Das Vorwort des Buches, mit dem die Unternehmensberatung Roland Berger ihrem Namensgeber vergangenen Herbst zum 75. Geburtstag gratulierte, wirkt wie eine Ermahnung aus gegebenem Anlass. «Wie schafft man es, schnell und trotzdem mit Bedacht zu wachsen?», orakelt der langjährige Chef Burkhard Schwenker da. «Und wenn das auf Dauer nicht gelingt, wie erkennt man, ob der Neustart möglich ist? Neustart oder Exit, das ist für mich eine der spannendsten Fragen – und die Antwort ist ein Plädoyer dafür, dass sich wahres Unternehmertum auch in der nüchternen Entscheidung für einen Verkauf zeigen kann.»
Das Werk trägt den bezeichnenden Titel «Gute Führung». In diesen Tagen müssen Schwenker und Berger mehr denn je beweisen, dass sie die tatsächlich leisten können. Denn für die «einzige internationale Strategieberatung europäischen Ursprungs», wie sich Roland Berger Strategy Consultants selbst nennt, stellt sich die Existenzfrage. Die rund 250 Partner, denen die Firma gehört, werden bald entscheiden, ob sie sie verkaufen oder umbauen. Ganz frei sind sie bei der Wahl nicht: In der bisherigen Form ist Roland Berger auf Dauer kaum überlebensfähig.
Es sind zum einen veränderte Marktumstände, die die 1967 in München gegründete Beratung in die Enge getrieben haben. Die in den neunziger Jahren erzielten zweistelligen Zuwachsraten sind passé. Unternehmen hinterfragen den Mehrwert der Flipchart-Vollschreiber kritischer als früher, statt persönlicher Beziehungen entscheiden vor allem in Grosskonzernen jetzt Einkaufsabteilungen über den Zuschlag. Auf der anderen Seite werden die Beratungsthemen globaler. Die notwendige weltweite Präsenz können Berater aber nur mit hohen Investitionen finanzieren. Etliche Fusionen sind die Folge.
Eigene Lehren missachtet
Dass Roland Bergers Zukunft auf der Kippe steht, ist aber auch die Folge von Missmanagement in eigener Sache. Die Top-Manager haben einige elementare Weisheiten, die sie ihren Kunden gern in Power-Point-Präsentationen einbläuen, selbst nicht so genau genommen. So haben sie mit Preisrabatten Marktanteile gekauft und sind international zuletzt so stark gewachsen, dass die Strukturen kaum mithalten konnten. Zudem hat die unklare Nachfolge, bei der Patriarch Berger nicht loslassen wollte, die Entwicklung blockiert.
Der 75-Jährige, der formal als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats vor allem repräsentative Funktionen hat, zählt trotz seinem etwas in die Jahre gekommenen Netzwerk nach wie vor zu den wichtigsten Akquisiteuren. Mittlerweile scheint er jedoch vor allem an der Sicherung seines Nachruhms interessiert. Da passt es nicht ins Bild, wenn das Lebenswerk des Stifters bröckelt. Bei den Verhandlungen über die Zukunft der Firma werde Berger jede Verkaufslösung torpedieren, bei der sein Name entfalle, sind sich Insider sicher.
Die Aufgabe der Szenarioplanung unter erschwerten Umständen ist Burkhard Schwenker zugefallen. Nach sieben Jahren an der Berger-Spitze – aufreibend nicht zuletzt durch Stellungskämpfe mit dem Gründer – hatte sich der Tischlersohn im Jahr 2010 auf den Posten des Aufsichtsratschefs verabschiedet. Als Nachfolger Martin Wittig, einst Chef des Zürcher Offices, Anfang Mai wegen gesundheitlicher Probleme zurücktreten musste, übernahm der 55-Jährige erneut den Chefposten.
Als Mann für den Übergang scheint Schwenker die Idealbesetzung. Er kennt die Beratung, gilt als integer und loyal, hat sich für das Unternehmen aufgeopfert und sich möglichst wenig an den Machtspielchen an der Spitze beteiligt. Doch selbst ihm bläst der Wind rauer ins Gesicht. So soll es bei der Partnerversammlung Ende Juli ungewohnt heftige Kritik gegeben haben. Offenbar liegen manche Nerven blank.
Wie es um das Unternehmen tatsächlich bestellt ist, wissen nur wenige. Seit 2006 hat Roland Berger keinen Geschäftsbericht mehr veröffentlicht. Wie bei den meisten Konkurrenten gelten Details der Entwicklung als geheim. Immer wieder ist zu hören, dass Berger selbst im Heimmarkt Deutschland zuletzt Verlust gemacht haben soll, was die Beratung jedoch entschieden dementiert. In der Schweiz, mit 46 Beratern unter den Top 10 der Ländergesellschaften, berichtet Länderchefin Beatrix Morath von einem «guten Auftragseingang».
