Irgendwann im Laufe des Gesprächs zieht er plötzlich ein Blatt mit einer Excel-Tabelle aus einem Stapel Papier und legt es auf den langen Konferenztisch. Akkurate Zahlenkolonnen, oben die Einnahmen, unten die Ausgaben. Gestaffelt nach Höhe der möglichen Pay-per-View-Verkäufe:
400 000 zahlende Zuschauer, 800 000, eine Million. Ganz unten am Ende jeder Spalte steht fett gedruckt, was jeweils übrig bleiben würde für den Fighter. Garantiert. Konservativ gerechnet. «Sehen Sie», sagt Richard Schaefer in seinem singenden, schweizerisch eingefärbten Englisch, «diese Tabellen sind es, die uns von Leuten wie Don King oder Bob Arum unterscheiden. Wir spielen von Anfang an mit offenen Karten. Und behandeln unsere Boxer fair.»
Glaubt man Experten, schickt sich der Berner mit Wohnsitz in Los Angeles tatsächlich gerade an, eines der härtesten Geschäfte der Welt zu revolutionieren. Jahrzehntelang beherrschten ebenso schillernde wie zwielichtige Promoter die Szene. Typen wie Don King, von dem sein Biograf behauptet, er sei von einer geradezu unstillbaren Raffgier getrieben, «die sich mit höchster Brillanz dem Geschäft der Ausbeutung widmet».
Schaefer will mit all dem aufräumen. Seine Chancen dafür stehen nicht schlecht. Bei der weltweiten Wahl zum «Promoter of the Year» des renommierten Internetportals SecondsOut belegte Schaefers Golden Boy Promotions jüngst Platz eins – vor Arums Firma Top Rank und dem Berliner Boxstall von Wilfried Sauerland. Für Erstaunen sorgt besonders Schaefers Idee, die Kämpfer zu Teilhabern ihres Boxstalls zu machen – «ganz nach dem Modell des United-Artists-Filmstudios in den zwanziger Jahren», wie er erklärt. Das heisst: Die Athleten, die bisher vor allem in persönlicher Abhängigkeit zu den launischen und geldgierigen Promotern standen, avancieren in Zukunft zu selbstbewussten Geschäftspartnern.
Lange Zeit sah es nicht so aus, als würde Schaefer jemals seinen gut dotierten Job als erfolgreicher Banker aufgeben und in die Welt der harten Bandagen wechseln. Nach Jahren beim Schweizerischen Bankverein und der Schweizerischen Volksbank baute er ab 1988 für den Bankverein eine Filiale in Los Angeles auf. Aggressiv trieb er das Wealth Management an der Westküste voran, betreute am Ende das Vermögen einiger der reichsten Familien vor Ort. Nach dem Merger mit der Bankgesellschaft stieg Schaefer bei der neuen UBS schnell zum Chief Executive der Abteilung Wealth Management Operations an der Westküste auf.
Als entscheidend für den abrupten Wechsel in Schaefers Karriere entpuppte sich ein von seinem Neffen Raul Jaime arrangiertes Treffen auf dem Golfplatz in Palm Springs anno 1995: Sein Golfpartner damals ist Oscar De La Hoya, Profiboxer mexikanischer Abstammung. Seit seinem Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona gilt er als Superstar der Boxszene. Er, der aufgrund seiner filigranen Boxtechnik und seines blendenden Aussehens schon früh den Spitznamen «Golden Boy» verliehen bekam, hat im bisherigen Laufe seiner Karriere in sechs verschiedenen Gewichtsklassen einen Weltmeistertitel gewonnen. Er boxt um Börsen, mit denen sich nur Mike Tyson oder Lennox Lewis messen können, und ist in der Latino-Gemeinde strahlendes Symbol für ein erfolgreiches Leben im Spannungsfeld zweier Kulturen.
Doch zunächst fällt das Treffen buchstäblich ins Wasser: Bei der Fahrt mit dem Golfcart tritt Schaefer zu heftig auf die Bremse – das Gefährt platscht in einen Teich. Doch irgendwie scheint das Missgeschick ein Band zwischen den beiden Männern zu knüpfen. «Ich fand Richard gleich sympathisch», wird sich De La Hoya später erinnern. «Er machte auf mich den Eindruck eines netten, ehrlichen und offenen Menschen.»
Es sollte freilich noch ein paar Jahre dauern, ehe sich der Boxprofi von seinem alten Beraterteam trennte und nach einem neuen Manager Ausschau hielt. «Wir haben damals lange Gespräche geführt», erinnert sich Schaefer heute. «Oscar war zwar sportlich enorm erfolgreich, aber es schien mir, als habe er seine Finanzen und sein Leben nicht wirklich im Griff.»
Anfang 2000 – Oscar De La Hoya hatte gerade einen Kampf gegen Felix Trinidad verloren – trat er endgültig an Schaefer heran und bat ihn, seine Karriere in geregelte finanzielle Bahnen zu bringen. «Ich setzte mich damals mit Oscar und seinen Anwälten zusammen an einen Tisch und präsentierte ihnen meine Steuererklärung», schmunzelt Schaefer heute. «Ich sagte ihnen: ‹Ich komme nur zu euch, wenn ihr mir das Gleiche zahlt wie die Bank.› Sie schauten sich kurz an – und nickten dann. Wir hatten einen Deal.»
