Mit der Maori-Königin schritt Rosmarie Michel in Neuseeland über den roten Teppich. In Washington gelang es ihr, Präsident Reagans Be-grüssungsrede am Weltkongress der Business and Professional Women (BPW), die eigentlich für einen anderen Tag gedacht war, umzudisponieren – ein präsidiales Zugeständnis, das sogar in den USA Schlagzeilen machte. Sie arbeitete mit Unternehmerinnen in Ghana, Buenos Aires oder Peking zusammen und frühstückte in Delhi mit Hillary Clinton.
Und dieselbe Frau erweist sich als perfekte Krisenmanagerin, wenn die Situation es erfordert. So sollte sie einst in ihrer Funktion als First Vice President des weltweiten Verbandes der BPW Women in einem Tagungshotel in Athen an einem offiziellen Empfang Vertreter des Corps Diplomatique und Kadermitglieder von Schweizer Firmen empfangen: «Die glücklicherweise rechtzeitig inspizierte Suite sah aus, als wäre sie von einem Hunnenheer verlassen worden.» Rosmarie Michel trommelte umgehend alle Boardmembers zusammen, verteil-te saubere Badetücher und instruierte die Damen, was und wo sie putzen müssten.
Aber alles kein Problem für die 1931 geborene und in gutbürgerlichen Verhältnissen mit Zürcher Understatement aufgewachsene Rosmarie Michel. In dem 500 Jahre alten Haus «Zur Sempacher Hellbard», das mit Sicherheit nie Kulisse für eine Homestory in einer Illustrierten wird, hat sie das Wichtigste gesehen und gelernt: Das elterliche Vorbild mit einer berufstätigen Mutter, die ihr Bild von der Rolle der Frau stark beeinflusste, und einem partnerschaftlichen Vater. Der Confiseriebetrieb der Familie hat Rosmarie Michel sehr früh mit den verschiedensten sozialen Schichten in Kontakt gebracht und sie hat deren Probleme hautnah erlebt.
«Ich habe mich nie um etwas bewerben müssen», lautet ihr Schlüsselsatz. Vielmehr ging es ihr um die Antwort auf die Frage: «Was kann ich selbst einbringen?» Anstatt die Gegenfrage zu stellen: «Was bringt mir dieser Job?» Besonders beeindruckend war ihr Instinkt für die richtige Entscheidung, der sie fast nie verliess. Als die damalige Volksbank ihr mitteilte, man habe beschlossen, sie in den Verwaltungsrat zu wählen, ist sie nicht ehrfürchtig zusammengeknickt, sondern hat den Verwaltungsratspräsidenten gebeten, zu ihr an den Firmensitz der Confiserie Schurter zu kommen und alle Informationen mitzubringen, die für ihren Entscheid wichtig seien, damit sie sich alles reiflich überlegen könne.
Das Verwaltungsratsmandat dauerte sechs Jahre, und als die Volksbank von der Credit Suisse übernommen wurde, behielt sie ihren Sitz. Die langjährigen VR-Mandate bei Valora, Bon Appétit Group und das Präsidium der ZFV-Unternehmungen gaben ihr zudem die nötige fachliche Kompetenz. In ihrer Amtszeit wurden die Statuten der ZFV-Gastronomiegruppe revidiert: Seitdem sind Frauen und Männer wählbar, das Präsidium ist weiblich.
Als Rosmarie Michel ihr Elternhaus verliess, stellte sie fest, dass draussen die Welt gar nicht so partnerschaftlich funktionierte und das machte sie «sehr wütend». Ihr Leadership-Talent hat sie in ehrenamtlichen Tätigkeiten den Frauen auf der ganzen Welt zur Verfügung gestellt. Als Präsidentin des Vereins Management Symposium für Frauen gab sie Schützenhilfe.
Denn Macht bedeutet für Rosmarie Michel, Einfluss zu nehmen, Türen zu öffnen, Resultate zu erreichen. Das tat sie auch während vieler Jahre als Internationale Präsidentin der BPW und später als Vice-Chair bei Women’s World Banking (WWB), New York. WWB ist ein globales Netzwerk, das Armen den Zugang zu Krediten ermöglicht und Know-how für Kleinstunternehmen vermittelt. Die Frauen können mit dieser Unterstützung Kleinbetriebe aufbauen, die ihre Familie ernähren. «Eine Partnerschaft auf Augenhöhe – statt Almosen» fordert Rosmarie Michel.
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Nachgefragt
Rosmarie Michel: «Ich konnte immer unabhängig sein»
Sie betonen sehr stark die Tradition Ihres Hauses und Ihrer Familie. Ein Eingeständnis, das in unserer Zeit selten ist. Wie hat diese Verbundenheit Ihr Leben beeinflusst?
Was ist das Fazit Ihres bisherigen Lebens?
Michel: Im Gegensatz zu vielen berufstätigen Frauen von heute, die einen dauernden Druck von oben und unten aushalten müssen, konnte ich immer unabhängig sein und selbst entscheiden. Das ist die Quintessenz meines Lebens. Unabhängigkeit betrachte ich als wichtige Basis für die Entscheidungsfreudigkeit. Ich hatte immer Kontakt mit Menschen aller Schichten – von der Basis bis zu Verwaltungsratspräsidenten und Regierenden. Männer haben weitgehend den Kontakt zur Basis verloren, das macht für sie Entscheidungen viel schwerer.
Was fällt Ihnen heute an jungen Frauen auf, die Karriere machen wollen?
Michel: Für Frauen ist heute im Grunde der Einstieg ins Berufsleben gewährleistet. Sie sind bei der Besetzung von Kaderstellen eine echte Konkurrenz zu ihren männlichen Mitbewerbern. Damit ist der Kampf härter geworden. Entscheidungsverantwortliche auf allen Ebenen sollten sich deshalb vermehrt die Frage stellen: Was kann ich beitragen, was möchte ich verändern, bin ich die richtige Person am richtigen Ort?
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Monique R. Siegel: Leadership mit Bodenhaftung, Orell Füssli Verlag Zürich, 224 S., Fr. 39.80, Erscheinungsdatum: 16. März 2007.