Veto in letzter Sekunde
Den Entscheid über einen Verkauf haben die Berater Ende Juli erst einmal vertagt. Stattdessen beschlossen sie ein Revirement: Die oberste Führungsebene bildet künftig ein Trio. Als Mann der Zukunft gilt der Franzose Charles-Edouard Bouée, der das Geschäft in seinem Heimatmarkt und in Asien leitet. Er hat an Elite-Unis studiert, sich auf die Beratung bei Übernahmen spezialisiert und ist ein «Verkäufertyp wie Roland Berger selbst», sagt einer, der ihn gut kennt. Insider sehen in ihm den wahrscheinlichen Nachfolger Schwenkers – wenn der den Chefposten nach Klärung der Eigentumsverhältnisse räumen sollte.
Derzeit zieht der amtierende Chef erst mal ein Sparprogramm durch. Zwar soll es keine Entlassungen geben, dafür aber deutliche Kürzungen bei den Sachkosten. Darin sehen Insider den Wunsch, die «Braut hübsch zu machen», wie es in München heisst. Der Käufer soll das Unternehmen im Bestzustand bekommen. Doch es ist fraglicher denn je, ob es überhaupt zur Hochzeit kommt. Je länger sich die Verhandlungen mit potenziellen Käufern hinziehen, desto unwahrscheinlicher wird der Abschluss.
Interessiert waren die drei grossen Wirtschaftsprüfer Deloitte, PricewaterhouseCoopers (PwC) und Ernst & Young. Mit Deloitte schien bereits 2010 alles für einen Zusammenschluss klar, bis die Beratung auf Initiative ihres Gründers den Deal in letzter Sekunde abblies. Dennoch riss der Kontakt nie ab. Inzwischen tendieren die Chancen, handelseinig zu werden, allerdings wieder «gegen null», berichten Eingeweihte. Hinsichtlich der Struktur könne oder wolle Deloitte-Chef Barry Salzberg keine akzeptable Lösung bieten. Die Prüfer sind ebenfalls verschnupft: Man wolle sich nicht an einem Bieter-Wettkampf beteiligen, den Berger mit der Bestätigung von Verkaufsverhandlungen angezettelt habe.
Ernst & Young ist Berger bei den Verhandlungen weit entgegenkommen: Die Berater könnten rechtlich eigenständig bleiben und ihren Firmennamen behalten. Im Gegenzug für versprochene Millionen-Investitionen für den Ausbau müssten sie sich allerdings vertraglich auf Dauer an die Prüfer binden – «ohne Ausstiegsmöglichkeit», wie ein Insider moniert. Ernst & Young gilt deshalb als zweite Wahl.
Gefährdete Wohlfühllösung
Schwenker favorisiere einen Zusammenschluss mit PwC, verlautet aus dessen Umfeld. Die Verhandlungen in der Zentrale in New York waren offenbar weit gediehen, PwC-Chef Dennis Nally soll Schwenker grosse Zugeständnisse gemacht haben. Demnach wäre PwC bereit, das gesamte Top-Management-Beratungsgeschäft – also auch das eigene – künftig weltweit unter Roland Berger zu firmieren. Noch offen ist, wie die Eigenständigkeit der Berger-Partner auch rechtlich abgesichert werden könnte. Eine denkbare Lösung: PwC könnte das Prüf- vom Beratungsgeschäft trennen. So würde sich das Problem mit der sogenannten «Channel One»-Regel lösen, die es verbietet, grossen Kunden Prüf- und Beratungsleistungen aus einer Hand anzubieten. Doch die scheinbare Wohlfühllösung ist inzwischen höchst gefährdet. Das PwC-Angebot soll zwar formal noch auf dem Tisch liegen. Intern, so mehrere Insider, habe sich aber eine Mehrheit der Berger-Partner dagegen ausgesprochen. Die Beratung dementiert, dass es eine Vorentscheidung gibt.
In München ist die Meinung über den künftigen Kurs ohnehin gespalten. So gibt es Zweifel über die kulturelle Kompatibilität von Beratern und Prüfern. Aktuell sollen die älteren Partner eher bereit sein, zu verkaufen und damit Kasse zu machen, während die jüngeren lieber allein weitermachen wollen, weil sie sich davon bessere Karrierechancen versprechen. Als Alternative zur Fusion spukt in München die Idee einer strategischen Allianz herum. Die Beratung könne weitgehend eigenständig bleiben und sich mit einem künftigen Partner aus der Prüferbranche Mandate zuschanzen. Was eine solche Konstruktion tatsächlich bringt und wie sie im Einzelnen laufen könnte, ist unklar.
