Ein paar Tage lang in einem schön gelegenen Seminarhotel und abgeschottet vom Tagesgeschäft neue Ziele definieren oder Eingefahrenes überdenken? Gerne. Aber wie?
«Leider haben Teambildungs-Abenteuer, in denen Kollegen und Chefs zusammen einen Berg erklettern oder Kanu fahren, nur einen kleinen Effekt auf den Alltag. Gut gemachte Retraiten dagegen können die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und die Arbeitsleistung von Teams nachhaltig erhöhen», erklärt Arbeitspsychologin Franziska Tschan von der Universität Neuenburg.
Konkrete Themen als Basis
Wichtig sei es dabei, dass sich die Retraite einem konkreten Thema aus dem Arbeitsalltag der Teilnehmenden widme. Dies tut beispielsweise die Swiss Re, wo Führungsverantwortliche in der Regel alle zwei Jahre mit ihren Teams ein Offsite-Meeting durchführen, wie Brigitte Meier von der Swiss Re bestätigt: «An Retraiten, die vorzugsweise in Seminarhotels mit nicht zu langen Anfahrtswegen stattfinden, nehmen meistens ganze Teams oder Arbeitsgruppen teil. Ziel ist die intensive gemeinsame Auseinandersetzung mit bestimmten Themen, beispielsweise dem Aufbau neuer Teams. Extern zu gehen bedeutet auch Abstand vom Alltag.»
Bei der Post mit ihren über 50000 Mitarbeitenden werden Retraiten zwar nicht zentral statistisch erfasst, aber die Unternehmung führt in den verschiedenen Geschäftsfeldern Retraiten durch: Beispielsweise im Rahmen der strategischen Ausrichtung, innerhalb von Kadermeetings oder Führungsseminarien.
Oliver Flüeler, Mediensprecher der Post, hält fest, dass sich solche Retraiten tendenziell an das mittlere und obere Kader richten. «Der Rückzug aufs Wesentliche, gepaart mit der Begegnung in einem anderen Umfeld, können sich befruchtend auf Mitarbeitende, Team, Projekte und somit aufs Unternehmen auswirken», so Flüeler. Dazu würden neben der Vertiefung und Entwicklung der Themen auch die konzentrierte Lösungsfindung an einem alltagsunabhängigen Ort beitragen.
Ähnlich klingt es bei der ABB Schweiz. Mediensprecher Lukas Inderfurth betont, die Teilnahme an einer Retraite finde nach dem Prinzip «need to be there» statt und sei nicht an Hierarchie oder Seniorität gebunden: «Im Zentrum stehen die Kompetenz und die Verantwortung.»
Die genaue Anzahl solcher Retraiten kann die ABB nicht eruieren. Generell könne man jedoch davon ausgehen, «dass bei einer Firma mit 5000 Mitarbeitenden ständig ein Team in einem externen Workshop steckt». Je nach Zielsetzung finden die Veranstaltungen in der Schweiz oder im benachbarten Ausland statt, da ABB Schweiz über kein eigenes Schulungszentrum verfügt.
Kein Zwang zum Entscheiden
«Retraite ist ein militärischer Begriff und stammt aus der Kavallerie. Die Soldaten an der Front ziehen sich zurück. Darin schwingt immer das Eingeständnis einer Niederlage mit. Für Betriebe und Organisationen müsste man einen Begriff suchen, der angemessen ist», erklärt Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. «An einer Retraite müssen nicht unbedingt Entscheide gefällt, sondern nur vorbereitet werden. Beim Abwägen von Argumenten sollte auch genug Platz für Assoziationen und für das Neue sein.»
Mögliche Fragestellungen einer Retraite seien: «Wie arbeiten wir zusammen? Wo müssen wir uns verändern?» Für Theo Wehner darf eine Retraite keine verlängerte Arbeitssitzung sein, sonst hätte sie ihr Ziel verfehlt. Denn die eigentliche Chance des gemeinsamen Rückzugs ist, sich in einem anderen Rahmen kennen zu lernen. «Es geht in der Retraite nicht in erster Linie um eine Fachexpertise, sondern um Kompetenz in der Gruppe. Statt nur strategische Fragen voranzutreiben, sollte man die Gelegenheit nutzen, die Dynamik der Gruppe zu reflektieren.»
Theo Wehner schlägt vor, in einer Retraite etwas gänzlich anderes zu tun, als man sonst tut: «Sich Themen anhören, für die man im Tagesgeschäft keine Zeit hat, oder in der Region etwas besichtigen, das einen Bezug zur Firma hat.»
Ob eine Retraite gelingt oder nicht, hängt nicht nur vom Durchführungsort, sondern auch von den Erwartungen der Veranstalter ab, die nicht unrealistisch hoch sein dürfen. Denn Teamwork per se ist nicht wertvoller als Einzelleistungen.
Theo Wehner unterstreicht, dass Teamarbeit auch an ihre Grenzen stossen kann: «Wir wissen in der Arbeitspsychologie, dass das in der Praxis so beliebte Brainstorming in der Gruppe nur halb so viele Ideen liefert, und erst noch weniger kreative, als wenn dieselben Personen je einzeln .»
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5 Tipps, wie die Retraite erfolgreich wird
- Am sinnvollsten sind Retraiten, die sich konkreten Themen aus dem Alltag widmen, für die man im Tagesgeschäft keine Zeit hat.
- Ein externer Moderator verhindert Routine und kann zu einer neuen Sichtweise der Dinge beitragen.
- Gute Startvoraussetzungen ist eine klare Aufgabenstellung mit Stundenplan und Zielvorgabe. Trotzdem soll Raum für Unvorhergesehenes offen bleiben.
- Auch der informelle Teil einer Retraite, beispielsweise das Gespräch bei den Mahlzeiten, ist wichtig, um den Tag abzurunden und sich auszutauschen. Oft entstehen die besten Ideen in dieser Phase.
- Nach einer Retraite sollte man das Gehörte nochmals reflektieren und versuchen, es im Alltag umzusetzen.