Sprache und Kultur zu verstehen ist für die Führung eines regional stark verankerten Instituts wie der Banca del Gottardo wichtig: Wie wurden Sie als neuer Chef aus der Deutschschweiz im Tessin aufgenommen?
Rolf W. Aeberli: Offen, herzlich, sicher auch mit einer gewissen Skepsis gegenüber dem Zürcher in Lugano. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, möglichst viele Mitarbeiter kennen zu lernen, und ich bemühe mich intensiv, Italienisch zu lernen. Frühere Ängste im Zusammenhang mit den Verkaufsplänen sind ausgeräumt. Heute sind wir ein integraler Bestandteil der Swiss Life.
Wie reagieren die Kunden auf Sie und die neue Strategie?
Aeberli: Ich spüre, dass wir eine loyale Kundschaft haben. Die Banca del Gottardo verfügt über ein robustes Geschäftsmodell und ein leistungsstarkes Team. Die Bank ist bereit für Veränderungen.
Ihre Aufgabe ist es, die strategische Neuausrichtung bei der Banca del Gottardo umzusetzen: Welche Schritte haben Sie eingeleitet?
Aeberli: Einerseits haben wir die Organisationsstruktur angepasst, indem wir den neuen Bereich Product & Services geschaffen haben. Damit sollen sich unsere Frontbereiche Private Banking Süd und Private Banking Nord auf die Kundenarbeit fokussieren können. Ausserdem haben wir das Managementteam verstärkt. Per Mitte Jahr wird Roberto Botta, der von der BNP Paribas zu uns stösst, die Leitung von Private Banking Süd übernehmen. Weiter wird Franco Polloni den Bereich Product & Services führen.
Planen Sie nach dem Verkauf der Dreieck Industrie Leasing und der Tochterbank in Monaco weitere Devestitionen?
Aeberli: Nein, es sind derzeit keine weiteren Devestitionen geplant.
Aber Sie werden sich doch vom Kleinkundengeschäft trennen?
Aeberli: Künftig konzentrieren wir uns auf das Private Banking. Das Retailgeschäft und das Kreditgeschäft gehören nicht mehr zu unseren Kernaufgaben. Das waren in der Vergangenheit zwei wichtige Pfeiler der Bank. Ich bin überzeugt, dass andere Banken diese Aufgaben besser wahrnehmen können. Dennoch steigen wir nicht ganz aus dem Kreditgeschäft aus. Wir betreiben es aber nur noch als Ergänzung zum Private Banking, zum Beispiel um Neukunden zu gewinnen oder um unseren Service abzurunden.
Werden Sie Filialen schliessen?
Aeberli: Wir sind mitten im Transformationsprozess. Filialen werden jedoch keine geschlossen.
Müssen Sie Mitarbeiter entlassen?
Aeberli: Der Umbau wird in gewissen Bereichen personelle Konsequenzen haben. Deshalb unternehmen wir grosse Anstrengungen, um unsere Mitarbeiter in Gebieten, auf die wir uns künftig fokussieren, auszubilden. Basierend auf dieser Ausbildung müssen wir dann ehrlich zueinander sein und prüfen, ob ein Mitarbeiter die für die Zukunft der Bank wichtigen Kriterien erfüllt. Dieser Prozess läuft.
Werden Sie versuchen, Ihre Kundschaft aus dem reinen Retailgeschäft an andere Banken zu verkaufen?
Aeberli: Wir planen, keine Filialen abzugeben. Aber wir sind daran, unsere Kundenbasis zu überprüfen. Wir möchten, dass sich unsere Anlageberater primär um unsere Zielkunden im Private Banking kümmern. Für die Retailkunden, die künftig nicht mehr zu unserer Zielgruppe gehören, suchen wir die bestmöglichen Lösungen.
Die Banca del Gottardo fokus-siert sich auf das Private Banking: Wo genau wollen Sie wachsen?
Aeberli: Im Tessin und in Norditalien haben wir bei vermögenden Kunden eine gute Positionierung. In der Deutsch- und der Westschweiz müssen wir unseren Bekanntheitsgrad deutlich verbessern. Hier sehe ich gute Wachstumsmöglichkeiten.
Der Private-Banking-Markt befindet sich bereits im Konsolidierungsprozess: Der Kampf um die reichen Kunden wird immer härter: Wie wollen Sie der Konkurrenz Marktanteile abjagen?