Hüst und hott im Ausland
Die Lücke zu den Top-Wettbewerbern Boston Consulting Group (BCG) und McKinsey liesse sich so kaum schliessen: Auch Roland Berger will strategische Top-Management-Beratung auf höchstem Niveau servieren. Trotz allen Bemühungen ist das Versprechen kaum eingelöst. Roland Berger war traditionell als Haus für Restrukturierungen bekannt. Doch um den Kunden Mehrwert zu bieten, fehlt der Beratung die internationale Präsenz.
Gründer Berger hatte nach seiner Blockade des Deloitte-Deals 50 Millionen Euro für den Ausbau zur Verfügung gestellt, die gleiche Summe machten die Partner locker. Die Investitionen sind hoch verzinst, die Zahlungen belasten das Ergebnis. Mit dem Geld eröffnete Schwenker-Vorgänger Wittig weltweit Büros, aktuell gibt es welche in 36 Ländern, darunter abgelegenere Standorte wie Marokko, Libanon und die Ukraine. Doch die Offensive hat sich bisher kaum ausgezahlt, in den meisten Ländern soll das Geschäft nicht profitabel laufen, was Berger auf Anfrage verneint.
Das Thema mangelnder weltweiter Präsenz treibt die Beratung seit Jahrzehnten um. Einen «regelrechten Minderwertigkeitskomplex» attestiert ihr ein langjähriger Top-Manager. Deshalb hatte die Berger-Führung vor Jahren mal über ein Zusammengehen mit dem Wettbewerber Bain & Company debattiert, die Pläne aber nie ernsthaft verfolgt. Stattdessen gab es viele Anläufe, denen viele Abbrüche folgten.
Beispielhaft hierfür steht der grösste Markt, Amerika. Die ersten Schritte dort waren vielversprechend. Das Platzen der Internetblase im Jahr 2000 läutete den Rückzug ein. Zusätzlich geriet die Beratung in juristische Bedrängnis. Das New Yorker Büro in der Park Avenue war teilweise unbesetzt und wurde nur bei Klientenbesuchen wieder reaktiviert. 2003 startete Berger den nächsten Versuch, den das Unternehmen 2008 weitgehend beendete. Aktuell gibt es wieder einen Anlauf. So hat Berger mehrere Teams von Konkurrenten wie Charles River Associates abgeworben, doch wirkliche Schlagkraft hat die Beratung noch nicht erzielt.
Zweiter Vorzeigemarkt ist China, wo Roland Berger ordentlich zugelegt hat und fünf Büros unterhält. Kunden sind vor allem chinesische Unternehmen, die weniger zahlen als internationale Konzerne und oft Nachforderungen stellen. Sie sollen für zwei Drittel der China-Umsätze sorgen. Profitabel war das Geschäft dort nach Angaben mehrerer Insider bisher noch nie, was die Firma bestreitet. Nun droht Ungemach im Reich der Mitte. So soll sich gerade ein Team zu Bain verabschiedet haben. Das könnte der Vorbote eines grösseren Exodus sein. Gerüchteweise haben die Partner intern bereits eine Abspaltung ihres Geschäfts von der Muttergesellschaft debattiert. Roland Berger verneint, dass es solche Diskussionen gebe.
Die internationale Expansion, so beklagen mehrere ehemalige Chefs von Aussenbüros, habe über Jahre unter der kurzfristigen Gewinnorientierung der Zentrale gelitten. Märkte wie Indien, Brasilien und Russland wurden aufwendig erschlossen, später wurde das Engagement wieder reduziert. «Berger hatte nie die Kraft und den Willen, eine längere Schwächephase durchzustehen», klagt ein Ex-Top-Manager. Hinzu kamen Belastungen aus dem Rückkauf des Unternehmens von der Deutschen Bank ab 1998. Den finanzierten die Berater über Kredite, die sie dann abstottern mussten. Für Anlaufverluste im Ausland blieb wenig Budget. So standen für einen der US-Eroberungsversuche gerade mal vier Millionen Euro zur Verfügung.
Zudem fehlte den Top-Managern das tiefe Verständnis für das internationale Geschäft, monieren Insider. «Die Verantwortlichen waren ziemlich provinziell im Geiste und glaubten, dass das Geschäft gefälligst überall so geführt werden solle wie in München», sagt ein Berger-Mann. Ein anderer Berger-Spitzenberater spottete regelmässig über den «bayrischen Beamtenverein».
