Wir sind ein Dienstleistungskonzern», sagt Alfred N. Schindler. Für den Präsidenten des weltweit zweitgrössten Lift- und Fahrtreppenbauers ist klar: Wer sich hoch rentable Ziele setzt, der braucht mehr als ein gut laufendes Anlagengeschäft. Immer wichtiger sind ein umfassendes Servicegeschäft, ein gutes Ersatzteilangebot und langfristige Wartungsverträge. Beim Liftbauer macht dieser Bereich bereits heute mehr als die Hälfte des gesamten Geschäftsvolumens aus. «Zeit, dass auch andere Industrieunternehmen so denken», sagt Carsten Henkel, Schweiz-Chef der internationalen Strategieberatung Monitor Group. Das Dienstleistungsgeschäft ist in der Industrie noch immer viel zu wenig entwickelt, obwohl sich in diesem Bereich im Schnitt weit höhere Margen erzielen lassen als im klassischen Anlagengeschäft, so das Fazit einer aktuellen Studie der Strategieberatungsfirma Monitor (siehe Kasten). Die Beratungsgesellschaft hat mehr als 60 europäische Unternehmen aus verschiedenen Industriesektoren untersucht und mit einander verglichen (siehe Kasten). Dabei ist herausgekommen: Firmen, die sich auf den reinen Verkauf von Anlagen und Maschinen konzentrieren, müssen auch langfristig mit tieferen Margen rechnen. «Dies ein Trend», so Monitor-Chef Carsten Henkel, «der bereits seit längerem anhält und auf einen eigentlichen Paradigmen-Wechsel in der Kapitalgüterindustrie zurückzuführen ist.»
Kundschaft hat sich verändert
Im Zuge der Globalisierung und der Deregulierung der Märkte habe sich das Geschäftsumfeld für Konzerne wie zum Beispiel Alstom, ABB oder Siemens fundamental gewandelt, schreibt Monitor. Der Wettbewerb ist wesentlich härter geworden.
Dazu hat sich auch die Kundschaft verändert. So hat zum Beispiel im europäischen Energiesektor die Liberalisierung der Märkte deutliche Spuren hinterlassen. Aus Staatsbetrieben sind private Netzwerkbetreiber und Energielieferanten geworden, die sich auf dem europäischen Markt gegenseitig konkurrenzieren. Der Kostendruck ist gestiegen, was Herstellern wie auch Anwendern neue Geschäftsmodelle aufzwingt. Die alleinige Konzentration aufs Anlagegeschäft kann kaum mehr rentabel betrieben werden. Hohe Margen erzielen lassen sich dagegen im Bereich Service- und Wartungsaufträge.
Wies gemacht wird, zeigt Monitor nicht etwa an theoretischen Modellen auf, sondern die Studie nimmt jeweils Bezug auf die Praxis. Die Entwicklung habe dazu geführt, dass am Markt neue Firmen aufgetaucht sind, die sich darauf spezialisiert haben, den Grossen die lukrativsten Aufträge abzujagen, beschreibt Carsten Henkel die Entwicklung am Markt. Oft handelt es sich dabei um kleinere Gesellschaften, die sich voll und ganz auf das Servicegeschäft fokussiert haben. In der Grossindustrie werden diese Firmen als so genannte «Third Parties» bezeichnet oder schlicht Piraten genannt: Klein und wendig bewegen sie sich im Teich der grossen Fische, denen sie die «Filetstücke» streitig machen. Manche von ihnen mit grossem Erfolg, was sich in Margen äussert, die gemäss Monitor teilweise bis über 30% gehen. Dagegen liegen etwa die Margen für Neuanlagen im Kraftwerkgeschäft bei lediglich 2 bis allerhöchstens 6%.
