Christopher Bitterli (47), der das Familienunternehmen Grovana in zweiter Generation führt, muss nicht schlecht gestaunt haben, als er das Inventar besichtigte, das er 2001 zusammen mit den Markenrechten an Revue Thommen aus der Konkursmasse erwarb. Schnellstens liess er den «Schatz» nach Tenniken im Baselland an seinen Firmensitz transferieren, denn er umfasste nebst Konstruktionsplänen Tausende von Werkteilen und Schrauben und sogar Werkzeuge zur Herstellung eigener mechanischer Uhrwerke.
Fast über Nacht zur Manufaktur geworden
Die weiteren Schritte waren für Bitterli klar. Als Erstes übertrug er seinem Produktionsleiter Aristides Balabanis die aufwendige Inventarisierung des wertvollen Lagers. Dann teilte er die 1924 gegründete und erfolgreich tätige Uhrenfabrik Grovana in zwei Divisionen, denn er erkannte rasch, dass er für Revue Thommen zusätzliche, gut ausgebildete Uhrmacher benötigt. Seit dieser Übernahme bildet Grovana neben kaufmännischem Personal auch wieder Uhrmacher aus und verfügt in jedem Lehrjahr über eine auszubildende junge Person.
Auch baulich konnte sich Grovana dem zusätzlichen Platzbedarf lückenlos anschliessen, da bereits Anfang 2000 ein zusätzlicher, dreistöckiger Neubau erstellt wurde. Über die alten Produktionsstätten zwischen dem Bürohaus und dem Neubau wurde 2003 ein neues Glasgebäude «gestülpt» und ein zusätzliches Stockwerk aufgebaut. So konnten die Werkherstellung, Montage und Kontrolle der Revue- Thommen-Uhren von den Montagearbeiten für Grovana-Uhren abgetrennt werden. Heute zählt das Unternehmen 40 Beschäftigte, davon 25 im Betrieb. «Wir haben sehr langjährige Mitarbeitende», freut sich Bitterli.
Ausgerechnet der Heimmarkt bleibt ein hartes Pflaster
«Bei der Distribution und dem Verkauf mussten wir von Null beginnen», erklärt Heinz Schweizer, der 1999 als Stellvertreter von Bitterli zur Grovana gestossen und heute für die Division Revue Thommen verantwortlich zeichnet. Klar kann Revue Thommen vom hervorragenden weltweiten Agenten- und Servicenetz der Grovana profitieren, doch es braucht andere Verkaufsgeschäfte. Revue-Thommen-Uhren gibt es heute bereits wieder in 45 Ländern: Von den Balkanstaaten über den Mittleren bis in den Fernen Osten (Singapur, Hongkong, China und Japan), aber auch in Brasilien, Italien und Deutschland. Auch in der Schweiz, doch hier zu Lande sei es schwieriger, neu in den Fachhandel zu gelangen.
Gegründet als Abwehr gegen die drohende Arbeitslosigkeit
Selbst die Manufaktur-Tradition wäre beinahe verloren gegangen, denn mechanische Werke aus alten Beständen wurden nur bis 1998 zusammengesetzt. Ihre Anfänge gehen ins Jahr 1883 zurück, als sich die Gemeinde Waldenburg zur Uhrenproduktion entschloss, um gegen die Arbeitslosigkeit und Armut anzukämpfen. Doch das Unternehmen begann erst mit der Privatisierung durch den jungen Kaufmann Gédéon Thommen ab 1859 zu florieren. Schon damals machte sich Thommen von Zulieferern unabhängig, indem er eigene Rohwerke herstellte.
1905 übernahm Sohn Alphonse die Thommen Uhrenfabriken AG und begann schon bald für die Luftfahrtindustrie Präzisionsinstrumente herzustellen. Dieser Bereich wurde ab den 80er Jahren stark ausgebaut, das Unternehmen in Revue Thommen umbenannt und die Uhren gleicher Marke in die schon früher erworbenen Uhrenfabriken Marvin und Vulcain nach La Chaux-de-Fonds ausgelagert.
«Im Jahr 2000 führten die Rubel- und Fernostkrisen zum Konkurs der gesamten Uhrenproduktion. Nach langen Verhandlungen mit dem Präsidenten der Revue Thommen Instrumente AG in Waldenburg konnte ich die Rechte an der Uhrenmarke Revue Thommen erwerben», erzählt Bitterli.
Übrigens: Auch die Uhrenmarke Vulcain lebt weiter. Die Markenrechte wurden aus derselben Konkursmasse von zwei Investoren aus der Immobilienbranche übernommen und in Le Locle mit den Armbandweckeruhren Cricket zu neuem Leben erweckt.
