Pro Jahr suchen knapp 45000 Patienten aus dem Ausland ein Spital in der Schweiz auf - Tendenz steigend (siehe Grafik). Gesundheitsexperten schätzen, dass rund die Hälfte davon aus medizinischen Gründen anreist und dabei insgesamt 1 bis 2 Mrd Fr. Umsatz generiert. Die andere Hälfte sind Feriengäste oder Geschäftsreisende, die wegen Unfall oder Krankheit hospitalisiert werden.
Wer extra anreist, hat höchste Ansprüche. Es sind wohlhabende Patienten, vor allem aus Russland und den Golfstaaten, die sich von den Ärzten in der Schweiz behandeln und vom Klinikpersonal verwöhnen lassen. Im Jahr 2008 haben sie durchschnittlich gut acht Nächte in einem Spital verbracht.
Gutes Geschäft
Mit diesem medizinischen Tourismus verdienen Rémy Schleiniger und seine zwölf Mitarbeiter mit der Firma Swixmed seit Jahren gutes Geld. Wie viel genau will der Chef nicht sagen, aber er vermittelt und betreut pro Jahr mehrere Hun- dert ausländische Patienten. Seit der Finanzkrise stagniert zwar das Geschäft mit den Golfstaaten, aber der Zuwachs aus Russland beträgt dafür 5% - pro Monat, notabene.
Künftig soll vermehrt auch das kränkelnde Gesundheitswesen im eigenen Land vom Geldsegen der wohlhabenden Medizintouristen profitieren. Mit dieser Absicht gründete die Exportförderungsorganisation Osec im November 2008 zusammen mit Schweiz Tourismus den Verein Swiss Health. Unter dieser Dachmarke soll die Schweiz weltweit als Gesundheitsmekka propagiert werden. «Es handelt sich um einen Wachstumsmarkt, und die Schweiz wird Marktanteile verlieren, wenn sie sich nicht besser positioniert», sagt Osec-Sprecher Patrick Djizmedjian. Und - darüber dürfte sich Gesundheitsminister Didier Burkhalter freuen: «Letztendlich werden alle davon profitieren. Denn mit den Mehreinnahmen durch ausländische Patienten können öffentliche Spitäler Anschaffungen schneller tätigen und zum Beispiel modernste Diagnosegeräte kaufen.» Zu einer direkten Quersubventionierung der Leistungen aus der Grundversicherung möchte sich die Osec nicht äussern, «weil die Frage einen politischen Aspekt hat.»
«Die eigene Bevölkerung würde kostenmässig profitieren», ist Felix Schneuwly vom Verband der Krankenkassen, Santésuisse, überzeugt. Und er hat keine Berührungsängste mit einer Quersubventionierung. Man müsse diesen wohlhabenden Patienten aus dem Ausland mindestens die Vollkosten in Rechnung stellen, sagt er. «Aber bei öffentlichen Spitälern besteht die Gefahr, dass sie Leistungen zu günstig anbieten, aus Prestigegründen, weil gewisse Politiker ja widergewählt werden wollen.» Oder im Klartext: «Wenn schon subventioniert wird, dann doch hoffentlich von oben nach unten.» Auch vor der oft gefürchteten Zweiklassenmedizin schreckt er nicht zurück. «Wenn man die Chancen geschickt nutzt, muss das nicht schlecht sein.»
Wie in der Formel 1
Schneuwly vergleicht die Rolle der Spitzenmedizin mit all ihren Innovationen mit der Formel 1. Manches, aber längst nicht alles, lässt sich nach den gemachten Erfahrungen zweckmässig und wirtschaftlich auf ein normales Auto anwenden, oder in der Medizin auf die Leistungen der Grundversicherung. Dies wäre laut Schneuwly viel sinnvoller, als jede Neuerung von Anfang an über die Grundversicherung zu finanzieren. Denn dort wachsen die Kosten am stärksten. Insgesamt belaufen sich die Gesundheitskosten in der Schweiz auf 60 Mrd Fr. pro Jahr. Die Hälfte davon entfällt auf die Grundversicherung (Prämien, Franchisen, Selbstbehalte und Steuergelder).
Gesucht: «Mister Swiss Health»
Krankenkassen und Osec sind sich also einig: Gelingt es, ein Mehrfaches an wohlhabenden Gesundheitstouristen ins Land zu holen, profitiert auch die Schweizer Bevölkerung in der Grundversicherung. Nur: Warum hört man nichts von dem 2008 gegründeten Verein Swiss Health? Interimistisch hatte damals Rémy Schleiniger von der Swixmed AG die Leitung übernommen. Er sollte - mit seiner Erfahrung - Mitglieder für den Verein begeistern und die neue Dachmarke aufgleisen.
«Das war ein langwieriger Prozess», sagt er. Er habe unzählige Gespräche mit Spitälern, Kliniken und Zentren, also mit potenziellen Mitgliedern, geführt. Der Mitgliederbeitrag wurde auf 50000 Fr. pro Jahr festgesetzt. «Es waren alle begeistert, stellten aber gleichzeitig Fragen nach der konkreten Verwendung der Beiträge sowie nach den Rechten und Pflichten der Mitglieder.» Auch über die Verteilung der Patienten wollten sie mehr wissen, um beim Verdienst ja nicht zu kurz zu kommen. Dennoch rechnet er in einer ersten Runde mit 15 bis 25 Mitgliedern.
Nun macht sich Schleiniger auf die Suche nach einem «Mister Swiss Health», dem künftigen Chef des gleichnamigen Vereins. Denkbar wäre auch eine «Miss Swiss Health», unterstreicht er. Der Job soll demnächst ausgeschrieben werden. «Das Gehalt ist ab September 2010 budgetiert», bestätigt Schleiniger. Man merkt: Er möchte vorwärts machen.
«Wir brauchen die Dachmarke, wir brauchen ein ‹Spital Schweiz›», ist Schleiniger überzeugt. Er geht davon aus, dass mit einem geschickten Marketing die heutige Anzahl von Gesundheitstouristen verfünffacht werden könnte, was einem Volumen von 5 bis 10 Mrd Fr. entspräche. Dies könnte die Grundversicherung letztendlich - direkt mit den Gewinnen und indirekt mit finanzierter Infrastruktur - um mehrere Mrd Fr. oder rund 10% entlasten.
Skeptiker melden sich zu Wort
Aber nicht alle Experten sind so optimistisch. Stephan Sigrist vom Thinktank W.I.R.E. glaubt nicht, dass Gesundheit wie ein Konsumgut globalisiert beziehungsweise aus Sicht der Schweiz wie ein Exportartikel verkauft werden kann. «Diese Analogie hat Grenzen», sagt der Gesundheitsexperte, von dem mehrere Publikationen zum Thema Gesundheitsmarkt erschienen sind. Auch Karin Frick, Leiterin Research beim Trendforschungsinstitut DGI, warnt vor zu hohen Erwartungen: «Die Märkte sind stark reguliert, und die Menschen sind nicht so sehr beweglich, besonders dann nicht, wenn sie älter sind oder operiert werden müssen.»
Aber Schleiniger lässt sich nicht beirren. Letzte Woche, rechtzeitig zur russischen Weihnacht, hat er in Moskau bereits Broschüren von Swiss Health verteilt - mit dem sinnigen Titel «Russische Weihnachten». Und die Homepage von Swiss Health gibt es neben Deutsch auch - auf Russisch.