Der Rasiererhersteller Gillette kündigte den Vertrag genauso wie die Uhrenherstellerin TAG Heuer oder der Telekommunikationsriese AT&T. Tiger Woods’ unzählige Affären liessen die Konzerne die Zusammenarbeit mit dem gefallenen Golfidol als zu riskant und wenig imagefördernd erscheinen. Ein Entscheid, der sich auch aus sportlicher Hinsicht als richtig erweisen sollte. Auf dem Green versucht der 35-Jährige bisher vergeblich, an seine alte Form anzuknüpfen.
In Genf sieht man das freilich ganz anders. Rolex unterzeichnete eben einen mehrjährigen Vertrag mit dem gestrauchelten Superstar. Man sei «überzeugt, dass Tiger Woods noch eine lange Karriere vor sich hat und alle Qualitäten besitzt, Golf-Geschichte zu schreiben», begründet die Luxusuhrenmarke die Wahl ihres neuen Sponsoringpartners.
Eine magere Zunahme
Die Partnerschaft ist schon fast sinnbildlich für den Zustand des Uhrenkonzerns. Wie Woods kämpft auch Rolex mit der eigenen Form. Letztes Jahr stagnierte der verschwiegene Gigant der helvetischen Uhrenindustrie, während die Konkurrenz florierte. 611424 Uhrwerke liess er durch die offizielle Schweizer Chronometer-Prüfstelle COSC zertifizieren, magere 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Omega dagegen legte 82 Prozent zu. Für 342798 ihrer mechanischen Uhrwerke erhielt die Swatch-Tochter das begehrte Zertifikat für hohe Ganggenauigkeit. Auch Breitling, traditionell hinter Rolex und Omega platziert, profitierte von der weltweit anziehenden Nachfrage nach Luxusuhren: 108220 Zertifikate erhielt die Marke oder 13 Prozent mehr als im Krisenjahr 2009. Vielleicht gerade auch deshalb trennte sich Rolex im Mai Knall auf Fall vom erst 2008 eingesetzten Konzernchef Bruno Meier.
Von Rolex selbst gibt es keinerlei Geschäftszahlen. Weil die Genfer aber alle Uhren als Chronometer mit Zertifikat ausliefern, sind die jährlichen Statistiken der Prüfstelle COSC ein wichtiger Indikator für den Geschäftsgang. Branchenanalysten leiten daraus einen Umsatz von rund 4 bis 4,4 Milliarden Franken ab.
Ein Grund für die Stagnation, so meint ein langjähriger Rolex-Beobachter, sei die Distributionspolitik der Genfer: «Rolex schafft auch deshalb nicht das Wachstum von Marken der Swatch Group oder von Richemont, weil der Konzern keine eigenen Läden hat.» Eine einzige Ausnahme ist Chrono-Time Rolex in Genf, wie Sprecherin Virginie Chevailler-de Meuron bestätigt: «Rolex betreibt seine Flagship-Stores nicht selbst oder durch hundertprozentige Tochtergesellschaften, sondern durch unabhängige Einzelhändler, welche langfristige Partner der Marke sind». In Mailand etwa ist es Pisa Orlogeria oder in New York und Chicago Tourneau, der grösste Uhrenhändler der USA.
Rolex stemmt sich damit gegen den Trend in der Luxusgüterbranche. Was Bulgari, Cartier oder Hermès schon seit Jahren praktizieren, übernahm in grossem Stil seit Anfang dieses Jahrhunderts auch die Uhrenindustrie. Ihre Produkte setzt sie nicht nur traditionell über den Detailhandel ab, sondern mehr und mehr in eigenen Läden. Meist sind dies sogenannte Monomarken-Läden oder Flagship-Stores, die dem Konsumenten die Welt einer einzelnen Marke präsentieren. Einfach Uhren auszustellen genügt nicht mehr. Gefragt ist ein der Marke entsprechendes Ambiente der Läden. Dort lassen sich dann auch jene Geschichten erzählen, die dem teuren Produkt erst richtig Glanz verleihen – handle es sich nun um die «Moon Watch»-Chronographen von Omega oder die Fliegeruhren von IWC.
Eigene Boutiquen bieten den Uhrenmarken aber auch eine Reihe von direkten kommerziellen Vorteilen: Sie haben eine direkte Kontrolle über den Vertrieb und sind nahe am Puls des Marktes. In Monomarken-Läden kommt dazu, dass für den Käufer kein unmittelbarer Vergleich mit einem Konkurrenzprodukt möglich ist. Fürs Geschäft entscheidend ist aber vor allem: Die Margen von Gross- und Detailhandel – rund 35 bis 50 Prozent des Endverkaufspreises einer Uhr – verbleiben bei eigenen Läden in den Kassen der Hersteller. Kein Wunder, setzen immer mehr Hersteller auf den Selbstvertrieb (siehe Kasten).
Swatch setzt auf eigene Läden
Nicolas G. Hayek eröffnete im Dezember 2000 an der Zürcher Bahnhofstrasse den ersten Flaggschiff-Laden von Omega und schockte den traditionellen Detailhandel mit der Ankündigung, künftig bis zu 30 Prozent aller Omega-Uhren in eigenen Läden oder in Joint Ventures mit Partnern verkaufen zu wollen. Ob dieses Ziel erreicht wurde und wie gross die Erträge aus dem Detailhandel sind, dazu schweigt die Swatch Group. Doch falsch kann der Entscheid nicht gewesen sein. Der Uhrenkonzern baute in den letzten zehn Jahren sein Netz an Flagship-Stores und Marken-Boutiquen massiv aus.
