Als Garry Gürtler zu Beginn seiner Karriere sein erstes eigenes Büro erhielt, war er stolz. Heute setzt er sich dafür ein, dass Einzelbüros, wie er damals eins bekam, in der Schweiz zur Seltenheit werden: Gürtler ist Chef von IWG Switzerland, dem grössten Anbieter von flexiblen Arbeitsplätzen im Land.
Bei IWG können Unternehmen oder Selbständige sich Büros mieten und teilen. Unter den Marken Regus und Spaces betreibt die Schweizer Tochter des internationalen Konzerns 29 «Business Centers» und Coworking-Spaces.
Ihr grosser Konkurrent WeWork wird mit 35 Milliarden Dollar bewertet. IWG ist an der Börse hingegen nur 2,2 Milliarden Dollar wert – obwohl Sie im Gegensatz zu WeWork profitabel sind. Finden Sie diese unterschiedliche Einschätzung fair?
Garry Gürtler*: Man kann diese beiden Bewertungen nicht miteinander vergleichen. Wir sind ein börsenkotiertes Unternehmen, WeWork hat sich über Investoren und Bonds finanziert. Grundsätzlich hilft uns WeWork. Über das Unternehmen wird viel gesprochen, es ist ein Treiber und findet internationale Beachtung. Sie machen Lärm im Markt. WeWork ist mit ein Grund, wieso die halbe Welt über Coworking und flexible Arbeitsplatzlösungen spricht.
Coworking boomt. Wieso werden Büroflächen zunehmend geteilt?
Es ist die Beschleunigung der Arbeitswelt: Wirtschafts- und Produktzyklen werden kürzer, und alle Unternehmen versuchen, agiler zu werden. Und es ist die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes. In klassischen Schweizer Büros stehen 50 Prozent der Arbeitsplätze leer. Die Mitarbeiter sind beim Kunden, in den Ferien, krank oder sonst abwesend.
Unternehmen können mit flexiblen Arbeitsplätzen Kosten sparen.
Die meisten Unternehmen erkennen das, angefangen mit den grossen Konzernen. Sie sagten: «Das ist ein riesiges Sparpotenzial.» Deshalb haben sie begonnen, neue Konzepte zu entwickeln. Zuerst kam das Grossraumbüro, heute sind es flexible Lösungen innerhalb der Firma, sogenannte Coworking-Arbeitsplätze.
Wünschen sich Angestellte flexible Arbeitsplätze? Viele Menschen schätzen es, wenn sie sich irgendwo einrichten können.
Es gibt durchaus Menschen, die einen festen Arbeitsplatz und feste Arbeitszeiten wollen. Der Teil der Menschen, die flexibel arbeiten, nimmt allerdings zu.
Im Vergleich mit beispielsweise Holland ist Coworking in der Schweiz nicht stark verbreitet. Wie viel Potential hat Coworking in der Schweiz?
Die zwei Märkte mit den höchsten Anteilen an flexiblen Büroplatzlösungen sind New York und London. Dort sprechen wir von Anteilen von fünf bis sechs Prozent. In der Schweiz haben wir mit unseren 29 Standorten etwa 40'000 Quadratmeter flexible Bürofläche. Alle anderen Betreiber haben etwa noch einmal so viel im Angebot. 80'000 Quadratmeter sind ein verschwindend kleiner Teil der gesamten Bürofläche. Wir bauen unser Netzwerk in den nächsten drei, vier Jahren auf rund hundert Standorte aus.
Sie rechnen mit einem starken Wachstum. Was ist nötig, damit Coworking in der Schweizmehr Verbreitung findet?
Unsere grösste Herausforderung ist es, KMU von Coworking zu überzeugen. Grosse Unternehmen haben bereits begonnen, ihre Büroflächen zu flexibilisieren. In der Schweiz gibt es aber sehr viele Kleine und Mittlere Unternehmen, und die haben noch eine andere Beziehung zum Büro. Ein Büro ist für sie nicht nur ein Arbeitsplatz, es ist auch eine Sicherheit, es verkörpert Prestige. Diese Einstellung ist im Begriff, sich zu ändern.
Die Welt spricht über WeWork. Der Coworking-Anbieter gilt als einer der vielversprechendsten Vertretern der neuen Internetwirtschaft – 35 bis 40 Milliarden Dollar ist das Jungunternehmen aus Sicht von Investoren bereits wert. Kaum bekannt ist WeWorks Rivale aus der Schweiz: IWG, der vormals britische Konzern mit Sitz in Zug, betreibt unter Marken wie Regus und Spaces weltweit knapp 3300 Zentren mit flexiblen Arbeitsplätzen – Coworking-Spaces und Business-Centers. Obwohl IWG das grössere Netzwerk hat als WeWork und im Gegensatz zum US-Mitbewerber auch Gewinne macht, kommt der Konzern derzeit lediglich auf einen Börsenwert von 2,2 Milliarden Dollar.
Coworking funktioniert nicht überall. Welche Bedingungen sind nötig, damit ein Standort Erfolg hat?