Aeberli: Wir können in der Schweiz, in Italien und in Deutschland Kunden gewinnen, wenn wir einen Topservice bieten und eine hervorragende Performance erwirtschaften. Produkte sind je länger, je mehr Commodities, die man auch extern einkaufen kann. Wir können uns von anderen Banken unterscheiden, indem wir einen ausgezeichneten Service erbringen.
Aber das wollen Ihre Konkurrenten ja auch?
Aeberli: Wir müssen besser sein. Wie wohl fühlt sich der Kunde bei uns? Wie wird er betreut? Solche Softkomponenten sind wichtig. Da werden wir die Ausbildung unserer Mitarbeiter verstärken. Im Service erfolgt die Differenzierung.
Sie wollen Kunden aus Deutschland gewinnen: Planen Sie eine Präsenz in Deutschland?
Aeberli: Nein. Viele Kunden aus Deutschland kommen in die Schweiz. Die politische Entwicklung in Europa hilft uns. Das Off-shore-Banking hat noch viel Potenzial. Dennoch ist klar: Das Private Banking in der Schweiz steht an einem Wendepunkt. Nur haben das noch nicht alle gemerkt.
Sie sprechen von einem Wendepunkt: Warum?
Aeberli: Wie im Retail Banking in den 90er Jahren werden wir künftig auch im Private Banking grundlegende Veränderungen sehen. Heute sind wir mit völlig neuen Kundenbedürfnissen konfrontiert. Der Kunde ist besser informiert, er stellt höhere Ansprüche. Doch viele Banken sind darauf nicht vorbereitet. Der Private-Banking-Sektor wird noch viel stärker in Bewegung kommen.
Erwarten Sie, dass der Konsolidierungsprozess im Schweizer Private-Banking-Sektor an Tempo gewinnt?
Aeberli: Etliche Schweizer Vermögensverwaltungsbanken haben ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht, weil der Leidensdruck in der Vergangenheit zu gering war. Das wird sich aber rasch ändern. Die Banken werden ihr Geschäftsmodell im Private Banking neu ausrichten müssen.
Wer wird bei den Gewinnern sein, wer bei den Verlierern?
Aeberli: Es werden diejenigen Banken zu den Gewinnern zählen, die diesen Wandel erkannt haben und auf die veränderten Kundenbedürfnisse eingehen. Überleben werden nur jene Banken, die einen Topservice und eine gute Performance liefern. Bei der Banca del Gottardo wollen wir ausserdem Nischen definieren, wo wir uns zusätzlich zum herkömmlichen Private Banking differenzieren können.
Sie rechnen mit weiteren Übernahmen und Fusionen?
Aeberli: Was wir bislang gesehen haben, war nur der Anfang. Der Wandel im Private Banking verschärft den Konsolidierungsprozess in der Schweiz. Wir werden weitere Übernahmen und Fusionen von Privat- und Vermögensverwaltungsbanken in unserem Land sehen. Vor allem für kleinere und mittlere Banken wird es auch wegen der hohen IT-Investitionen und Regulierungsdichte schwieriger, unabhängig zu überleben.
Welche Rolle wird im Konsolidierungsprozess die Banca del Gottardo spielen?
Aeberli: Wir haben den Willen und auch das Potenzial, im laufenden Konsolidierungsprozess eine aktive Rolle zu spielen.
Planen Sie Akquisitionen?
Aeberli: Die Mittel dafür haben wir. Wir haben einen sehr starken Shareholder mit der Swiss Life. Wenn sich Gelegenheiten bieten, die langfristig eine hohe Rendite versprechen, werden wir diese sehr genau prüfen. Wir wollen wachsen. Primär organisch, aber auch über Akquisitionen.
Die verwalteten Vermögen stiegen 2005 um 12,5% auf 38,7 Mrd Fr. Welche Ziele haben Sie sich für 2006 gesetzt?
Aeberli: 2006 ist für uns ein wichtiges Jahr. Wir wollen ab 2008 jährlich 1 Mrd Fr. Nettoneugelder akquirieren. In diesem Jahr wollen wir erste Erfolge in Hinblick auf dieses Ziel zeigen können. Nach knapp drei Monaten kann ich sagen: Wir sind punkto Neugeldzufluss auf einem guten Weg.
