Mike Tyson hat sich eher als harter Kämpfer denn als grosser Denker einen Namen gemacht. «Du kannst Mike Tyson aus der Bronx holen, aber nicht die Bronx aus Mike Tyson», lautete die Einsicht, nachdem der Boxer einst seinem Gegner Evander Holyfield eher unsportsmännisch das Ohr abgebissen hatte. Direkt aus seiner harten Jugend stammt auch die Lebensphilosophie des grossen Strassenkämpfers: «Jeder hat einen Plan, bis er eine reingehauen bekommt.»
Auf die Credit Suisse übertragen, und etwas salonfähiger formuliert, heisst das: Auch sie hat einen Plan – aber kommt sie damit durch? Nach der peinlichsten Wechsel-Posse der Schweizer Bankengeschichte lautet die Strategie: Reihen schliessen, Kopf runter, hart schaffen.
Thiam ist abgetaucht
Konzernchef Thiam ist abgetaucht, noch immer fehlt von ihm eine öffentliche Entschuldigung. Sein erster Auftritt nach dem Skandal ist für die Präsentation der Quartalszahlen am 30. Oktober geplant. Letztes Jahr zeigte zwar CFO David Mathers ohne den CEO das Neun-Monats-Zahlenwerk, doch dieses Mal, so versichert die Pressestelle, will Thiam selbst erscheinen.
Ob es eine Pressekonferenz oder nur eine Telefonschaltung gibt, ist noch nicht entschieden. Man darf davon ausgehen, dass allfällige Fragen zur Bespitzelung rasant abgebügelt werden. Und dann folgt am 12. Dezember in London der Investorentag. Die Hoffnung bis dahin: ein neuer Skandal weit abseits der eigenen Bank.
Gelitten hat vor allem die Reputation
Zwar titelt selbst die NZZ: «Der Befreiungsschlag der Credit Suisse ist misslungen. Zu viele Fragen sind offen.» Doch es bleibt fraglich, wo neue Impulse in der Affäre herkommen sollen. Dass die Ausweitung der staatsanwaltlichen Untersuchung auf weitere CS-Mitarbeiter viel bringen wird, ist unwahrscheinlich. Die Homburger-Anwälte werden akribisch genug gewesen sein, um sich hier keine Blössen zu geben.
Und das geschasste Bauernopfer Bouée? Hat wenig zu gewinnen, der offiziellen Alleingang-Version zu widersprechen, so lange er seine Abgangsentschädigung verhandelt. Um mit Tyson zu sprechen: Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob die CS noch eine reingehauen bekommt. Gelitten hat vor allem die Reputation. Doch sie liegt bei den Banken schon seit Jahren am Boden.
Keine Londoner Verbündeten
Eine Lehre bleibt aber doch aus dem ganzen Schlamassel: Wie so viele ausländische Manager tappte auch Thiam in die Schweiz-Falle. Dass er sich um die heimische Öffentlichkeit zu wenig gekümmert hat, würde er wohl nicht einmal selbst bestreiten. Die internationale Finanzpresse trefflich zu bespielen, war zu lange das Ziel seiner gesamten Medienarbeit: Es zählten vor allem «Financial Times», «Bloomberg» oder «Reuters». Als dann die Krise einschlug, hatte der CS-Chef hierzulande nicht nur keinen Verbündeten.
Vor allem musste er mit ansehen, wie schnell die vermeintlichen Londoner Alliierten plötzlich drehten und die lokalen Stories genüsslich nachrecherchierten. Denn wenn es in die Details geht, greifen eben auch die globalen Leitmedien mit ihren ausgedünnten Korrespondenten-Netzen gern auf die stets besser informierten heimischen Medien zurück. Es gilt die alte Medienweisheit: Wer mit dem Lift hochfährt, fährt auch wieder hinab.
Selbst diese Woche, als der Newsstrom langsam abflaute, brachte die «Financial Times» noch einen grossen Artikel über den «Skandal, der die Zürcher Elite durchschüttelt», und der «Economist» erklärte die Bank zur «Discredit Suisse». Die heftigsten Rücktrittsforderungen an Thiam kamen dann auch aus London – da nützten auch all die guten Kontakte nichts mehr. Die Lehre für alle globetrottenden Welt-CEOs: Pflegt den heimatlichen Boden.