Eine Konzernbesichtigung beim Bergbaugiganten Rio Tinto kann leicht zu einer Weltreise ausufern. Die Besitztümer der Briten sind über alle Kontinente verteilt. Kupfer, Eisenerz, Kohle, Aluminium – so ziemlich jeder Rohstoff wird in den Werken des Mega-Konzerns gefördert.
Thomas Albanese, seit Mai der neue Chef, will die Weltkarte noch mal vergrössern: 44 Mrd Dollar inklusive Schuldenübernahme bietet Rio Tinto für den Aluminiumhersteller Alcan. Dessen Management hat das Angebot akzeptiert. Der Mega-Coup versetzt die Rohstoffbranche und Börsianer in Euphorie. Sorgen, der fünf Jahre währende Rohstoff-Boom könnte seinen Höhepunkt überschritten haben, scheinen verflogen. Dass Rio in dieser Phase des Rohstoffzyklus ein solches Gebot abgebe, sei ein Signal, dass der Zyklus noch nicht vorüber sei, jubelt Branchenanalyst Ted Leschke. «Rio ist bekannt dafür, dass sie sehr sorgsam mit ihrem Geld umgehen.»
Heiss begehrtes Aluminium
Dass Alcan eine attraktive Ergänzung ist, steht ausser Frage: Kupfer und Eisenerz machten zuletzt fast 80% der Gewinne von Rio aus. Durch die Übernahme wird der Anteil der Aluminiumerträge im kommenden Jahr von 10 auf etwa 30% steigen, kalkuliert Credit Suisse. Rio selbst gibt 25% als Richtmarke aus. «Es geht um Diversifikation», erklärt Keith Goode vom Branchendienst Eagle Mining Aluminium gilt als heisse Ware. Nicht nur, weil das Leichtmetall für den Bau von vielen Produkten vom Auto bis zur Getränkedose gebraucht wird. Die Aluminiumpreise haben sich zuletzt deutlich schlechter entwickelt als etwa die von Kupfer. Angesichts der ungezügelten Nachfrage aus China und Indien sehen Analysten daher erhebliches Nachholpotenzial. UBS etwa kalkuliert bis ins kommende Jahr einen Anstieg von rund 10%.
Kritik am hohen Kaufpreis, den Rio für Alcan bietet, gibt es kaum. Dabei ist die Summe gigantisch: Das Gebot liegt nicht nur mehr als 30% über der zuvor eingegangenen Offerte des US-Riesen Alcoa. Es bewertet Alcan mit dem 4,4-Fachen des Vorsteuergewinns. Als sich die Beteiligungsgesellschaft Apollo im April die Aluminiumsparte der schweizerischen Minengruppe Xstrata einverleibte, zahlte sie lediglich das 2,7-Fache.
«Die Leute haben trügerische Vorstellungen vom Wert dieser Unternehmen», kommentiert spitz der Branchendienst Spector Report. In der Branche aber hat man sich längst an grosse Summen gewöhnt: Mehr als 100 Mrd Dollar wurden laut Finanzdienst Bloomberg in diesem Jahr bereits für Übernahmen im Aluminiumsektor aufgerufen. Geld gibt es genug: Rio Tinto und Alcan kamen zusammengerechnet im vergangenen Jahr bei 49 Mrd Dollar Umsatz auf einen frei verfügbaren Cashbestand von 16,5 Mrd.
«Wir werden noch viele Übernahmen quer durch die Branche sehen», heisst es bei der niederländischen Bank ABN Amro.
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Alcan Schweiz: Hiesige Standorte hängen in der Luft
2500 Beschäftigte
Die Übernahme von Alcan durch Rio Tinto interessiert in der Schweiz direkt: Gegen 2500 Beschäftigte – damit jeder fünfte in der Schweizer Aluminiumindustrie engagierte Erwerbstätige – stehen hierzulande auf der Lohnliste von Alcan. Diese betreibt, aus der Fusion mit Alusuisse herrührend, Produktions- und Verarbeitungsstandorte in Altenrhein, Kreuzlingen, Rorschach/Goldach, Neuhausen am Rheinfall, Niederglatt, Zürich, Dagmersellen, Sins und vor allem Sierre und Chippis im Wallis. Alle diese Standorte sind über die Konsequenzen des Zusammengehens mit Rio Tinto nicht detailliert informiert.