Zunächst kümmerte sich Schaefer darum, mehrere hängige Klagen aus dem Weg zu räumen. «Oscar ist halt ein unglaublicher Frauentyp – und mehrere Damen hatten versucht, das auszunutzen», erklärt Schaefer. Dann gründeten Schaefer und De La Hoya die Golden Boy Promotions. 2003 unterbreitete Schaefer dem dominierenden Abo-Fernsehsender HBO den Vorschlag, eine sogenannte Latino Boxing Series ins Leben zu rufen – ein Ansinnen von durchaus gewaltiger Chuzpe, galt Golden Boy allenfalls als kleines Start-up. «Ich war schon immer sehr aggressiv, was das Geschäft angeht», sagt Schaefer. «Als ich für den Bankverein noch Vermögensverwalter war, habe ich immer gleich die Milliardäre umworben und mich nicht erst mit den Millionären aufgehalten.» Und HBO schloss tatsächlich einen Deal mit Golden Boy über die Produktion von «Oscar De La Hoya Presenta Boxeo De Oro». Das Format entpuppte sich als voller Erfolg und katapultierte Schaefer und De La Hoya quasi über Nacht in eine Kategorie mit Leuten wie Don King und Bob Arum.
Heute ist Golden Boy Promotions einer der führenden Boxställe der Welt, mit dreissig Klasseboxern unter Vertrag. Letztes Jahr beliefen sich die Umsätze auf 80 Millionen Dollar. «Wir haben sie zuletzt jedes Jahr verdoppeln können», sagt Richard Schaefer. Am 5. Mai wird in Las Vegas der bisher grösste von Schaefer veranstaltete Fight steigen. Dann kämpft De La Hoya gegen den derzeit nominell besten Boxer der Welt, Floyd Mayweather jr. «Der Fight war in weniger als drei Stunden ausverkauft», sagt Schaefer. «Ich musste inzwischen sogar Sylvester Stallone und Antonio Banderas vertrösten, weil es keine Karten mehr gab.» Und dies bei einem Durchschnittspreis pro Karte von über 1000 Dollar, was Golden Boy eine Rekordeinnahme von 19 Millionen Dollar beschert. Der bisherige Rekord wurde vom Aufeinandertreffen von Lennox Lewis und Evander Holyfield im Herbst 1999 gehalten. Die Schwergewichte nahmen damals 16,9 Millionen Dollar am Ticketschalter ein.
Die einzige Frage, die sich jetzt noch stellt, ist, ob der Kampf auch den Pay-per-View-Rekord von 1,99 Millionen Bestellungen, gehalten von Mike Tyson und Evander Holyfield, knacken kann. «Zwei Millionen Pay-per-View-Verkäufe sind natürlich eine gewaltige Zahl. Die Begeisterung am Ticketschalter könnte aber ein Indiz dafür sein, dass wir diese magische Marke im Mai schaffen könnten», ist Schaefer optimistisch.
Doch seine Ambitionen zielen noch weiter. «Ich hätte meine Bankkarriere nicht aufgegeben, um ausschliesslich Oscars Boxerfolge zu begleiten», sagt er. «Uns war von Anfang an klar, dass wir eine grössere Vision haben.» Genauer gesagt: der hispanische Markt in den USA. «Millionen Menschen aus Mittel- und Südamerika sind in den letzten Jahrzehnten hierhergekommen, um sich mit Fleiss und harter Arbeit eine Existenz aufzubauen», so Schaefer. Tatsächlich gaben hispanische Verbraucher in den USA im Jahr 2000 rund 465 Milliarden Dollar aus. «Wir gehen davon aus, dass diese Summe bis 2010 auf 985 Milliarden Dollar ansteigen und 2020 sogar über 2,3 Billionen betragen wird.» Ein riesiger Markt, der von US-Unternehmen noch völlig unterschätzt werde. «Wenn wir hier mit der geballten Starpower von Oscar De La Hoya unter unserem Label verschiedene Dienstleistungen und Produkte anbieten, könnte das schnell ein sehr lukratives Geschäft werden.»
Konkret heisst das: Golden Boy Real Estate Partners engagiert sich heute schon im Immobiliengeschäft in vorwiegend hispanischen Stadtvierteln von Los Angeles – der repräsentative Firmensitz im Zentrum von Los Angeles gehört De La Hoya schon seit zehn Jahren. Schaefer und sein Partner investieren derzeit in mehrere hispanische Zeitungsverlage in ganz Amerika, die Gründung einer Lebensmittelkette ist in der Planungsphase. Am interessantesten aber erscheinen die Pläne, in Zukunft Bankdienstleistungen für die aufstrebende hispanische Mittelklasse anzubieten: grenzüberschreitende Überweisungen, Kredite jeder Art, Vermögensverwaltung. Ein Markt, der in den USA von den grossen Instituten bisher sträflich vernachlässigt wurde. «Allein im Los Angeles County haben 44 Prozent der Bevölkerung hispanische Wurzeln», erläutert Schäfer. «Und Latinos sind nicht mehr nur Gärtner oder Hausangestellte – sie sind Ärzte, Anwälte und Gewerbetreibende. In Los Angeles gibt es 140 000 Firmen, die im Besitz von hispanischen Unternehmern sind.» Ein riesiges Geschäftspotenzial, das Schaefer und De La Hoya da anzapfen wollen. «Wir haben jetzt sechs Jahre lang das Fundament gelegt», sagt er zum Abschluss des Gesprächs. «Wenn Oscar sich demnächst vom aktiven Sport zurückziehen wird, starten wir erst richtig durch.»
Und einen Moment lang wirkt Richard Schaefer tatsächlich nicht mehr wie ein besonnener Schweizer Banker – sondern eher wie ein besessener Entrepreneur, der die Chance spürt, ein Imperium zu errichten.