BILANZ: Professor Fombrun, ist das von Ihnen bearbeitete Feld des Reputation-Managements eigentlich ein undankbarer Zweig der Wirtschaftswissenschaften?
Charles J. Fombrun: Nein, wieso kommen Sie darauf?
Sie müssen sich ständig mit vermeintlichen Experten herumschlagen: Marketing-Leuten, Public-Relations-Spezialisten, Management-Gurus, Journalisten – jeder glaubt, die probaten Rezepte bei der erfolgreichen Aussendarstellung von Unternehmen zu kennen. Für jemanden wie Sie, der die Sache aus wissenschaftlicher Sicht angeht und empirische Modelle entwickelt, dürfte deren Getöse doch ziemlich nervend sein.
Ganz und gar nicht. Wir empfinden die Vielstimmigkeit als ausgesprochen befruchtend. Und dass sich so unterschiedliche Gruppen für das Thema interessieren, spricht ja nur für die Bedeutung eines aktiven Reputation-Managements …
… weil der Ruf eines Unternehmens inzwischen mehr wert ist als das, was Karl Marx noch Produktionsmittel nannte?
Es gibt heute einen Produktmarkt und es gibt einen Meinungsmarkt. Wer auf dem Meinungsmarkt nicht bestehen kann, fliegt aus dem Wettbewerb, selbst wenn seine Produkte top sind.
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Und dann bricht auch der Aktienkurs ein.
Ja, wenn an der Wall Street von der Bewertung eines Unternehmens gesprochen wird, beträgt diese in den meisten Fällen ein Mehrfaches des Buchwertes. Die Finanzleute begründen das dann mit der Erwartung zukünftiger Erträge. Wir fragen uns: Woraus setzt sich diese Erwartung zusammen, welche Faktoren beeinflussen sie, und wie kann man sie steuern?
Bei den Erhebungen des von Ihnen gegründeten Reputation Institute in New York platziert sich Johnson & Johnson regelmässig als angesehenste Firma Amerikas auf dem ersten Rang. Was macht den Hersteller von Babypuder und Wattestäbchen besser als andere?
Johnson & Johnson hat klare Wertvorstellungen bezüglich Ethik und Moral entwickelt, diese klar kommuniziert und handelt entsprechend. Die Firma ist sich ihrer Verantwortung bewusst, nicht zuletzt auf Grund von Krisen in der Vergangenheit. So ist Johnson & Johnson als einer der ersten US-Konzerne auch bewusst in den Dialog mit Menschenrechts- und Umweltbewegungen getreten und hat sich so viele negative Kampagnen und Boykottaufrufe erspart.
Wodurch wird der Ruf einer Firma bestimmt?
Im Wesentlichen durch vier Elemente: Zentral sind die Wertvorstellungen. Früher wurden diese vom Chef vorgegeben. Seine individuellen Werte waren die Unternehmenswerte. Heute ist die Definition von verbindlichen Unternehmensmaximen ein viel komplizierterer Prozess. Wertvorstellungen können beispielsweise bezüglich des Umgangs mit Ressourcen, der Bedeutung des einzelnen Mitarbeiters, aber auch bezüglich der gesellschaftlichen Verantwortung definiert werden. An zweiter Stelle würde ich das Handeln nennen. Es wird daran gemessen, ob es mit den Wertvorstellungen kongruent ist.
So viel Wahrhaftigkeit will aber auch vermittelt sein.
Ja, und eine offene, ehrliche Kommunikation ist der dritte wichtige Faktor: Ein global vernetztes Unternehmen handelt und kommuniziert täglich an Tausenden von verschiedenen Punkten dieser Erde. Die Bagatellisierung von Pannen, das Ignorieren von externen Meinungen und das Kommunizieren von falschen Versprechen gehören hier zu den grössten Fehlern im Reputation-Management.
Und viertens?
Viertens ist natürlich das äussere Erscheinungsbild enorm wichtig: Firmensitz, Corporate Design, Werbung und so weiter.
Mit anderen Worten: Ein professionelles Reputation-Management bezieht alle Aspekte der unternehmerischen Wertschöpfung ein und geht deshalb weit über das traditionelle Verständnis von Marketing und PR hinaus?
Ganz sicher, der einseitige Shareholder-Value-Ansatz ist gescheitert. Chief Executives und Unternehmen müssen sich jetzt konsequenter auch an den Interessen der wichtigsten Stakeholder wie Kunden und Mitarbeiter orientieren. Und zur Sicherung ihrer Reputation müssen Unternehmen durch Taten statt Worte überzeugen.
Das klingt uns nach «Edel sei der Mensch, hilfreich und gut». Die Wirklichkeit sieht nach Enron, WorldCom oder Ahold aber doch ein bisschen anders aus.
Das geballte Auftreten von Bilanzierungsskandalen, illegalen und unethischen Machenschaften hat das Vertrauen in Unternehmen und in das Wirtschaftssystem erschüttert. Gerade deshalb wird die Reputation zum zentralen strategischen Wert von Unternehmen und CEOs im Wettbewerb des 21. Jahrhunderts.
Nach Raubtierkapitalismus und hemdsärmliger Aggressivität à la Jack Welch soll der CEO jetzt als heilige Johanna des globalen Marktplatzes reüssieren?
Warum so skeptisch? Es hat immer Unternehmer gegeben, die sauber ihre Hausaufgaben gemacht haben. Es hat immer auch Presseabteilungen gegeben, die nicht nur schönfärberisch kommuniziert haben. Sie haben ja in der Schweiz zahlreiche Unternehmen, die hervorragendes Reputation-Management betreiben und bei unseren Umfragen immer sehr weit vorne landen.