In den vergangenen Jahren hat sich die Führung in München bemüht aufzuholen. Doch mit dem rasanten Wachstum hat die Organisation nicht Schritt gehalten. «Sie ist weniger stabil als früher, es fehlt die gemeinsame Identität», sagt ein kürzlich ausgeschiedener Partner. In vielen Ländern seien zusammengekaufte Teams am Start, die erst zusammenwachsen müssten. Um Marktanteile im Ausland zu erobern, hat Berger mit hohen Rabatten operiert. Das ist eine übliche Strategie und bringt eine höhere Auslastung, hatte allerdings auch unerwünschte Nebeneffekte: «Wenn wichtige Projekte hereinkamen, waren unsere besten Leute blockiert», sagt ein Ex-Top-Mann. Aktuell fahre die Beratung wieder diesen Kurs. Dass ein Kurswechsel hin zu höheren Preisen schwierig ist, gehört aber eigentlich zu den Binsenweisheiten aller Strategieberater.
Vergrätzte Führungskräfte
Zudem fehle teilweise die Expertise, ob sich das Engagement in einem Auslandsmarkt überhaupt lohne. In Kuala Lumpur etwa legt die Beratung gerade los, die ohnehin nicht üppigen Pfründen sind in Malaysia aber eigentlich bereits verteilt. «Solcher strategischer Schwachsinn ist für die aktuell desolate Ertragsschwäche verantwortlich», schimpft ein langjähriger Partner. Um die gleichen Fehler nicht erneut zu machen und länger durchzuhalten, wäre mehr finanzielle Durchschlagskraft gefragt. Doch woher soll die kommen, wenn nicht von einem externen Partner? Dass Gründer Berger selbst noch einmal in die Tasche greift, ist unwahrscheinlich.
Schon jetzt liegen der Beratung zudem etliche Ehemalige auf der Tasche – eine Roland-Berger-Spezialität. Bei anderen Beratungen zählt das Alumni-Netzwerk zu den wertvollsten Gütern, von den Kontakten profitiert das Unternehmen. Berger dagegen hat es geschafft, einen Grossteil der ehemaligen Führungskräfte zu vergrätzen.
Die hatten beim Rückkauf der Anteile von der Deutschen Bank Bürgschaften übernommen und dafür stimmrechtslose Anteile an der Beratung erhalten, deren Auszahlung diese dann Jahr um Jahr verzögerte. Mehr als 50 frühere Partner schlossen sich 2010 zusammen, um juristisch gegen ihr Ex-Unternehmen vorzugehen. Mit Erfolg: Im Frühjahr gab es einen Vergleich über 40 Millionen Euro, Ende August hat Berger die erste Rate überwiesen. «Was ist das für ein Unternehmen, das sich so einen Konflikt leistet?», wundert sich ein Beteiligter.
Die mangelnde Geschlossenheit ehemaliger und aktiver Partner ist auch eine Folge von Person und Führungsstil des Gründers. Obgleich die Aussagen der Ehemaligen mitunter von individuellen Frustrationen geprägt sind, stimmen ihre Einschätzungen im Grunde überein. Sie beschreiben Berger als eitlen Gutsherrn, der mögliche Widersacher aus dem Unternehmen drängte und dafür überehrgeizige Gefolgsleute förderte und mit zusätzlichen Geldspritzen belohnte. Das Entlohnungssystem war nie auch nur ansatzweise transparent. «Eine Kultur der Zusammenarbeit ist nur mühsam gewachsen und immer wieder zerstört worden», klagt ein Insider.
Ohne Berger wäre die Beratung allerdings auch nichts. Der gesellige Gründer pendelte nicht nur zwischen seinen Herzensstädten München und Berlin hin und her, sondern reiste im Dienst des Unternehmens um die ganze Welt, wo er es auf einzigartige Weise verstand, Kontakte zu knüpfen und Mächtige für sich einzunehmen. Doch die eigene Unentbehrlichkeit ist ihm offenkundig allzu sehr bewusst geworden. So sicherte er sich bei seinem Ausscheiden vom operativen Chefposten ein Vetorecht gegen alle wichtigen Entscheidungen und funkte zumindest in den ersten Jahren eifrig im Tagesgeschäft dazwischen.
Nun steht das Unternehmen am Scheideweg. Falls sich die Fusionsbemühungen endgültig zerschlagen, muss ein Plan B her. Einen kompletten Zerfall wird es aller Widrigkeiten zum Trotz auf absehbare Zeit nicht geben, aber ewig weiterwursteln geht auch nicht. Eine Option wäre die Rückkehr zu den Kernkompetenzen, was jedoch grössere Einschnitte und eine dauerhafte Existenz als Nischenanbieter zur Folge hätte.
Wie geht es weiter? Roland Berger könnte im Moment einen guten Berater brauchen.