Es galt als hoffnungslos abgehängt – jetzt kommt es wieder in Fahrt: Das Rennrad gewinnt an Prestige und Marktanteilen, derweil der Mountainbike-Boom seinen Zenit erreicht hat. Durch den Boom der Bergvelos wurden die Karten im Schweizer Velomarkt neu verteilt: Internationale Produzenten wie Scott, Cannondale oder Trek gewannen Terrain, Schweizer Grosshersteller wie Mondia oder Cilo dagegen produzierten plötzlich nur noch Kleinstmengen; Traditionsmarken wie Tigra oder Villiger wurden gar verkauft.
Doch jetzt haben junge, neue Schweizer Velohersteller Aufwind, sie produzieren vorab Rennräder vom Feinsten.
Zum Beispiel BMC in Grenchen, gegründet vor zwölf Jahren. Der damalige BMC-Mitbesitzer Hans Ledermann ist einst für den Phonak-Inhaber Andy Rihs und dessen Team Radrennen gefahren. Rihs begann im Jahr 2000 in BMC zu investieren. Seither fahren die Phonak-Teams an der Tour de France, am Giro d’Italia und an anderen internationalen Rennen auf BMC-Rädern. «Allein die Ausrüstung dieser Rennteams kostet im Jahr gut eine Million Franken», sagt BMC-Geschäftsführer Andy Kessler (40). Für die Teams werden pro Jahr 180 Rennräder hergestellt. Ohne Rennteams ist es fast unmöglich, den internationalen Markt anzugehen.
Zurzeit verkauft BMC 12 000 Fahrräder in der Schweiz und 4000 ins Ausland, vorab nach Deutschland, Frankreich, die USA und Australien. Das mittelfristige Ziel ist, pro Jahr zwischen 30 000 und 40 000 Fahrräder zu verkaufen. Die Firma, die zu 100 Prozent Andy Rihs gehört, macht einen Umsatz von 18 Millionen Franken, nächstes Jahr sollen 24 Millionen erreicht werden. «Beim Rennrad sind Kunden zunehmend bereit, wirklich viel Geld auszugeben», sagt Kessler. Viele Mountainbiker entdecken die Strasse wieder. Lange galten Radrennen als Proletensport, auch das hat sich geändert.
Fast alle Rahmen werden in Taiwan hergestellt. Und die 2000 Fahrräder für Übersee werden gleich dort montiert, ebenso alle Fahrräder für den Schweizer Markt, die unter 1500 Franken kosten. Der Rest wird in Grenchen zusammengebaut, wo 30 Personen arbeiten. «Die Fertigstellung eines Fahrrades kostet in der Schweiz rund 300 Franken mehr als in Taiwan», sagt Kessler.
BMC arbeitet nach einem Baukastenprinzip. Denn die Käufer exklusiver Rennräder wollen ihr Unikat. «Bei einem Rennrad gibt es bis zu 3000 Varianten», sagt Kessler, der mehrere tausend Teilchen an Lager hat. Die Lieferfristen in der Branche betragen mitunter sechs Monate, was das Handling mit diesen Teilchen problematisch macht. «Lange bevor die neue Saison beginnt, müssen wir alles bestellt haben.»
Einmal pro Woche fährt Kessler mit einem Rennrad von Grenchen nach Münchenstein bei Basel, wo er wohnt. So testet der Geophysiker, der einst bei Cannondale und Scott gearbeitet hat, Prototypen. BMC muss Innovationen entwickeln, um im internationalen Markt mithalten zu können. Eine dieser Innovationen ist das Zeitfahr-Rennrad, bisher nur von Profis gefahren. Ab nächstem Jahr soll es für Privatkunden komplett in der Schweiz hergestellt werden, in Massanfertigung. Kostenpunkt: 20 000 Franken.
Eine weitere Innovation ist ein Karbonrahmen, der demnächst in der Schweiz produziert werden soll. Oder ein Rahmen, der mit einem nanotechnologischen Verfahren hergestellt wird. Das entsprechende Material, sagt Kessler, während er den 950 Gramm schweren Rahmen in der Hand hält, sei um den Faktor fünf fester als Karbon. Karbon wiederum sei um den Faktor zehn fester als Aluminium. Und Aluminium um den Faktor zwanzig fester als Stahl. Das komplett ausgerüstete Rennrad mit dem nanotechnologisch konstruierten Rahmen wiegt 6,3 Kilogramm. Da im Rennsport ein Fahrrad nicht leichter als 6,8 Kilo sein darf, mussten bei der Tour de France, wo dieser Rahmen zum Einsatz kam, noch Teile wie Aluminiumsattelstützen montiert werden. Ab nächstem Jahr wird dieser Rahmen für 8000 Franken auf dem Markt angeboten. Ein ausgerüstetes Fahrrad kostet gegen 18 000 Franken.