Sieben Kaliber, darunter das Gesellenstück GT 60
Bis ins Jahr 1961 entwickelte und fertigte die Uhrenfabrik Thommen an die 100 verschiedene Kaliber, gekennzeichnet mit GT, den beiden Anfangbuchstaben des ersten Besitzers Gédéon Thommen. «Davon sind wir weit entfernt», stellt Produktionsleiter Balabanis fest. Doch drei Jahre nach der erfolgreichen Rückkehr der Marke Revue Thommen in die Uhrenszene produziert die neue Manufaktur in Tenniken bereits wieder sieben verschiedene mechanische Kaliber.
Bei der Integration der Marke Revue Thommen in die Grovana AG wurde beschlossen, zwei Hauptsegmente weiter zu entwickeln: Die Fliegeruhren Airspeed und die traditionell klassischen Uhren mit eigenen Manufakturwerken. Auf dem Basiswerk GT 44 11 1/2''' mit Handaufzug sind das GT 54-Automatikkaliber mit drei Zeigern, das Kaliber GT 55 mit kleiner Sekunde bei 6 Uhr, das Kaliber GT 56 mit kleiner Sekunde und grossem Datumszeiger oder das Kaliber GT 58 mit drei Zeigern und Datum mittels Datumsscheibe aufgebaut. Auch für Damenuhren werden seit 2004 das GT 12 8 3/4''' als Basis (Stunden- und Minutenzeiger) und das GT 14 mit kleiner Sekunde bei 6 Uhr wieder hergestellt.
Grovana wird sich für sämtliche klassischen Uhrenmodelle der Marke Revue Thommen auf die Weiterentwicklung der GT-Werke konzentrieren. So wurde auf der «BaselWorld 2005» das Manufakturkaliber GT 60 als Prototyp präsentiert. Es ist das erste, komplett in Eigenregie hergestellte Manufakturkaliber unter der Regie von Grovana sozusagen das Gesellenstück. Es zeigt die Gangreserve bei 5 Uhr und den Stand der Mondphase oben bei 12 an. Bis zur Basler Messe 2006 sollte das ganze Uhrenmodell fertig entwickelt sein.
Bei den Fliegeruhren werden die bisher verwendeten Kaliber, etwa von Dubois Dépraz, beibehalten. Dass Grovana von Anfang an mit den Uhren der Marke Revue Thommen schwarze Zahlen schreibt jährlich werden zwischen 20000 und 25000 Uhren im mittleren Preissegment von 900 bis 7000 Fr. abgesetzt , freut die Geschäftsleitung. Den Einwand, dass mit dem Gebäudeaufbau und den auszubildenden Uhrmachern und Lehrlingen beträchtlich investiert worden ist, quittiert Bitterli mit einem Schmunzeln: «Wer nicht in die Zukunft investiert, verpasst die Zukunft!»
Grovana: Gute Qualität zu einem guten Preis
Die Uhrenfabrik Grovana wurde 1924 in Tenniken BL als Familienaktiengesellschaft gegründet. 1971 erwarb Werner Bitterli, der Vater des heutigen Geschäftsführers Christopher Bitterli, das Unternehmen und expandierte mit den preiswerten und robusten Swiss-made-Uhren der Marken Grovana und Swiss Alpine Military (mit rot-weissem Schweizerkreuz auf dem Zifferblatt), die mit Automatik- und Quarzwerken von ETA und Ronda bestückt werden, in alle Welt. Mit zunehmender Bedeutung der Werbebranche baute Grovana ein drittes Standbein auf, jenes der so genannten Private Labels, also von personalisierten Uhren als Werbegeschenke.
Als mittelgrosses, flexibles Familienunternehmen kann Grovana auf schier jeden Kundenwunsch eingehen; selbst Einzelstücke werden gefertigt. Mittlerweile werden Grovana-Uhren über lokale Importeure und Agenten in über 90 Ländern vertrieben, wobei Osteuropa, Russland, der Mittlere und ganze Ferne Osten die stärksten Märkte bilden. Die Jahresproduktion liegt bei rund 320000 Damen- und Herrenuhren; die Werbeuhren machen nur noch 13% aus. Das Hauptpreissegment bewegt sich zwischen 90 und 250 Fr., Chronos ab 500 und Diamanten besetzte Modelle ab 1000 Fr.
Mit der Eingliederung und Herstellung der mechanischen Revue-Thommen-Uhren kann das Familienunternehmen Grovana seit 2002 ein in der Region Basel tot geglaubtes Manufaktur-Handwerk wieder auferstehen lassen und neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen. (sr)
Der Grovana-Chef
Christopher Bitterli (47) leitet das Uhrenunternehmen Grovana in Tenniken BL heute im Alleingang, nachdem er 1984 nach einem Studium der Betriebsökonomie und einem Praktikum beim damaligen Bankverein Basel in das väterliche Unternehmen eingetreten ist. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne.