Die meisten Journalisten bissen sich an ihm jahrzehntelang die Zähne aus. Rainer Emil Gut, geboren 1932 im Kanton Zug, Sohn eines Bankdirektors, war und ist keiner, der gerne freiwillig Interviews gewährt. Ein Umstand, der ihm nicht nur den Ruf des «mächtigsten Bankiers der Schweiz» eingetragen hat, sondern auch jenen des «verschwiegensten». Nun offenbart sich Gut der Welt zwischen zwei Buchdeckeln. Titel der Biographie: «Rainer E. Gut – Die kritische Grösse».
Offene Gespräche geführt
Geschrieben hat das Buch der Historiker Joseph Jung, Leiter des Bereichs Foundations and Corporate History der Credit Suisse Group. Des Autors langjährige Firmenzugehörigkeit hat das Projekt letztendlich wohl ermöglicht. Bekannt geworden ist Jung vor allem mit seinen Publikationen zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte, etwa mit den Büchern «Von der Schweizerischen Kreditanstalt zur Credit Suisse Group – eine Bankengeschichte» (2000) oder «Zwischen Bundeshaus und Paradeplatz – Die Banken der Credit Suisse Group im Zweiten Weltkrieg» (2001). Für «Rainer E. Gut – Die kritische Grösse» hat der Autor neue Quellen erschlossen, zahlreiche Zeitzeugen befragt sowie lange und (so der Pressetext) «offene» Gespräche mit Rainer E. Gut geführt.
Ankerstellen im bei NZZ Libro erschienenen Buch bilden der «Chiasso Skandal» von 1977, welcher der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) einen Verlust von 1,4 Mrd Fr. bescherte und die Bank in eine existenzielle Krise stürzte, der Übernahmekampf zwischen der Bankgesellschaft und der SKA um die damalige Volksbank sowie die eigentliche Geburtsstunde der Credit Suisse Group als globaler Finanzkonzern im Jahre 1997.
Ebenso zur Sprache gebracht werden die Rolle Rainer E. Guts bei der Gründung der Fluggesellschaft Swiss und seine Auseinandersetzung mit dem damaligen Crossair-Chef Moritz Suter, seine Überlegungen zudem, die ihn 2005 veranlassten, Peter Brabeck zu seinem Nachfolger als Nestlé-Präsidenten vorzuschlagen und die Anträge der Opposition gegen das Doppelmandat Brabecks abzulehnen. Allesamt Episoden aus der Teppichetage, die als solche zwar bekannt sind, deren Zustandekommen damals jedoch mitunter intensive Debatten ausgelöst hat. Für eine breite Masse von ganz besonderem Interesse dürfte «Rainer E. Gut – Die kritische Grösse» wohl vor allem deshalb sein, weil der langjährige Credit-Suisse-Chef, vierfache Vater und vielfache Verwaltungsrat (unter anderem Alusuisse, Bayer, Swissair, Daimler Chrysler Schweiz, Ciba Geigy/Novartis) erstmals auch Einblick in sein Privatleben gewährt.
400 Seiten Lebensreflexion
Vielleicht ist es der Wunsch nach einer späten Imagekorrektur (in breiten Kreisen gilt der gemäss «NZZ» «einflussreichste Schweizer Wirtschaftsführer der letzten 30 Jahre» als unnahbar), der Gut zur Autorisierung der vorliegenden Biographie bewogen hat, oder das Streben nach angemessener Würdigung seines Wirkens; vielleicht ist es aber auch nur Altersmilde, die ihn das wohlwollende Placet sprechen liess – Rainer E. Gut feiert am kommenden Montag seinen 75. Geburtstag. Jetzt liegt auf 400 Seiten seine Lebensreflexion vor, die nicht nur einiges über die Persönlichkeit von Rainer E. Gut verrät, sondern auch die Ansichten von jemandem beschreibt, der wie kaum ein anderer die neuere Schweizer Wirtschaftsgeschichte mitgeprägt hat.
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Joseph Jung, «Rainer E. Gut – Die kritische Grösse». 400 Seiten, NZZ Libro,
Fr. 48.–/€ 31.–. ISBN 978-3-03823-397-8.
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Rainer E. Gut in der Funktion des Verwaltungsratspräsidenten an der Nestlé-GV im April 2001.
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Das Geleitwort in der
Biographie hat der frühere CS-CEO Oswald Grübel geschrieben.