Omega betreibt gemäss Vontobel-Analyst René Weber weltweit rund 80 Vorzeigeläden und weitere 25 sind im Bau oder geplant, Breguet verfügt über 26 Boutiquen und Blancpain über 15. Auch die im mittleren Preissegment zwischen 500 und 2000 Franken angesiedelte Volumenmarke Tissot ist mit über 100 Monomarken-Läden weltweit präsent, darunter mit neu eröffneten Shops in Paris, Mumbai und Kairo. «Den Weg, mit eigenen Marken- und Multibrand-Boutiquen unsere florierende Entwicklung voranzutreiben, werden wir in den kommenden Jahren weiterverfolgen», erklärt Swatch-Group-Präsidentin Nayla Hayek.
Richemont geht voran
Welche Dimension der Detailhandel über konzerneigene Verkaufspunkte erreicht hat, zeigt sich beim Swatch-Konkurrenten Richemont. Der Luxusgüterkonzern mit Uhrenmarken wie Vacheron Constantin, Jaeger-LeCoultre, Panarai, Baume & Mercier, Piaget, Lange & Söhne oder IWC verdiente laut Geschäftsbericht 2010/2011 mit Verkäufen von 3469 Milliarden Euro in den eigenen 876 Boutiquen erstmals in seiner Geschichte mehr als über die traditionellen Verkaufskanäle. Die Richemont-Marke Cartier hat eine lange Tradition von eigenen Verkaufspunkten und betreibt gegen 300 Läden.
Die Expansion der Detailhandelsaktivitäten der Uhrenmarken lässt sich an der Zürcher Bahnhofstrasse ablesen. In den letzten Jahren eröffneten neben Omega auch Breguet, Blancpain, Cartier, Chopard und IWC eigene Läden. Piaget folgt im Dezember. Unterdessen drängen sich an die 20 Uhrengeschäfte entlang der noblen Zürcher Einkaufsmeile.
Darunter ist auch Chronometrie Beyer, das älteste Uhrengeschäft der Schweiz. Inhaber René Beyer hat beobachtet, dass die Uhrenindustrie erst spät zur Jagd nach guten Standorten für ihre Boutiquen ansetzte, aber unterdessen gegenüber andern Branchen aufgeholt hat. «Heute bemisst sich der Wert einer Uhrenmarke nicht nur nach ihren Produkten, sondern auch danach, an welchen Standorten sie weltweit präsent ist», sagt Beyer.
Rolex ist an der Bahnhofstrasse nicht direkt vertreten. Präsent ist die Marke aber bei Beyer und vor allem bei Buche-rer, dem grössten Rolex-Detaillisten der Schweiz. Warum man mit dem Festhalten am alten Vertreibskonzept auf Millionenerträge verzichtet, kommentiert Rolex nicht. Auch zur Information, wonach bereits in der Stiftungsurkunde der Hans-Wilsdorf-Stiftung, der Eigentümerin von Rolex, eine Beschränkung auf Herstellung und Grosshandel festgeschrieben sein soll, will man sich am Genfer Haupsitz nicht äussern.
Der Verzicht auf eigene Läden lasse Rolex vielleicht weniger stark wachsen als die Konkurrenz, räumt ein Rolex-Insider ein. Der Marke gehe es aber um eine Grundsatzfrage: «Wollen wir Partnerschaft oder Konkurrenz mit unseren Detaillisten, mit denen wir zum Teil seit Jahrzehnten zusammenarbeiten? Wenn wir beides machen, gibt es irgendwann einmal Interessenkonflikte.»
Ins gleiche Horn stösst Thierry Stern, Präsident der Genfer Luxusuhrenmarke Patek Philippe, die nur drei eigene Läden führt: «Wir sind Uhrmacher. Dieses Geschäft beherrschen wir. Aber es sind unsere Konzessionäre, welche die Kunden und ihre Bedürfnisse kennen. Ich kenne sie nicht – und das ist entscheidend.»
Uhrenhersteller: Massiver Abbauim Vertrieb
Weniger Konzessionen
Parallel zum Aufbau von eigenen Läden strafften zahlreiche Luxusuhrenmarken ihren Vertrieb. So strich etwa Omega die Zahl der weltweiten Verkaufspunkte von 4800 auf 3000 zusammen. In Deutschland, Grossbritannien und Japan wurden die Verträge von 20 bis 30 Prozent der Konzessionäre nicht mehr erneuert. Wer noch an Bord ist, muss Vorgaben bezüglich Umsatz, Auftritt der Marke im Laden und im Schaufenster erfüllen.
Harte Bedingungen
Es sind knallharte Bedingungen, die auch andere Uhrenhersteller stellen. Einst waren Partnerschaften zwischen Marke und Detailhändler über Jahrzehnte üblich. Heute ist selbst für René Beyer, der im ältesten Uhrengeschäft der Schweiz 14 Luxusuhrenmarken führt, nichts mehr wie früher: «Wir haben keine Uhrenmarke mehr länger als fünf Jahre auf sicher.»