Sie müssen eine Anbindung an den Öffentlichen Verkehr haben, damit es funktioniert. Ein anderer Treiber sind Branchen. Wir haben in Zürich jetzt neun Standorte. Es wäre viel effizienter, ein grosses Zentrum zu betreiben. Würden wir das tun, hätten wir aber nur halb so viele Kunden. Unsere Mieter wollen in der Nähe ihrer eigenen Kunden sein. Es entstehen Cluster, hier bei der Bahnhofstrasse in Zürich ist es die Finanzbranche. Weiter auswärts in Oerlikon oder Wallisellen ist es die IT.
Sie expandieren stark, gleichzeitig gibt es in Schweizer Zentren auch ein Überangebot an Bürofläche. Sind Anbieter wie Sie dafür mitverantwortlich?
Grundsätzlich haben wir einen Leerstand von etwa 5 Prozent im Büroflächenmarkt. Für die Schweiz ist das hoch, im internationalen Vergleich ist das tief. Das wird getrieben von Dynamiken, mit denen wir direkt nicht viel zu tun haben. Bei den Pensionskassen herrscht ein riesiger Anlagedruck. Das sind Milliarden, die sie nach gesetzlichen Vorschriften anlegen müssen. Deshalb wird sehr viel in Immobilien investiert. Wir helfen mit, die neuen und renovierten Liegenschaften schneller aufzufüllen. Plötzlich können Firmen mit fünf bis zehn Mitarbeitern sich dank uns einen Standort leisten, wo sie vorher nicht hinkonnten – beispielsweise hier bei der Bahnhofstrasse in Zürich.
Sie dominieren den Markt für Coworking in der Schweiz. Haben Ihre internationalen Konkurrenten kein Interesse an der Schweiz?
Internationale Anbieter haben Angst vor dem Schweizer Markt. Wir haben fast keine ausländischen Wettbewerber, weil die Investitionen im Schweizer Markt extrem hoch sind. Ein Ausbau in der Schweiz kostet beispielsweise drei Mal mehr als in Deutschland.
Arbeitsplätze werden zunehmend geteilt. Dieser weltweite Trend hat auch die Schweizer erfasst und nimmt verschiedene Formen an: Das bekannteste Modell ist Coworking: Startups, Freiberufler oder etablierte Unternehmen nutzen die gleichen Arbeitsräume, Infrastruktur und Services. Teil des Trends sind aber auch «Business Centers», in denen sich Unternehmen Arbeitsplätze oder ganze Räumlichkeiten dazumieten, oder «Shared Offices», in denen mehrere Firmen eine Bürogemeinschaft bilden. Heute belegen Coworking und die verwandten Angebote nach Schätzungen von Marktführer Regus/Spaces 80'000 Quadratmetern – das ist zwar nur ein verschwindend kleiner Teil der gesamten Schweizer Bürofläche. In den nächsten Jahren dürfte das Angebot aber stark wachsen.
Profitieren Sie davon, wenn es Unternehmen schlecht geht? Mit Coworking lassen sich ja auch Kosten sparen.
Spanien und Italien sind zwei Märkte, wo wir in den letzten Jahren stark gewachsen sind. Weil die Unternehmen in der Wirtschaftskrise umdenken mussten. Strukturelle Änderungen werden nur eingeleitet, wenn ein Leidensdruck besteht. Für die Büroräumlichkeiten billigere Lösungen zu finden, sind Massnahmen, die nicht einfach so umgesetzt werden.
In der reichen Schweiz treffen Sie solchen Leidensdruck seltener an.
Genau. Die grossen Konzerne in der Schweiz – beispielsweise SBB und Post – suchen nach Möglichkeiten, ihre Bürokosten zu senken. Das gleiche gilt für Tochtergesellschaften internationaler Gruppen. Die stehen auch unter Druck. Den Schweizer KMU geht es gut, dort ist der Leidendruck am kleinsten. Diese Zielgruppe erreiche ich am schwersten. Wenn sie bei Coworking mitmachen würden, würde ich problemlos noch einmal zweihundert Standorte eröffnen. Das ist aber nur eine Frage der Zeit.
Welche Ihrer neuen Projekte stechen heraus?
Einer der für uns wichtigsten Regionen ist die Westschweiz. Wir wollen zwischen Genf und Lausanne an jeder Autobahnausfahrt einen Standort haben. Und wir sind am neuen Genfer Bahnhof Pont Rouge, am Hauptbahnhof Genf, am Bahnhof Versoix und beim Bahnhof Nyoneingemietet. 2020 werden wird zudem eine dritte Marke von IWG in die Schweiz bringen: Am Bahnhofquai 1 in Zürich lancieren wir auf 4500 Quadratmetern «Number 18».
Sie eröffnen auch einen Standort im «Circle» am Zürcher Flughafen. Das Projekt ist umstritten.
Ich bin fasziniert vom Projekt. Investoren hatten den Mut, etwas Einzigartiges hinzustellen. Mit Mietern wie Microsoft wird das ein riesiger Hit.