Automatisieren oder Auslagern. Der Rieter- Konzern macht beides mit Erfolg.
Der überwiegende Teil der 13 000 Beschäftigten arbeitet bereits heute im
Ausland. Davon bald jeder Vierte in einem Niedriglohnland wie etwa in
Tschechien oder China. In der Schweiz dagegen beschäftigt der
Textilmaschinenbauer und Autozulieferer noch 1800 Leute. Könnten es bald
einmal noch weniger sein? Rieter-Konzernchef Hartmut Reuter verneint. Für ihn
steht ausser Frage, dass es auch in Zukunft Sinn machen wird, an
Hochlohnstandorten wie der Schweiz zu produzieren. «Wir wollen an der
Schweiz festhalten», versicherte er anlässlich einer Presse- und
Analystenreise.
Zumindest die Kernkompetenz lässt sich nicht auslagern, und diese liegt bei
Rieter Textile Systems in allen Teilen, die in unmittelbarem Kontakt mit dem
Garn stehen. Hier liegt das technologische Know-how, das man nicht aus der
Hand geben will. Alles andere seien es Schalter oder Kabel kann dagegen
irgendwo hergestellt werden.
Wie Rieter heute in der Schweiz arbeitet, zeigt sich zum Beispiel im Spin
Center am Stammsitz Winterthur. Hier kann den Kunden einerseits vorgeführt
werden, was technologisch möglich ist. Zum andern dient das Spin Center aber
auch als hausinterne Versuchsanlage, wo zusammen mit der Kundschaft nach
neuen Lösungen gesucht wird. «Erst aus diesem Zusammenspiel entsteht
Innovation und technologische Spitzenleistung», so Reuter. Mit anderen
Worten: Die Überlebensfähigkeit der Textilindustrie in einer Hochlohnregion wie
Europa bedingt eine enge Zusammenarbeit zwischen Maschinenbauern und
Kunden.
Das Überleben sichern
Am Leben erhalten wird die Textilindustrie also durch ein hohes
Anspruchsdenken, das es eigentlich nur in Nischenmärkten einer
fortgeschrittenen Volkswirtschaft gibt. Genau dieser Faktor ist für das
Überleben der Branche matchentscheidend. Fällt einer der Partner weg, so
verschwindet nach und nach auch der andere. So geschehen in den USA, wo
es kaum noch Textilmaschinenbauer gibt und es nur noch eine Frage der Zeit
ist, bis die einfache Textilindustrie völlig verschwunden ist. Alleine seit Anfang
Jahr haben in den Vereinigten Staaten über 50 Spinnereien den Betrieb
eingestellt.
Die Textilindustrie ist ein verrücktes Geschäft. Wer ein Baumwolllager in einer
Fabrik besichtigt, der wähnt sich sogleich in einer anderen Zeit. Just in Time
scheint ein Fremdwort. Stattdessen Vorräte auf Wochen hinaus. Die Hallen
sind voll bis unter die Decke. Lange Reihen von Ballen stapeln sich gleich
tonnenweise. Die Anlage steht nicht irgendwo in einem Transformationsland,
sondern im Westtiroler Bergort Landeck. Der Spinnereibetrieb Landeck ist keine
zwei Stunden von Winterthur entfernt und ein ganz wichtiger Kunde von Rieter.
Auf dem Gelände erklärt der technische Betriebsleiter, dass die Preise für den
Rohstoff gegenüber dem Vorjahr um 60% gestiegen seien. Dabei könne von
Überwälzen der Mehrkosten auf die Kundschaft keine Rede sein. Von
Devisenschwankungen will er gar nicht erst anfangen.
Das Einzige, was in dieser Situation zählt, sind höchste Leistung und tiefe
Kosten; kurz Spitzentechnologie.
Dass es mit diesen Attributen ein Überleben für die Textilindustrie auch in
Mitteleuropa gibt, beweist die Spinnerei Landeck, die zur Linz Textil GmbH
gehört. Die Linzer Textilgesellschaft betreibt in Europa neun Fabriken, sieben
davon in Österreich. Laut dem Schweizer Generaldirektor Dionys Lehner steht
in Landeck die modernste Anlage Europas.