Sulzer Division spielt die Rolle des Piraten
Das Potenzial im Servicegeschäft erkannt hat etwa der Sulzer-Konzern. Im Rahmen des Strategiewechsels vor vier Jahren verkaufte das Winterthurer Unternehmen den gesamten Turbomaschinenbereich an den deutschen MAN-Konzern. Seither bietet die Division Sulzer Turbomachinery Services weltweit umfassende Reparatur-, Instandsetzungs- und Wartungsdienste für Turbo- und Kolbenmaschinen an. Trotz garstigem Konjunkturumfeld erzielte die Servicesparte im letzten Jahr bei einem Umsatz von rund 200 Mio Fr. eine Marge von knapp 13%. Ähnlich die Performance der britischen John Wood Group, die im Wartungsgeschäft mit Kraftwerken in den letzten Jahren praktisch durchs Band zweistellige Margen erzielen konnte. Wie in der Zivilluftfahrt, wo neue Carrier wie Easyjet oder Ryanair gestandene Fluggesellschaften zum Umdenken zwingen, sehen sich auch die Kolosse der Industrie gezwungen, ihre Strategien an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. Gemäss Carsten Hekel liegt bei grossen Gesellschaften von der Druckmaschinenindustrie bis zum Kraftwerkbau noch ein riesiges Potenzial brach. Das Servicegeschäft werde abgesehen vom Geschäft mit Ersatzteilen noch zu oft vernachlässigt.
Kundenbedürfnisse werden zu wenig erkannt
Viele Grosskonzerne sehen sich gegenüber ihren Kunden auch heute noch gerne als eine Art «natürlicher Partner», zu denen es keine Alternative gebe, heisst es in der Studie. Entsprechend fehle es der Kapitalgüterindustrie am Verständnis für Kundenbedürfnisse und wie man intelligente Dienstleistungs- und Ersatzteilpakete schnüren kann, um für den Kunden einen Wert zu schaffen, den andere Wettbewerber nicht so leicht nachahmen könnten.
Als Extrembeispiel beschreibt Carsten Henkel die Situation, die sich einem Kraftwerkbetreiber in den US-Südstaaten stellt: Im Jahr betreibt dieser sein Werk vielleicht nur gerade während zwei bis drei Monaten, wenn im Sommer die Kühlanlagen auf Hochtouren laufen. Da die Energiegesellschaft in dieser kurzen Phase ihr ganzes Geld verdient, kann sie sich einen Ausfall keine Sekunde lang leisten. Mit dem richtigen Bewusstsein kann eine Servicefirma hier mit geringem Mehraufwand für sich einen grossen Mehrertrag generieren. Der Kunde ist in diesem Extremfall bereit, fast jeden Preis zu bezahlen, damit die Anlage läuft.
Wie sich aus der Monitor-Studie ergibt, sind aber bis heute nur wenige Grosskonzerne überhaupt auf solch ein Szenario vorbereitet oder führten sich vor Augen, wie sie durch ein adäquates Angebot an Dienstleistungen ihr Geschäft rentabler machen könnten.
Inwieweit sich allerdings bei Industriekolossen die Gesetzmässigkeit einer gewissen mit schierer Grösse verbundenen Schwere überwinden lässt, beantwortet die Studie nicht. Somit dürfte vom einträglichen Geschäft mit Industrie-Dienstleistungen auch in Zukunft ein schönes Stück für Piraten wie dem Sulzer-Konzern übrig bleiben.
Margen im Kapitalgütersektor (in %)
Industrie Margen Neuanlagen Margen Service
Ausrüster Papierindustrie 1 bis 3 10 bis 15
Ausrüster Kraftwerke 2 bis 5 15 bis 20
Ausrüster Metallindustrie 3 bis 6 15 bis 20
Bahntechnik 3 bis 6 8 bis 10
Werkzeugmaschinen 1 bis 12 5 bis 15
Quelle: «Monitor analysis»
Kapitalgütersektor: Strategien für schnelleres Wachstum.
Wie lässt sich in der Kapitalgüterindustrie ein schnelleres und profitableres Wachstum generieren: Dieser Frage nachgegangen ist die Beratungsfirma Monitor in einer breit angelegten Industriestudie. Im Fokus lagen dabei Ausrüster der Kraftwerk-, Metall- und Papierindustrie sowie Unternehmen aus den Bereichen Bahntechnik und Werkzeugbau. Insgesamt über 60 europäische Industriekonzerne wurden untersucht und miteinander verglichen. Dabei he-raus gekommen ist, dass bis auf wenige Ausnahmen der Servicegedanke in der Kapitalgüterindustrie noch kaum bis gar nicht entwickelt ist. Dies, obwohl sich auch in der Industrie ohne Ausnahme mit Dienstleistungen die höchsten Margen erzielen liessen.