2005 hat die Banca del Gottardo einen um 17,3% höheren Gewinn von 82,8 Mio Fr. erwirtschaftet: Sind 2006 rund 100 Mio Fr. Gewinn machbar?
Aeberli: Wir werden uns in diese Richtung bewegen. 2006 ist gut angelaufen. Da bin ich optimistisch. Wir gewinnen neue Kunden. Und wir wollen unsere Kosten überall dort senken, wo dies den Kunden keine Nachteile bringt.
Wie gehen Sie mit dem Margendruck um?
Aeberli: Der Margendruck ist nicht das grösste Problem im Private Banking. Selbstverständlich fordern grosse Kunden zu Recht einen vernünftigen Preis. Aber wenn der Service und die Performance stimmen, sind die Kunden durchaus bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen.
Der CEO der Swiss Life, Rolf Dörig, soll in den Verwaltungsrat der Banca del Gottardo gewählt werden: Bedeutet dies, dass das Mutterhaus einen stärkeren Einfluss auf Ihre Bank nehmen wird?
Aeberli: Ich freue mich, dass Rolf Dörig in den Verwaltungsrat der Banca del Gottardo kommt. Das ist ein klares Zeichen, dass die Swiss Life voll hinter unserer Bank steht und ein grosses Interesse daran hat, dass sie wächst.
Was sagen Sie den Leuten, die hartnäckig behaupten, Ihre Aufgabe sei es nur, die Banca del Gottardo ertragsstark zu machen, damit sie später doch noch verkauft werden kann?
Aeberli: Diese Absicht besteht nicht. Wir können dank unserer Gewinnbeiträge nachhaltig zum Erfolg der Swiss-Life-Gruppe beitragen.
Erachten Sie einen späteren Börsengang der Banca del Gottardo als wahrscheinlich?
Aeberli: Das will ich nicht ausschliessen. Konkrete Pläne gibt es aber nicht.
Inwieweit werden Synergien durch die Verbindung der Bank mit der Swiss Life ausgeschöpft?
Aeberli: Unsere Bankmitarbeiter werden nie Versicherungsprodukte verkaufen, und die Swiss-Life-Berater machen keine Bankgeschäfte. Wir hegen keine Allfinanzabsichten. Aber wir vermitteln gegenseitig Kunden und wollen noch verstärkt in den jeweiligen Kernkompetenzbereichen wie zum Beispiel Custody oder Asset Management zusammenarbeiten.
Inwiefern wird der gute Brand der Swiss Life von der Banca del Gottardo genutzt?
Aeberli: Wir werden die Stärke der Swiss Life in der Kundenarbeit hervorheben. Das hilft uns insbesondere in der Deutschschweiz und in Deutschland.
Wieweit ist das entsprechende Branding-Projekt gediehen?
Aeberli: Branding ist für mich ein wichtiges Thema, aber derzeit ist noch nichts spruchreif.
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Steckbrief: Vom Finanzchef zum CEO
Name: Rolf W. Aeberli
Funktion: CEO Banca del Gottardo
Geboren: 11. März 1959
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Zürich;
1989 Promotion zum Dr. oec. publ.
Karriere
- 1990-2002 Bei der CS in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. im Rechnungswesen und Controlling, als Leiter grosser Reorganisationsprojekte und als CFO im Retail Banking
- März 2002 bis Januar 2006 CFO der Julius Bär Gruppe
- Seit 1. Februar 2006 CEO der Banca del Gottardo, Lugano
Firma
Die Banca del Gottardo, mit Hauptsitz in Lugano, verfügt über Tochtergesellschaften, Niederlassungen und Repräsentanzen in Zürich, Genf, Lausanne, Bellinzona, Chiasso, Locarno, Bergamo, Mailand, Rom, Treviso, Turin, Athen, Luxemburg, Madrid, Paris, Hongkong und Nassau. Die Bank beschäftigt 960 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verwaltet Vermögen im Umfang von 38,7 Mrd Fr. Die konsolidierte Bilanzsumme verzeichnete 2005 gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um 43,4% auf 15,2 Mrd Fr. Nachdem 2002/2003 versucht wurde, die Bank zu verkaufen, ist sie heute ein integraler Bestandteil der an der Schweizer Börse SWX kotierten Swiss-Life-Gruppe.