Der Nischenproduzent Roy Hinnen bleibt bei Aluminiumrahmen. Den italienischen Rahmenhersteller hat er erst kürzlich durch einen taiwanesischen ausgetauscht. Die Qualität sei in Taiwan sehr hoch, sagt der 39-jährige Hinnen. Vor zehn Jahren hat der fünffache Triathlon-Schweizer-Meister angefangen, Markenprodukte aus dem Rennradbereich exklusiv zu vertreten, etwa Mizuno-Gabeln oder Campagnolo-Kleidung. Er verkaufte sie als Importeur direkt an Endkonsumenten, was in der Branche bisher als Tabu galt. Dass der Trend vom gesättigten Mountainbike-Markt hin zu Rennrädern geht, kommt Hinnen gelegen. Er produziert nur Renn- und Triathlonräder. «Ich muss keinen Druck auf die Händler ausüben, damit sie möglichst viele Rennräder kaufen», sagt Roy Hinnen in seinem Büro in einem Hinterhof in Bonstetten, wo er und seine vier Angestellten arbeiten. Er sei nicht der verlängerte Arm eines Importeurs, sondern eher ein Lager des Händlers.
Die rund dreissig Händler seiner Rennräder müssen nicht im Voraus kaufen. Aber wenn sie kaufen, dann müssen sie gleich bezahlen. So üben die Händler weniger Preisdruck aus. «Ich richte mich nicht nach dem Markt, sondern tue, was ich will», sagt der gelernte Werkzeugmacher. Hinnen fährt täglich auf dem Rennrad, das in seinem Büro steht, ein T2 in einer knapp 6000 Franken teuren Version. Insgesamt macht er pro Jahr mit bis zu 400 Rennrädern rund eine Million Franken Umsatz. Im Jahr 2008 sollen 1000 Rennräder verkauft werden.
Auch Rico Schmid, Geschäftsführer und Hauptaktionär von Good Price in Uster, hat 1996 mit dem Vertrieb von Radrennsport-Komponenten angefangen. «Wenn ich schon alles an Lager habe, weshalb dann nicht eigene Fahrräder bauen?», fragte sich Schmid (37). Im Jahr 1999 begann er mit der Produktion. Er wollte 250 Price-Rennräder verkaufen – es wurden fast 400.
Dass einige Händler auf Wunsch ihrer Kunden die Fahrräder ohne Beschriftung wollen, stört Schmid nicht. «Wir wollen einfach gut arbeiten und nicht gross in der Öffentlichkeit auftreten.» Wichtig sei, dass er die besten Marken für die Komponenten im Sortiment habe. Eine eigentliche Branding-Strategie verfolgt er nicht. «Mund-zu-Mund-Werbung hat immer noch die grösste Wirkung», sagt Schmid.
Fast die Hälfte seiner Umsätze macht er mit Fahrrädern, den Rest mit Produkten wie Rennhosen von Assos, die in der Szene als zu den besten überhaupt zählen. Diese Rennhosen werden vom Tessin aus zwar in der halben Welt vermarktet, aber bis vor kurzem nur stiefmütterlich in der Schweiz, weil die Firma Assos keine geeignete Infrastruktur hatte, um die Händler gut zu bedienen. Also hat Schmid den Schweizer Vertrieb übernommen und letztes Jahr damit 1,5 Millionen Franken umgesetzt.
Mit den Price-Fahrrädern setzt er knapp acht Millionen Franken um, von den total über 6000 verkauften Velos sind 1200 Rennräder. Dazu kommen noch 500 Karbonrahmen-Rennräder der italienischen Marke Kuota, die Good Price in der Schweiz vertritt und die ebenfalls in Uster zusammengebaut werden. In zwei Jahren will Schmid 7500 Price-Fahrräder verkaufen. Dass die Innovationen sich nicht jedes Jahr überschlagen, gehört zur Philosophie. Wenn jemand ein Karbon-Rennrad für 5500 Franken kaufe, dann sei es doch ärgerlich, wenn dieses zwei Jahre später schon alt aussehe, sagt Schmid.
Auch bei Price kauft der Kunde kein Fahrrad ab Stange, sondern er wählt zwischen verschiedenen Komponenten und Rahmenfarben. Dies hat auch Vorteile für den Händler: Bei Grossherstellern muss der Händler beträchtliche Mengen bestellen, bis er auf eine gute Marge kommt. Und muss dann diese Velos auch verkaufen, obwohl sie die Kunden vielleicht anders möchten. Seine Händler müssen mindestens sieben Price-Fahrräder kaufen. Sind es mehr, nehmen die Rabatte zu. «Der Händler braucht daher wenig Kapital, und wir können ihn das ganze Jahr durch beliefern», sagt Schmid, bei dem rund zwanzig Personen arbeiten. Da die Price-Fahrräder in Uster lackiert und zusammengebaut werden, können die gewünschten Modelle laufend nachproduziert werden.
Dieses Business funktioniert primär über den Einkauf grosser Mengen. Schmid ist ein harter Rechner, er hat ein Flair für Zahlen. Bis vor einem Jahr hat er noch Zahlungen und Löhne selbst erledigt. Den gesamten Einkauf habe er noch heute unter sich, sagt er, während er das Rennrad in der Ecke seines Büros betrachtet. Leider komme er zurzeit nicht so oft zum Fahren, wie er das gerne hätte. «Das Rennrad ist mein Leben.» Diese Passion ist wohl notwendig, um in diesem harten Business Erfolg zu haben.