Ansatz der Studie ist es deshalb, Unternehmen aus dem Kapitalgütersektor Mittel und Weg beziehungsweise Strategien aufzuzeigen, wie sie ihre Wettbewerbsfähigkeit am Markt steigern können. (hub)
Monitor Group Zurich: «The Quest for faster Growth and higher Margins»
Nachgefragt: Walter Gränicher, Chef Alstom Schweiz
«Allein im Servicegeschäft machen wir 3 Milliarden Euro Umsatz»
Wie wichtig ein gut laufendes Servicegeschäft für ein Industrieunternehmen ist, weiss niemand besser als Walter Gränicher (Bild). Der Chef von Alstom Schweiz ist gleichzeitig verantwortlich für das weltweite Servicegeschäft im Kraftwerkbau. Die gute Performance dieses Sektors sichert das Überleben des angeschlagenen Industrieriesen.
Wie rentabel ist das Servicegeschäft der Kraftwerksparte von Alstom? Zurzeit liegt unsere Marge im Servicegeschäft bei rund 16 Prozent.
Und wie gross ist der Anteil des Servicegeschäfts am Gesamtumsatz?
Etwas mehr als 36 Prozent.
Gibt es noch Steigerungspotenzial?
Es ist unser Ziel, den Anteil auf mehr als 40% zu steigern. Wenn es allerdings im Neuanlagengeschäft gelingt, schneller zu wachsen, so verringert sich unser Anteil natürlich wieder.
Auch die Konkurrenz versucht über Industrial Services schneller zu wachsen. Hervorgetan haben sich dabei vor allem kleinere Servicefirmen. Kann diese Entwicklung Alstom schaden? Die so genannten Third Parties oder Servicefirmen haben zwar Marktanteil für sich gewonnen, aber über eine gewisse Schwelle sind sie nicht hinaus gekommen. Es ist natürlich unser erklärtes Ziel, diese auch wieder zurückzubinden.
Kann Alstom bezüglich der Kostenstrukturen mit einem kleinen Anbieter überhaupt mithalten? Ein grosser Anbieter wird sich da immer schwer tun, auf das Kostenniveau eines Kleinen herunterzukommen. Auf der anderen Seite bietet eine grosse Unternehmung ein wesentlich breiteres Angebot an, was von den Kunden auch erwartet wird. Die meisten Kunden schätzen diesen erweiterten Comfort Level, wodurch wir in der Lage sind, unsere Produkte auch zu einem entsprechenden Preis zu verkaufen.
Serviceanbieter wie Sulzer sind ursprünglich auch aus Anlagebauern hervorgegangen. Damit können diese Firmen doch genau das Gleiche anbieten wie zum Beispiel Alstom. Das mag schon sein. Dennoch machen wir im Servicegeschäft allein rund 3 Mrd Euro Umsatz. Wenn man dies zum Beispiel mit Sulzer vergleicht, die mit rund 120 Mio Euro Umsatz zwar in gewissen Bereichen eine gute Stellung halten können, so glaube ich doch, dass die Zahlenverhältnisse für sich sprechen. Bei einem breiten globalen Markt werden kleinere Anbieter Mühe haben, mit den Grossen mitzuhalten.
Alstom hat einen allgemeinen Lohnstopp verkündet. Wie wollen Sie in dieser Situation für das Servicegeschäft hoch qualifizierte und motivierte Leute finden oder halten? Als vor einem Jahr die Diskussion um die Zukunft von Alstom geführt wurde, haben wir beschlossen, dass für einmal auf eine Lohnrunde verzichtet werden soll. Dies ist ganz klar als eine einmalige Massnahme deklariert. Zudem haben wir in den letzten Monaten nicht feststellen können, dass wir eine erhöhte Fluktuation gehabt haben.
Wird es für Ihren Sektor so gut weiter laufen? Für meinen Sektor sieht es sehr erfreulich aus. Wir sind überzeugt, dass wir unser Wachstum weiter durchziehen können, auf einer mindestens gehaltenen Profitablilität. Das heisst, wir erwarten auch in Zukunft 15 bis 16% Marge.
Interview: Christian Huggenberg