Furchtbar. Einfach schrecklich. Riet Cadonau musste handeln. Er nahm das Bild von der Wand und stellte es weg. Das Werk des Grauens, ein Gemälde, steht nun versteckt im Büro seiner Sekretärin. Eingerahmt präsentieren sich matte Farben. Ohne Kraft, ohne Ausdruck. Das pure Gegenteil von dem, was der künftige Ascom-Chef verkörpert.
Der 46-Jährige verlangt Klarheit und Konsequenz. Immer. «Während der grössten Firmenkrise bei Ascom», erzählt er, «hat einer unserer Länderchefs sein Büro komplett neu eingerichtet und gleichzeitig Leute rausgeworfen.» Pause. «Das geht nicht.» Er klopft auf den Holztisch. «Ich habe den Mann sofort entlassen.» Vormachen, nachmachen, lautet das Credo des Ökonomen. Ein Vorgesetzter könne nicht Wasser predigen und Wein trinken. «Es müssen alle am gleichen Strick ziehen.» Dazu brauche es klare Vorgaben, Prozesse und Strukturen.
Der Wilde am Fussballfeld
Die setzt er sich in erster Linie selbst. Von Montag bis Freitag wird gearbeitet. Wenn es sein muss, bis spät in die Nacht. «Das ist mir wurst. Aber dann ist Ende Feuer» – also Wochenende. Samstag und Sonntag sind für die Familie da. Für seine Frau, die 15-jährige Tochter und den 10-jährigen Sohn. Sie feuert er wie ein Wilder an, wenn die beiden begeisterten Fussballer auf dem Feld stehen. «Dann bin ich Vater; juble und leide mit.» Oder er spielt Tennis mit seiner Tochter, trifft Freunde, treibt Sport. Auch das nur an den letzten zwei Wochentagen. «Da bin ich sehr konsequent.» Oder aber er liest Unterlagen der Unternehmen Griesser und Kaba. Bei beiden sitzt er im Verwaltungsrat. Wie war das noch? Keine Arbeit am Wochenende? «Das», so Cadonau, «beeinträchtigt mein Privatleben nicht.» Er sei Frühaufsteher seit Kindsbeinen. Deshalb habe er Zeit.
Manager, die sich selbst zu Sklaven ihrer Unternehmen machen, versteht der Generalstabsoffizier nicht. «Die verpassen etwas.» Cadonau will sich nicht fremdbestimmen lassen. Einen Blackberry – ein Handy-Computer mit E-Mail-Funktion – besitzt er nicht. Als Einziger in der erweiterten Geschäftsleitung der Affiliated Computer Services mit Sitz in Dallas. In diesem Konzern leitete er bis Ende Juni unter anderem die ehemalige Ascom-Sparte Transport Revenue. Und er ist auch eine Ausnahme in seinem Bekanntenkreis. Als er vor kurzem mit zwei Freunden, einem Anwalt und einem Bank-Kader, zu Abend ass, zückten beide ihren Blackberry. Cadonau wartete einige Minuten. Dann stellte er sein Ultimatum: Entweder, die Störfaktoren verschwinden, oder er. Er blieb.
Unerwünscht: Viele Cadonaus
«Wenn ich etwas will, dann sage ich es unmissverständlich.» Entscheide zu fällen ist seine Stärke. Das bestätigt ein ehemaliger Weggefährte. Manchmal sei er richtiggehend stur. «Was er sich in den Kopf gesetzt hat, das zieht er durch», beschreibt ein Bekannter. Das gilt auch für seine Prinzipien. E-Mails etwa akzeptiert er keinesfalls in Situationen, in denen Handlungsbedarf besteht. «Probleme lassen sich nur im Gespräch lösen, sicher nicht mit E-Mails.» Leute, die für alles und jedes E-Mails schreiben, würden nur Entscheidungen vor sich herschieben. Damit hat er Mühe. «Ich habe viel lieber Menschen um mich, die ich zurückhalten, als solche, die ich immer antreiben muss.»
Lauter kleine Cadonaus sind dennoch alles andere als sein Ziel. «Um Gottes Willen, bloss nicht», sagt er. Und verweist schmunzelnd darauf, dass seine Frau seine Einschätzung wohl teilen würde. Ein Teamplayer sei er, und nicht jemand, der Klone um sich schare. In seinem Team hätten alle Charaktere Platz, solange sie sich gegenseitig befruchteten. Ein Philosoph ebenso wie ein Draufgänger. «Es liegt am Chef, ein Team zu führen und das Beste aus jedem rauszuholen.» Das braucht Fingerspitzengefühl. «Und kulturelles Verständnis», ergänzt er. Einen Franzosen etwa könne man nicht wie einen Deutschen behandeln. Und wenn ein Engländer auf einen Vorschlag «well, I am going to think about it» antworte, dann müsse man wissen, dass das heisst: «Ich bin damit nicht einverstanden.»