In die Firma investieren
Erst vor drei Jahren wurde die Spinnerei in enger Zusammenarbeit mit Rieter
ausgebaut. «Ein Projekt nicht ohne Klippen und Konflikte, doch mit einem
hohen Lerneffekt für beide Seiten», beschreibt Rieter-Textilchef Peter Gnägi
das damalige Projekt. Linz Textil liess sich den Ausbau rund 40 Mio Fr. kosten,
wovon rund die Hälfte in Rieter-Maschinen investiert wurden. Das sei schon
etwas gewesen, erinnert sich Lehner: «Die Leute kamen und sagten, wir wollen
die Idioten sehen, die das machen.»
Doch die Linz Textil GmbH läuft. Mit 650 Mitarbeitern erwirtschaftet die
Gesellschaft einen Umsatz von 270 Mio Fr. und erzielt einen zweistelligen
Cashflow. Der Grund für den Erfolg in Landeck verbirgt sich hinter den
Fassaden. Alleine diese Spinnerei umfasst zwei Fabrikationseinheiten, so
gross wie je ein Fussballfeld. Gemäss Lehner sei die Produktivität der Anlagen
um drei Viertel höher als bei der Konkurrenz. Allerdings sei auch der
Investitionsgrad mit 20% des Umsatzes doppelt so hoch wie anderswo.
Die Fabriken in Landeck sind bis auf den letzten Quadratmeter vollgestopft mit
Textilmaschinen, die zum überwiegenden Teil von Rieter stammen. Die 34 500
Spindeln verursachen ein Geräusch wie eine riesen Bienenvolk. Die Anlagen
laufen auf voller Kraft rund um die Uhr mit 6000 Betriebsstunden im Jahr.
Personal ist dagegen kaum zu sehen. Rund zehn Personen reichen, um eine
Schicht zu fahren, meint der technische Betriebsleiter. Gebe es Probleme, so
erhalte er ein SMS von den Maschinen.
Moderner gehts nicht, doch das Ende der technologischen Entwicklung sei dies
noch lange nicht, ist Rieterchef Reuter überzeugt. «Auch wenn der Trend in
Billiglohnländer weiter anhält, wird ein Teil der Textilindustrie auf dem alten
Kontinent bleiben.» Den Leuten sei immer wieder etwas eingefallen, um noch
einen Schritt weiter zu gehen.
Rieter: Schwäche bei Automotive
Die Rieter Division Textil läuft wie schon lange nicht mehr. Alleine im ersten
Halbjahr verbuchte die Sparte einen Umsatzsprung von mehr als 34%, und die
Ebit-Marge kletterte auf die Rekordmarke von 11%. Weniger rund lief es
dagegen im Automobilzulieferergeschäft. Was umso mehr schmerzt, da Rieter
Automotive immerhin zwei Drittel zum Konzernumsatz von 3,4 Mrd Fr. beiträgt.
Doch auch Rieter konnte sich der Flautestimmung in der Automobilindustrie
nicht länger entziehen. Trotz stetem Kostenmanagement ist es der
Automobildivision nur teilweise gelungen, dem äusserst harten Preisdruck der
Hersteller standzuhalten. Während Rieter Automotive das Volumen immerhin
noch auf Vorjahresniveau halten konnte, sackte die Betriebsmarge von 7 auf
4,4% ab. Dennoch will die Konzernleitung auch hier mittelfristig an einer Marge
von 8% festhalten, wie sie anlässlich einer Medienreise versicherte.
Entsprechende Massnahmen sind eingeleitet worden.
Rieter Letzer Kurs: Fr. 267
Fazit: Für die Entwicklung der Aktie ist massgebend, inwieweit es Rieter
gelingt, den steigenden Margendruck im Autozulieferergeschäft zu begegnen.
Unterstützung erhält der Titel zumindest durch das laufende
Aktienrückkaufprogramm. Auch im längerfristigen Vergleich ist die Rieter Aktie
nach wie vor günstig bewertet.