Fällt spätestens im November kein Schnee, droht der Reifenbranche ein Fiasko. Besonders gegen Ende vergangenen Jahres hatten wohl nicht gerade viele Autofahrerinnen und Autofahrer grosse Lust, Winterreifen zu montieren. Nachdem der Reifenhandel nun schon den dritten Winter erlebt, in dem mehr Sommer als Winter zu verspüren war, verwunderte es kaum jemanden mehr in der Branche, wenn das Geschäft sich nicht so entwickelte, wie man sich dies eigentlich vorgestellt hatte. Doch so schlimm kam es denn auch nicht. Der Rückgang der Reifenverkäufe fiel mit minus 2 bis 3% relativ bescheiden aus.
Reifen gehören zu denjenigen Accessoires des Autos, die von den einen als Profilierungsmittel genutzt werden, während andere den Kauf neuer Reifen eher als eine Pflichtübung empfinden. Dass der Reifen heute zu den wichtigsten Bestandteilen des modernen Autos gehört, ist vielen Automobilistinnen und Automobilisten nicht ausreichend bekannt. Von einer optimalen Bereifung des Wagens hängt die Fahrsicherheit in hohem Masse ab. Je abgefahrener das Profil, desto schlechter ist die Bodenhaftung und umso länger der Bremsweg. So etwa hat der Touring Club der Schweiz (TCS) kürzlich festgestellt, dass ein Fahrzeug mit Neureifen beim Bremsen mit 90 km/h nach 59 m zum Stillstand kommt. Ist das Profil noch 50%, braucht der Wagen 5 m mehr Bremsweg. Entscheidende Meter im Notfall
Schweizer wechseln häufiger
Positiv zu werten ist die hohe Wechselquote in der Schweiz. Punkto Umstellung von Sommer- auf Winterreifen und umgekehrt liegt die Schweiz zusammen mit Österreich an der Spitze in Europa. Angesichts der Topografie in diesen beiden Ländern ist es auch nicht überraschend, dass rund drei Viertel aller PW regelmässig der Jahreszeit entsprechend umbereift werden.
Obwohl, wie eingangs erwähnt, für viele der Kauf neuer Reifen eher ein Muss-Kauf ist, entscheiden sich Herr und Frau Schweizer in zunehmendem Masse für qualitativ hochwertigere Reifen. Da die Leistung moderner Personenwagen – selbst von Modellen mit 1,2 oder 1,5 l Hubraum – in den vergangenen Jahren ständig anstieg und heute in vielen Fällen über 100 PS liegt, sind viele Autobesitzer gezwungen, Reifen mit dem höheren Tempoindex zu kaufen (siehe Box). So wurden 2005 in der Schweiz rund 484000 Reifen mit den Tempoindex W und Z verkauft.
Rund 940 Millionen Franken
Wie viele Reifen werden denn jährlich in der Schweiz verkauft? Und wer sind die wichtigsten Anbieter in diesem Markt? Erstere Frage kann nicht absolut exakt beantwortet werden, da keine offizielle Statistik über den Import von Reifen für Personenwagen, Lastwagen, Motorräder, Omnibusse und landwirtschaftliche Fahrzeuge (Traktoren) existiert. Nach Angaben der führenden Reifenimporteure werden jährlich in der Schweiz rund 4,8 Mio PW-Reifen, etwa 470000 Lieferwagen- und 150000 Nutzfahrzeugreifen verkauft. Diese ergeben zusammengerechnet ein Marktvolumen zwischen 940 und 950 Mio Fr. Nach Meinung von Marktkennern reduzierten sich die gesamten Reifenverkäufe für Personenwagen im vergangenen Jahr um etwa 3%.
Verkauft werden die «runden schwarzen Dinger» in erster Linie von den Garagisten. Auf diese entfallen etwa 52% des gesamten Volumens. Einen nicht geringen Teil der Reifen beziehen die Garagisten von ihrer Einkaufsorganisation ESA. Die Einkaufsgenossenschaft des schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes beliefert heute die rund 7200 ihr angeschlossenen Garagisten. Die ESA ist nach eigenen Angaben heute der grösste Reifengrossist in der Schweiz und dürfte etwa 400000 Reifen jährlich ausliefern. Unter den Garagisten spielen die vier unabhängigen Garageketten ad-Garagen, Auto-Fit, Garage-Plus und die ESA mit der Kette Le Garage eine zunehmend wichtigere Rolle auch im Reifenhandel.
Gerade für den Garagisten spielt der Reifenverkauf eine wichtige Rolle, kommt doch der Kunde mindestens zweimal jährlich in die Garage, um seine Reifen zu wechseln. Bei dieser Gelegenheit kann der Garagist seine Kunden ja auch bezüglich anderer Arbeiten an seinem Wagen ansprechen oder sondieren, ob er nicht gerade ein neues Modell anschaffen möchte.