Zum Beispiel?
Nestlé etwa oder Novartis. Beides global aufgestellte Konzerne, die heute mehr repräsentieren als «nur» eine überzeugende finanzielle Performance. Sondern auch Dinge wie Innovationsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Glaubwürdigkeit gegenüber Anteilseignern, Mitarbeitern und Kunden sowie soziale Verantwortung. Das ist insbesondere im Fall von Novartis bemerkenswert, da sie ja das Ergebnis eines Zusammenschlusses zweier Unternehmen war, um deren Ruf es zeitweise nicht sonderlich gut bestellt war.
Die schöne Faustregel aus dem privaten Bereich, laut der es sich «gänzlich ungeniert lebt, wenn der Ruf erst ruiniert ist», hat im Geschäftsleben keinen Wert?
Nein, selbst der klassische Eigentümerunternehmer war früher ja schon besorgt um seinen persönlichen Ruf, weil davon auf lange Sicht die Reputation seines Unternehmens abhing. Heute im Zeitalter des Personenkults prägt ein Topmanager den Ruf des Unternehmens genauso.
Ein Fehler?
Nicht unbedingt. Unternehmen müssen mit Informationen über ihre CEOs sorgsam umgehen und wissen, worauf sie sich einlassen. Das Image des CEO wirkt sich auf die Bindung von Kunden, Investoren, Mitarbeitern und Aktionären aus.
Wenn Bill Gates jahrelang Holzklasse flog, geschah das sicher nicht aus finanziellen Nöten, sondern weil er das Image eines Start-ups verströmen wollte.
Das mag sein, wobei die Bandbreite hier natürlich gewaltig ist. Gates’ Nemesis, Larry Ellison, etwa verkörpert mit seinem Faible für Jagdflugzeuge und seinem Engagement beim America’s Cup ja das Gegenteil einer frugalen Selbstdarstellung …
… wobei am Ende mit Ernesto Bertarelli vom Pharmakonzern Serono ein Schweizer den Pokal gewinnt.
(Lacht) Die Vorteile einer solchen «Strategie» liegen auf der Hand: Medien lieben starke Persönlichkeiten, das gilt auch für Mitarbeiter und Investoren. Persönlichkeiten können dem Unternehmen ein spezielles Gepräge verleihen. Allerdings liegt darin die Gefahr: Wenn sich Medien von Personen abwenden, wird oft auch das Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen.
Schwitzen die Mitarbeiter von Virgin regelmässig Blut und Wasser, wenn ihr Chef, Richard Branson, mal wieder im Helium-Ballon um die Welt gondelt?
(Lacht) Mag sein! Branson hat sich ja schon seit einiger Zeit aus dem aktiven Tagesgeschäft verabschiedet. Insofern kann er sich seine exzentrischen Abenteuer erlauben, ohne dass dies negative Rückwirkungen auf das Unternehmen hätte, im Gegenteil. Von diesem draufgängerischen Image profitiert die Organisation in einem gewissen Masse. Da Sie Virgin erwähnen: Aus Sicht des Reputation-Managements hat gerade dieser Konzern noch erheblichen Nachholbedarf.
Inwiefern?
Virgin wirkt auf den Beobachter wie ein Sammelsurium erfolgreicher Geschäfte. Was fehlt, ist die verbindende Klammer. Es ist nicht ersichtlich, welche tiefere innere Botschaft das Unternehmen hat, ausser Geld zu verdienen.
Eine hohe Medienresonanz etwa ist noch kein Garant für eine hohe Reputation?
Nein, Bekanntheit macht auch verletzlicher. Unternehmen sollten sich genau überlegen, ob eine extrovertierte Kommunikation empfehlenswert ist. Oft ist es besser, überlegt zu kommunizieren und in einer kontinuierlichen Aufbauarbeit die Unternehmenserfolge in Wesensmerkmale des Unternehmens überzuführen.
«Wesensmerkmale» – das klingt ziemlich psychologisierend. Ist es so, dass Unternehmen immer mehr vermenschlichen?
Einerseits ja. Reputation wird durch Wertvorstellungen, Handeln, Kommunikation und Erscheinungsbild eines Unternehmens bestimmt. Die Organisation erhält dadurch ihren Charakter. Andererseits ist gutes Reputation-Management kein weicher Faktor, sondern ein ganz knallhartes Unterscheidungsmerkmal für den Geschäftserfolg.
Manche Reputation-Management-Initiativen von US-Unternehmen wirken aufgesetzt. Etwa, wenn Mitarbeiter der Bank of America in Florida ausrücken, um den Opfern von Hurrikans zu helfen. Ist das nicht allzu durchsichtige Werbung?
Ganz und gar nicht. Natürlich sind solche Aktionen typisch amerikanisch. Für eine lokal operierende Bank ist es gerade in Krisenzeiten extrem wichtig, eine starke Präsenz zu zeigen.
Schwer vorstellbar, dass in Zukunft Manager von UBS oder Credit Suisse in der Schweiz mit Schaufel und Sennenhund losziehen, um bei Rettungsarbeiten nach einem Lawinenabgang zu helfen.
Täuschen Sie sich nicht! Vielleicht ist Ihr Beispiel etwas weit hergeholt. Das Engagement in sozialen Dingen wird künftig auch in europäischen Unternehmen über die Kunststiftungen oder das Sponsoring des örtlichen Sinfonieorchesters hinausgehen. Da Sie die Banken ansprechen: Die landen bei unseren Befragungen immer auf den hinteren Plätzen. Gerade Banken haben in Sachen Reputationspflege eine Menge aufzuholen.