue Präsident der Graubündner Kantonalbank werden.
Nach den wilden Jahren der Ära Pierin Vincenz und seines glücklosen Nachfolgers Patrik Gisel brachte Huber Ruhe in die Raiffeisen-Gruppe. Das ist ihm derart gut gelungen, dass sein Abgang und die nun laufende Nachfolgesuche weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfinden. Verwaltungsratspräsident Thomas Müller, der sich selbst in der Kunst des Unsichtbarseins übt, kann es nur recht sein.
Nach dem Verschwinden der Credit Suisse ist die Bedeutung der Raiffeisen gestiegen: Mit 3,7 Millionen Privatkundinnen und -kunden, rund 200’000 Firmenkunden und einer Gruppenbilanzsumme von rund 300 Milliarden Franken ist sie die klare Nummer zwei hinter Platzhirsch UBS. Und gerade im Firmenkundengeschäft hat sich die Raiffeisen auf die Fahne geschrieben, sich als Alternative zur CS zu positionieren.
Der Verwaltungsrat hat Headhunter Egon Zehnder damit beauftragt, einen Nachfolger für Huber zu finden, wie die Bank bestätigt. Einen offiziellen Zeitplan gibt es nicht, doch dürfte allein die Finanzmarktaufsicht (Finma) darauf drängen, dass die systemrelevante Bankengruppe nicht allzu lange mit einem Interimschef unterwegs ist.
Die «Handelszeitung» hat mit verschiedenen Führungskräften lokaler Raiffeisenbanken gesprochen. Das Fazit ist klar: «Eine interne Lösung wäre das Beste.» Hier werden Finanzchef Christian Poerschke, der ad interim den CEO-Posten übernommen hat, und Firmenkundenchef Roger Reist Chancen eingeräumt. Aber externe Kandidaten sind nicht ausgeschlossen. So dürfte BLKB-Chef John Häfelfinger seine Chancen ausloten, doch auch UBS-Topshot Simone Westerfeld werden CEO-Ambitionen nachgesagt und zugetraut.
«Eine externe Berufung würde den Genossenschaftsgedanken verwässern», warnt ein Raiffeisen-Präsident. Die genossenschaftliche Bankengruppe ist ein komplexes Wesen. Die Raiffeisen Schweiz ist zwar für die Risikosteuerung, Refinanzierung und das landesweite Marketing zuständig und gibt die Gruppenstrategie vor. Rein rechtlich ist sie aber eine Tochter der 218 Mitgliedsbanken – die damit am Ende das Sagen haben.
«Der nächste CEO dürfte das Gegenteil von Heinz Huber werden», sagt ein Insider. Sprich, der oder die neue Chefin sollte offensiver und mit mehr Selbstbewusstsein nach aussen kommunizieren. Huber hatte die Bankengruppe im Griff und lieferte wachsende Erträge und Gewinne ab. Ein grosser Kommunikator war der frühere Kantonalbanker aber nie. Seine einzige Extravaganz blieb sein Porsche.
Niemand will einen Pierin Vincenz zurück
Niemand bei der Raiffeisen will in die wilden Jahre eines Pierin Vincenz zurück. Dieser trieb die verschlafene Bankengruppe zwar mit Erfolg zum Wachstum im Hypothekengeschäft, doch setzte er mit teuren und sinnlosen Einkäufen wie der Bank Notenstein viel Geld in den Sand. Und da er bei einigen Käufen zuvor privat beteiligt war, steht Vincenz bekanntlich wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung vor Gericht.
Bis dies aufflog, war Vincenz aber ein Medienliebling und rückte damit die Raiffeisen regelmässig in die öffentliche Wahrnehmung. Und gerade jetzt, da die Integration der CS Schweiz anstehe und sich viele Kunden und Kundinnen neu orientieren dürften, würde der Raiffeisen mehr öffentliche Präsenz guttun, ist zu hören.
Ein interner Kandidat oder eine interne Kandidatin als CEO dürfte primär aus den Reihen der Raiffeisen Schweiz rekrutiert werden. Lokale Raiffeisen-CEOs werden voraussichtlich keine Chancen haben, sind sie doch quasi bessere Filialleiter mit Bilanzsummen zwischen ein paar Hundert Millionen und wenigen Milliarden Franken. Die Raiffeisen Schweiz, in deren Bilanz unter anderem das Geschäft mit Firmenkunden mit mehr als hundert Mitarbeitenden gebucht wird, kommt dagegen auf 75 Milliarden Franken.
Strategisch sind höchstens Feinjustierungen vorzunehmen: Das Kerngeschäft bleiben die Hypotheken, hier sind die Raiffeisenbanken mit 17,9 Prozent Marktanteil die klare Nummer eins der Schweiz. Huber hat zwar mit Erfolg das Anlagegeschäft ausgebaut: Das Volumen der verwalteten Vermögen hat mittlerweile 50 Milliarden Franken erreicht. Doch die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft bleibt gross.
Der Tolggen in Hubers Reinheft ist die Digitalisierung. Die Raiffeisen wollte die unübersichtlich gewordene Landschaft aus Apps und Websites mit einer Super-App vereinen. Doch deren Einführung scheiterte und ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie teuer die Übung war, dürfte sich am 27. Februar bei der Präsentation der Jahreszahlen zeigen.
Ein neuer CEO muss bodenständig sein, die Gruppe verstehen, die Risiken im Griff behalten, digitales Banking beherrschen und die Gruppe nach aussen vertreten können. Nicht zuletzt wird das Firmenkundengeschäft zum Bewährungstest für den neuen CEO werden. Kurzum: Die Raiffeisen sucht den Superbanker.
Raiffeisen lässt sich nur schwer mit anderen Banken vergleichen, denn eigentlich ist die Gruppe ein Verbund von 218 rechtlich eigenständigen Banken. Jede wird von einer Genossenschaft getragen, insgesamt hat die Raiffeisen mehr als zwei Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter. Gemeinsam sind die Banken Eigentümerinnen einer weiteren Genossenschaft: der Raiffeisen Schweiz. Der vermeintliche Konzernsitz ist auf dem Papier eher so etwas wie eine Stabsstelle der Banken. Zahlreiche Gremien – von Regionalverbänden über Fachgremien bis hin zu einem neuen Genossenschaftsrat – überwachen die Bankleitung in St. Gallen. Gleichzeitig nimmt diese wieder eine bankenrechtliche Aufsichtsfunktion über die Banken wahr.
Ein Konstrukt, das sich am ehesten mit der Struktur der Migros vergleichen lässt. Und das die Finanzmarktaufsicht lieber gestern als morgen abgeschafft sähe. Die einzelnen Banken unterscheiden sich stark. Die kleinsten verwalten gerade mal ein paar Hundert Millionen Franken, die grössten mehrere Milliarden.
Mehr zum Thema: 2023 hat die «Handelszeitung» sämtliche Einzelabschlüsse der Raiffeisenbanken ausgewertet und aufgezeigt, dass die jüngsten Banken in den grossen Städten mitunter am wenigsten Eigenkapital haben. Hier finden Sie den Bericht dazu.