Zweitwichtigster Vertriebsweg ist in der Schweiz der Reifenfachhandel, der etwa 40% bestreitet, während der Rest auf Tankstellen, Discounter und auf das Internet entfällt. Zu den grössten Anbietern im Reifenfachhandel zählt heute die Firma Pneu Egger, welche mit rund 300 Mitarbeitenden einen Umsatz von über 95 Mio Fr., erzielt. Auf der Detailhandelsstufe mischen aber auch die Reifenhersteller mit, so verfügt der deutsche Reifenproduzent Continental mit der Adam Touring AG über einen schweizweit vertretenen Reifenhandelsbetrieb. Michelin besitzt die Garagenkette Euromaster, die auch ein massgeblicher Reifenverkäufer ist. Pirelli wiederum ist durch die Firma Agom in der Schweiz im Detailhandelsbereich präsent.
Delticom und atu als neue Player
Eine zunehmend wichtigere Rolle spielen im schweizerischen Reifenhandel allerdings seit einigen Jahren die Personenwagen-Importeure. Diese bieten ihrer Kundschaft über die einzelnen Händler attraktive Angebote – Reifen plus Felgen – beim Kauf eines neuen Wagens an. Zwei weitere Anbieter haben sich in jüngster Zeit stärker im Reifenmarkt Schweiz etabliert, zum einen der Verkauf via Internet. Dahinter steht der Reifenhändler Delticom. Zum anderen hat die deutsche Firma atu auto ungerer mit vorläufig zwei Verkaufspunkten in der Schweiz Fuss gefasst. Atu, in Deutschland ein bereits bekannter Anbieter von Reifen, aber auch von anderen Fahrzeugersatzteilen, wird wohl weiter wachsen wollen in der Schweiz.
Über 100 Marken
In Europa, bzw. in der Schweiz werden heute etwa 100 verschiedene Reifenmarken angeboten. Nach Schätzungen des Touring Clubs der Schweiz (TCS) entfallen auf die zehn meistverkauften Marken in der Schweiz rund 80% der gesamten Verkäufe. Um die restlichen 20% des Marktes kämpfen die übrigen etwa 90 Anbieter. Die Frage, wer verfügt über wie viel Marktanteil im Schweizer Reifenmarkt, kann nur annähernd beantwortet werden, da auch hier verlässliche Statistiken fehlen und die Branchenvertreter jegliche Aussagen zu Marktanteilen und verkauften Stückzahlen verweigern. Nach Angaben des TCS präsentiert sich die Rangliste der Anbieter derzeit wie folgt: Nummer eins ist Continental mit 18% Marktanteil, dann folgen Michelin mit 15%, Goodyear 12%, Bridgestone 7,5%, Pirelli 7%, Uniroyal 5,5%, Dunlop 5%, Vredestein 4,5%, Maloya 4% und Firestone mit 3% Marktanteil.
Eine Aussage kann mit Sicherheit gemacht werden: Bei den Sommerreifen ist Michelin die Nummer eins, bei den Winterpneus ist Continental die stärkste Marke. Michelin ist zudem bei den Nutzfahrzeugreifen, insbesondere für schwere Fahrzeuge, die führende Reifenmarke. Die Franzosen sind ausserdem in Europa der mit Abstand grösste Erstausrüster für die Autohersteller, dies wiederum wirkt sich auch beim Ersatzgeschäft aus. Aufschlussreich ist zudem, wie sich Herr und Frau Schweizer über das Reifenangebot informieren und welche Marke sie dann letztlich wählen. Michelin hat im vergangenen Jahr darüber eine Studie erstellen lassen (siehe Artikel rechts), die interessante Ergebnisse zeitigte.
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Nachgefrag Anton Näpflin: Auffallend ist der Trend zu Reifen für höhere Termpi
Derzeit erleben wir einen milden Sommer mitten im Winter. Das ist schlecht für den Reifenhandel, der hofft, dass es im November oder Dezember mindestens einmal kräftig schneit und die Autofahrer zum Reifenwechsel motiviert werden
Anton Näpflin: Bereits zum dritten Mal erlebten die Reifenhändler in der Schweiz nicht jenen Schneefall, den sich die Branche wünscht. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass die Wechselrate von Sommer- auf Winterreifen in der Schweiz mit 75 bis 80% doch recht hoch ist und trotz allem zu einer besseren Auslastung der Kapazitäten im Reifenhandel und der Garagisten führt. Nicht wenige Schweizer Autofahrerinnen und Autofahrer wechseln im Hinblick auf den Winter ihre Reifen aus Sicherheitsgründen. Daher besteht beim Handel an sich kein Grund zum Klagen. Die Importeure ihrerseits sind gezwungen, die allfällig erforderliche Menge an Winterreifen an Lager zu halten, wenn der Handel kurzfristig bestellt.
