«Schon wieder?», war der erste Gedanke. Und «wow». Nachdem vergangene Woche der Versicherer Axa seinen definitiven Austritt aus dem Versicherungsverband SVV gab, überrascht jetzt die Raiffeisengruppe mit der Nachricht, aus der Bankiervereinigung (SBVg) austreten zu wollen. Aus dem Wirtschaftsverband, der lange als einer der wichtigsten und mächtigsten galt. Dessen Mitgliedschaft als Ehre, und nicht als Pflicht gesehen wurde.
Alles Copy-Paste? Nein. Denn anders als bei den Versicherern, wo persönliche Reibereien eine wichtige Rolle gespielt haben, geht es hier um ganz Konkretes. Raiffeisen fühlte sich von dem von Vontobel-Präsident Herbert Scheidt und UBS-Präsident Axel Weber angeführten Verband schon länger nicht mehr vertreten. Das sagen Leute aus dem Umfeld der Genossenschaftsbank, und das liest man zwischen den Zeilen auch im Communiqué.
Scheidt, der stolze Banker aus Zürich, war angetreten, den Verband hinter sich zu einen und «mit einer Stimme» zu reden. Das machte er immer wieder klar. Und das gelang ihm wohl besser, als es gewissen Mitgliedern recht war. Die Politik der SBVg wurde ausgerichtet auf die Exportbanken, die mit ihrem Vermögensverwaltungsgeschäft stark unter Druck gekommen waren. Sie suchten den legalen Marktzugang zu ausländischen Kunden, und waren bereit, dafür viele Konzessionen einzugehen. Das ging oft zulasten der reinen Inlandbanken, die sich je länger, je weniger wahrgenommen fühlten. Und die grösste Inlandbank ist Raiffeisen.
Scheidt hat genau das Gegenteil dessen erreicht, was er wollte. Mit der scheinbaren Einigkeit trieb er Raiffeisen in die Flucht. Verschiedene Quellen betonen, es habe kein auslösendes Ereignis für den Entscheid gegeben. Vielmehr wuchs da über die Jahre eine Einsicht, dass die Millionen, die Raiffeisen bisher nach Basel überwies, besser investiert wären, könnte man frei darüber verfügen.
Dass gleich zwei grosse Verbandsaustritte hintereinander erfolgen, ist aber vielleicht doch kein Zufall. Die Wirtschaft ist im Umbruch – nicht nur in der Finanzbranche. Die Digitalisierung verändert Marktstrukturen, schafft neue Möglichkeiten, aber auch neue Verlierer. Interessen lassen sich heute anders vertreten als über honorige Dachverbände, das musste auch die Economiesuisse immer wieder feststellen. Vielleicht ist die Zeit der starken, Einheit vorspielenden Verbände vorbei.
Ein ganz praktisches Problem hat jetzt die Bankiervereinigung. Nicht nur fehlen ihr künftig die Mittel von Raiffeisen. Auch muss sie sich fragen, wie sie mit der neuen Aussicht auf eine politische Konkurrenz umgehen will. Zwar betont Raiffeisen, künftig stärker ihre eigenen Interessen vertreten zu wollen. Fakt ist aber auch, dass es seit 2012 eine Allianz der Unzufriedenen gibt, die Koordinationsgruppe Inlandbanken. Bereits heute treten dort Raiffeisen, die Kantonalbanken, die Migros Bank und die Regionalbanken gemeinsam auf.
Dass diese Inlandbanken sich in einem faktischen Gegenverband aufstellen, ist nicht nur absehbar, sondern lässt sich bereits beobachten. Sicher dürfte die eine oder andere Kantonalbank Gefallen finden am Gedanken, es Raiffeisen gleich zu tun – nur dürfte es noch etwas dauern, bis sich im Kantonalbankenverband eine einheitliche Meinung dazu bildet. Bereits Erfahrung mit der Aussenseiterrolle hat die Migros Bank. Sie trat der Bankiervereinigung erst im Jahr 2000 bei, da sie an den bis dahin geltenden Kartellabsprachen der Bankiers nicht teilhaben wollte. Die ersten 42 Jahre ihrer Geschichte lebte sie ganz gut ohne die Mitgliedschaft.