Rot, Blau, Grün. Pfirsich, Rhabarber, Mango. Im Universum von Rivella dominieren Farben und Früchte. Nun stösst das Unternehmen auch ins Reich der Fauna vor. Der Rothrister Traditionsbetrieb steht kurz vor dem Launch eines neuen Getränks. Wappentier ist ein Bär. Sein Name: Urs.
Es ist ein Novum in der Geschichte des Unternehmens. Das neue Getränk gehört weder zur Markenwelt von Rivella noch zum Universum von Michel oder Passaia. Es ist vollkommen unabhängig von den drei Brands und legt den Grundstein für eine Neuausrichtung des Familienbetriebes. Rivella hat einen neuen Geschäftsbereich geschaffen, dessen Ziel es ist, Getränkeideen am Markt auszutesten, mit Jungunternehmern aus der Gastrobranche zu kooperieren und bestehende Marken zu kaufen. Der neue Geschäftsbereich ist Versuchslabor, M&A-Büro und Marktforschung in einem. Rivella-Geschäftsführer Erland Brügger hat eigens sein Chef-Büro geräumt, um dem Startup innerhalb des Getränkekonzerns Platz zu machen.
Das Unternehmen bestätigt die Neuausrichtung. «Rivella ist am Aufbauen eines strategischen Geschäftsbereichs», sagt Unternehmenssprecherin Monika Christener. Der Name: «Cin Cin – Die Innovationsplattform der Rivella AG». Ziel sei es, «neue Getränkekonzepte ausserhalb des bestehenden Marken- und Kundenspektrums für den Schweizer Markt zu entwickeln». Das erste Produkt werde im März in vier Städten der Deutschschweiz lanciert.
Neue Umsatzhoffnung
Urs ist eigentlich ein Polarbär. Er und seine Schaffer vom internen Startup sind die neue Umsatzhoffnung im Getränkekonzern. Seit über zehn Jahren stagnieren bei Rivella die Erlöse. Der Umsatzrekord stammt aus dem Jahr 2003. Seinerzeit summierte sich der Absatz auf fast 160 Millionen Franken. 2016 resultierten mehr als 20 Millionen weniger. Die Zahlen für 2017 werden im März publiziert. Sie dürften getrübt sein von der Rückrufaktion, die Rivella letzten Mai wegen Glasscherben gestartet hat. Es ist dies der grösste und teuerste Rückruf der jüngeren Rivella-Geschichte.
Zur schleichenden Umsatzentwicklung gesellt sich ein Innovationsproblem. Produktneuheiten sind Enttäuschungen am Laufmeter. Berühmtestes Beispiel ist Rivella Gelb. 2008 mit grossem Aufwand lanciert, wurde das Soja-Rivella nach vier Jahren wieder eingestampft. Aber auch die jüngsten Neulancierungen haben einen schweren Stand. Beispiel Liqit: 2016 kam das kalorienarme Fruchtgetränk in drei Variationen auf den Markt. Coop hat die Geschmacksrichtung «Grapefruit & Ananas» aber bereits wieder aussortiert. «Die Nachfrage hat unseren Erwartungen nichtentsprochen», so eine Sprecherin des Detailhändlers. In den Coop-Pronto-Filialen ist Liqit vielerorts komplett verschwunden.
Für die Lancierung der neuen Getränke aus dem Versuchslabor setzt Rivella nun nicht mehr auf die Grossverteiler. Das neue Getränk Urs ist für die Trendgastronomie konzipiert. Es soll in hippen Bars, Restaurants und Foodtrucks ausgeschenkt werden. Laut online verfügbarer Produktbeschreibung handelt es sich dabei um einen alkoholfreien Mix aus «fermentierter Limette und Wermut». Im Internet gibt es bereits erste Bilder des neuen Getränks (siehe unten). Sie zeigen einen zwinkernden Bären – wahlweise mit Schnauz, Maske, Hut oder Krone.
Der Name des Getränks ist eine Anspielung auf das lateinische Wort «ursus», zu Deutsch: «Bär». Die Marke liess Rivella im November des letzten Jahres schützen. Im Januar doppelte das Unternehmen nach und liess auch das Konterfei des Polarbären und einen Slogan beim Schweizer Markenregister eintragen. «Eisbär statt Kater» ist der Werbespruch, mit dem Rivella auf Kundenfang gehen möchte.
Spielwiese für neue Ideen
Experten räumen dem neuen Geschäftsmodell gute Chancen auf Erfolg ein. Sven Reinecke, Marketing-Professor an der Universität St. Gallen, zieht den Vergleich mit Google und dem Mutterhaus Alphabet. Unter dem Namen der Dachgesellschaft gäbe es Spielraum für Experimentelles, sagt er. «Geht etwas schief, bleibt nichts an der Marke Google haften», so Reinecke.
Auf Rivella übertragen heisst das: Das Versuchslabor kann Produkte lancieren, mit Geschmacksrichtungen spielen und Experimentelles in einem frühen Stadium auf den Markt bringen. Die Muttermarke Rivella bleibt dabei ohne Schaden, wenn eine Idee beim Konsumenten durchfällt. «So machen es auch die Firmen im Silicon Valley», sagt Reinecke. Die Kehrseite sei allerdings, dass das neue Produkt ohne die Zugkraft der Marke Rivella überleben muss.
Philipp Zutt, Chef der Zürcher Unternehmensberatung Zutt & Partner, pflichtet Reinecke bei. «Das Risiko ist überschaubar», sagt er. Zutt warnt aber auch: «Die Floprate in diesem Segment ist hoch.» Neun von zehn Produkten, die in dieser Getränkenische positioniert seien, würden scheitern. Während eine Adaption des bestehenden Rivella von der Markenbekanntheit profitieren könne, steht ein komplett neues Produkt am Anfang ganz nackt da. Zutt betont, dass die Abkehr von der Zweimarkenstrategie ein «sehr grosser Schritt» für Rivella sei.
Gleicher Wortlaut bei einem dritten Experten. Tilo Hühn, Getränkeforscher und Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, spricht von einem «erfrischenden und einzigartigen Ansatz» in der Getränkeindustrie. «Ich kenne keine Getränkefirma, die in dieser Konsequenz Raum gemacht hat für ein eigenes Startup», sagt er.
Pure Produktentwicklung, wie Rivella das in den letzten Jahren getan hätte, genüge nicht mehr. Um am Markt zu bestehen, brauche es neue Ideen. «Wer sich nicht bewegt, wird vom Markt verschwinden», ist der Getränkefachmann überzeugt.
Hühn kennt die involvierten Personen von früheren Projekten. Er ist beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der Rivella arbeitet. Innert weniger Monate habe das interne Versuchslabor ein erstes Produkt zur Marktreife gebracht. Weitere dürften folgen. «Nur für ein einziges Produkt lohnt sich der Aufwand nicht, den Rivella für die neue Innovationsplattform betreibt», sagt Hühn.