Am liebsten sind dem Vielreisenden die Amerikaner. «Die sind direkt. Man kann sagen, was man denkt.» Wie ihm. Er kann austeilen und einstecken. Amerikaner ist Cadonau trotzdem keiner. Zu sehr ist er darauf bedacht, niemanden vor den Kopf zu stossen.
Cadonau ist gebürtiger Bündner. Er geniesst die Natur und vor allem die Berge. Im Winter steht er mit seiner Familie auf Skiern und Schlittschuhen, im Sommer macht er jeweils eine Woche Veloferien. «Sie werden Cadonau nie am Strand erleben. Sich zehn Tage im Sand braten zu lassen, kann ich mir nicht vorstellen. Da würde ich ungemütlich.» Seine Ferien müssen aktiv sein.
Vom gemeinsamen Wandern oder Mountainbiken mit seinem Führungsteam dagegen hält er wenig. «Ein Team bildet sich in Krisen. Dann etwa, als wir 2002 alleine am Standort Gümligen 40% der Kosten reduzieren mussten. Wir mussten schmerzhafte Einschnitte vornehmen, viele Angestellte verloren ihren Job. Solche Situationen schweissen Menschen zusammen und nicht, wenn man einmal im Jahr zusammen klettern geht.» Er habe zwar auch schon gemeinsam mit seinen Kaderkollegen einen Koch-Abend veranstaltet. Doch so ein Erlebnis sei mehr eine Honorierung für gute Leistungen als ein Versuch, mehr Zusammenhalt in das Team zu bringen.
Fehler sind erlaubt. Einmal
Gemeinsam Probleme erkennen, durchstehen und lösen, das ist Cadonau wichtig. Fehler sind erlaubt, weil alltäglich. «Wir alle machen Fehler. Ein Beispiel: Ascom fuhr 2001 bis 2002 schwere Verluste ein. Wir mussten in der anschliessenden Turnaroundphase so schnell so viele Entscheidungen fällen, dass ein paar davon auch Fehlentscheide waren. Weil aber von dem, was wir gemacht haben, mehr richtig als falsch war, hat das Unternehmen überlebt.» Und auch deshalb, weil aus den Fehlern jeweils rasch die entsprechenden Konsequenzen gezogen wurden.
Cadonau beugt sich nach vorne, wird ernst. «Jeder und jede darf bei mir Fehler machen. Aber jeden Fehler nur einmal. Sonst werde ich sehr ungemütlich.» Ein Fehler müsse erfasst und analysiert werden. Man müsse begreifen, weshalb er passiert ist und wie man ihn künftig verhindern kann. Dann wird ein Protokoll erstellt. Struktur muss sein.
Alles bleibt beim Alten – fast
Auch in seinem künftigen Büro in der feudalen Ascom-Zentrale
in Bern. Notebook, Drucker, Scanner und Fax werden nahe zusammen auf seinem Pult stehen. Daneben drei Fächlein, je eines mit der Aufschrift «in», «out» und «ablegen». Diese Ordnung hilft der Effizienz. Gross umgestalten will Cadonau den Raum all seiner Vorgänger nicht. «Das ist nicht nötig. Zudem würde es zu viel kosten.»
Wenn der Technologiekonzern einmal sehr erfolgreich am Markt agieren sollte, dann – und nur dann – könnte er sich ein neues Mobiliar vorstellen. Die gleichen Modelle, die in seinem Büro zu Hause stehen: Tische und Schränke von USM Haller. Die nächsten Jahre bleibt jedoch alles beim Alten.
Fast jedenfalls. Die Wände will er mit Bildern schmücken. Bildern, die er ausgewählt hat. Die zu ihm passen. Grosse, abstrakte Flächenmalereien mit kraftvollen Farbtönen. «Da ich einige Zeit in diesem Raum verbringen werde», er zeigt in die am weitesten von ihm entfernte Ecke, «muss ich mich auch wohl fühlen.»
------
Zur Person
Steckbrief
Name: Riet Cadonau
Funktion: Ab 20. August CEO der Ascom
Alter: 46
Wohnort: Erlenbach ZH
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Karriere
1998–2001: Mitglied der Geschäftsleitung IBM Schweiz
2001–2005: Mitglied der Konzernleitung Ascom
2005–2007: Managing Director Transport Revenue und Senior Vice President ACS Europa
Ab 20. August 2007: CEO Ascom
Führungsprinzipien
1. Generell: Vorbild sein. Tun, was man sagt.
2. Kundenorientierung vorleben und einfordern.
3. Fähige und engagierte Mitarbeitende fördern.
4. Konsequente Umsetzung gefällter Entscheide durchsetzen.
Firma
Ascom: Die Berner Firma beschäftigt 2100 Mitarbeiter. Der Konzern hat sich mit den Divisionen Wireless Solutions und Security Solutions auf Kommunikationslösungen in schwierigem Umfeld fokussiert. 2006 betrug der Umsatz knapp 565 Mio Fr.