Es wird immer wieder behauptet, viele Kunden kaufen den Rabatt und nicht den Reifen. Ist das immer noch so?
Näpflin: Nicht wenige Reifenhändler, aber auch Garagisten steuern ihren Reifeneinkauf je nach Rabatt, den sie darauf erhalten. Der Kunde andererseits orientiert sich heute intensiver als früher über günstige Angebote, das zeigt unsere Umfrage deutlich. Reifenhandel und Garagisten können sich heute aber auch mit speziellen Dienstleistungen wie Reifeneinlagerung und mit attraktiven Angeboten wie Reifen/Felgen profilieren.
Nicht wenige Reifenhersteller engagieren sich heute auch auf der Detailhandelsstufe, auch Michelin?
Näpflin: Michelin hat vor zehn Jahren die Firma Favre in der Westschweiz übernommen, die dann durch die Übernahme der Gruppe Viborg gewachsen und seit 1988 in der Schweiz unter dem Firmennamen Euromaster im Reifenhandel aktiv ist. Dieses Engagement ist auch dadurch entstanden, dass Euromaster beziehungsweise Michelin an wichtigen Standorten im Schweizer Markt Reifenhändler mit Nachfolgeproblemen übernommen hat.
Wie gross ist denn der Einfluss von Michelin auf die jeweiligen Reifenhändler?
Näpflin: Wir unterhalten mit verschiedenen Reifenhändlern so genannte Partnerschaften. Wir informieren sie über neue Produkte und Reifenmischungen. Diese Informationen geben diese an ihre Kunden weiter. Eine direkte Einflussnahme auf den Kaufentscheid verfolgen wir damit nicht. Der Kunde muss selber entscheiden können.
Welche Trends prägen den Schweizer Reifenmarkt derzeit?
Näpflin: Auffällig ist der Trend zu Reifen mit höherem Geschwindigkeitsindex, weil selbst kleinere PW-Modelle immer leistungsfähiger werden. Heute beispielsweise werden jährlich mehr als 500000 Reifen der Klasse W, Y und Z verkauft. Die Reifen mit dem Index S und T, von denen vor fünf Jahren noch über 1 Mio Stück verkauft wurden, liegen heute noch bei knapp 500000 Einheiten.
Welche Marken gehören denn heute zu den wichtigsten Anbietern auf dem Schweizer Reifenmarkt?
Näpflin: Im Winterreifengeschäft liegen die Marken Continental, Michelin und Goodyear vorne, die etwa 40% Marktanteil erreichen. Im Sommerreifengeschäft jedoch steht Michelin an erster Stelle. Man kann davon ausgehen, dass die führenden acht Reifenmarken etwa 70% des Marktes abdecken. Man darf auch nicht vergessen, dass diese führenden Anbieter neben ihrer Premiummarke auch über eine Zweitmarke in ihrem Programm verfügen.
Was lässt sich heute an einem Reifen denn noch verbessern?
Näpflin: Veränderungen sind einerseits bei der Karkasse und andererseits bei den verwendeten Materialien zu erwarten. Michelin als Reifenhersteller legt insbesondere bei der Lauffläche, die ja ausschlaggebend für den Rollwiderstand und damit für den Verbrauch und die Emissionen eines Motorfahrzeuges ist, grosses Gewicht in die Entwicklung. Mit der Reduktion des Rollwiderstandes kann ein entscheidender Beitrag an die Reduktion der Fahrzeugemissionen geleistet werden. Interessant ist ja, dass bis zu einer Geschwindigkeit von 100 km/h der Rollwiderstand des Reifens der wichtigste Einflussfaktor für den Verbrauch eines Motorfahrzeuges ist. Über 100 km/h nehmen dann der Einfluss der Karosserie und deren Luftwiderstandsbeiwert zu.
Welche Bedeutung haben Sicherheitsreifen, mit denen man bei einem Plattfuss noch etwa 100 km weiterfahren kann?
Näpflin: Diese Notlaufreifen stossen zunehmend auf Interesse seitens der Kundschaft, wobei allerdings noch nicht allzu viele Hersteller diese Reifen anbieten. Ein Problem dieses Reifens ist der Abrollkomfort. Da dieser Reifen über verstärkte Seitenwände verfügt oder im Innern über einen Gummiring, müssen Kompromisse beim Federungskomfort eingegangen werden. Dies wiederum kann einen Einfluss auf den Verschleiss der Achskomponenten des Wagens ausüben. Andererseits ist die Möglichkeit, bei einem Reifenschaden - und solche passieren ja immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet - weiterfahren zu können, ein nicht zu verachtender Sicherheitsfaktor. Sie dürfen aber nur mit einem elektronischen Luftdrucküberwachungssystem montiert werden.