Es sind nicht nur die Aktivitäten der ILS-Kapitalgeber, welche den etablierten Rückversicherungen das Leben schwer machen, indem sie viel renditesuchendes Geld in das System einspeisen. Auch staatliche oder grösstenteils vom Staat gehaltene Rückversicherungsprogramme spielen laut Analysten eine grosse Rolle: Sie sind in vielen aufstrebenden und teilweise auch in reifen Märkten eine Alternative zu den privat gehaltenen, oft börsengelisteten Rückversicherungen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass sie in Bereichen aktiv sind, die für gängige Rückversicherungen und selbst für das Rückversicherungssystem als solches zu gross sind wie grosse Erdbeben oder Nuklearkatastrophen. Sie sind teilweise auch Ausdruck der Wirtschaftsförderung lokaler Regierungen und ihren Regulierungsbehörden. Und wenn sie die restlichen Rückversicherer schon konkurrieren, dann bleibt diesen lediglich eine Strategie: Beteiligungen, möglichst exklusiver Natur, um für beide Seiten eine Win-win-Situation zu schaffen.
So ging Swiss Re vor: Anfang Januar 2018 gab die zweitgrösste gelistete Rückversicherung den Kauf einer 25-prozentigen Beteiligung an der Vietnam National Reinsurance Corporation (VinaRe) bekannt. Der Anteil kostete 79 Millionen Dollar und Swiss Re wurde mit einem Schlag der einzige ausländische Partner. «Das Investment liegt auf der strategischen Linie, welche das Rückversicherungsgeschäft Richtung Asien expandieren soll», hiess es in der Mitteilung. VinaRe verweist auf einen starken eigenen Markennamen, hat seinen Sitz in Hanoi und beschäftigt 60 Personen. Ein Teil der Aktien ist an der lokalen Börse handelbar. Die 1994 gegründete Rückversicherung ist sowohl im P&C- als auch im Leben-Rückversicherungsgeschäft aktiv. Gemeinsam will man das Geschäft im Land vorantreiben. Beraten wurde Swiss Re von Credit Suisse; die Vietnamesen liessen sich von Rothschild und Horizon Capital Advisors begleiten.
Schwieriges Pflaster Asien
Weitere Deals dürften laut Analysten folgen. Allerdings gelten die grossen asiatischen Rückversicherungen als schwierig zu knackende Gegenparteien. China Re beispielsweise, gemäss einer Übersicht der Ratingagentur A.M. Best die grösste Rückversicherung aus China mit einem Prämienumsatz von umgerechnet rund 8 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr, ist genauso wenig verkäuflich wie die General Insurance Corp. of India (GIC). Korean Re ist zwar an der Börse von Seoul kotiert, aber die Firma kassierte einige Rating-Abstufungen von den Bonitätswächtern und musste wiederholt frisches Kapital aufnehmen. Eine Wachstumsstory ist das nicht, genauso wenig wie die private japanische Toa Re. Bei der Taiping Re, die zu einem Versicherungskonglomerat aus Hong Kong gehört, sind keine weiteren Plazierungen von Kapital geplant, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Damit ist das Potenzial für weitere attraktive Abschlüsse in Asien begrenzt. Und in Afrika steigen die grossen Erstversicherungen wie Prudential oder Axa erst so richtig ein. Die Risiken, die sie dort auf ihre oft in Kooperationen mit lokalen Erstversicherungen eingegangenen Geschäfte übernehmen, sind überschaubar und bis heute weitgehend über die eigenen Captives abdeckbar.
Komplexer ist das Zusammenspiel von privaten und staatlichen Rückversicherungen in den USA. Etliche Bundesstaaten unterhalten eigene staatliche Programme, welche die privaten Erstversicherungsgesellschaften im Markt halten. Solche Programme arbeiten oft auf Non-Profit-Basis. In Florida wäre der Schutz vor Hurrikanen durch Erstversicherungen nahezu unbezahlbar, wenn nicht der Florida Hurricane Catastrophe Fund bereitstehen und einen Teil der grossen Risiken abdecken würde. In Kalifornien ist die California Earthquake Authority ein privat finanziertes, aber durch den Bundesstaat gemanagtes Versicherungsprogramm, das indes auch als Erstversicherung an Orten auftritt, wo Interessenten sonst keine private Deckung kaufen könnten. Und auf Hawaii gibt es den Hurricane Relief Fund, der die grössten Schäden decken soll und sich mit Prämien, Bond-Emissionen und Vermietungen eigener Liegenschaften finanziert.
Gründung nach Grossereignis
In Frankreich hatte man die Caisse Centrale de Réassurance (CCR) 1982 nach einer Reihe von verheerenden Überschwemmungen im Saône-Tal im Jahr zuvor geschaffen. Hier gilt das Solidaritätsprinzip: Käufer von P&C-Erstversicherungspolicen werden sozusagen Zwangsmitglieder für die Linien Haus und Motorfahrzeuge, Erstversicherungen kümmern sich vor allem um das Claims Management sowie die Risiko- und Verlustanpassungen. Neben den Schäden, welche die CCR den Erstversicherten direkt ausgleicht, fungiert die Zentralkasse auch als unlimitiert auftretender Rückversicherer für andere Erstversicherungen, wenn es zu Naturkatas- trophen kommt. Erstversicherungen zedieren für eine de facto vom Staat sichergestellte Überlebensgarantie zwischen 40 und 90 Prozent der Prämieneinnahmen an die CCR.
Und auch in Spanien übernimmt das Consorcio de Compensacion de Seguros, das jeweils fixe Prämienanteile von Erstversicherungen bekommt, die Funktion eines staatlichen Rückversicherers für die Erstversicherungen. Keine P&C-Erstversicherung, so die Überlegung, soll pleitegehen, wenn einmal eine richtig grosse und teure Naturkatastrophe eintritt. Das Programm wurde (nach einigen Vorgängern aus der 1920er-Zeit) in der heutigen Form 1954 gegründet. Es hatte, als positive Nebenwirkung, die Prämienhöhe auf dem spanischen Markt für die meisten Linien auf ein vernünftiges Niveau gedrückt und gleichzeitig auch den Gesamtmarkt insgesamt gefördert.
An solchen Nebenwirkungen, die auch eine verdeckte Wirtschaftsförderung umfassen können, entzündet sich auch die Kritik an einigen staatlich kontrollierten Rückversicherungsprogrammen. Deutlich vernehmbar ist in China der Ruf, neben einer Reform des staatlichen Gesundheitswesens und der ebenfalls staatlichen Altersvorsorge auch die entsprechenden Erst- und Rückversicherungsprogramme mit zu modernisieren.
Modelle für die Zukunft
Als Modell möglicher Kooperationen zwischen Privateinrichtungen und staatlichen Institutionen gilt das per Anfang 2018 zwischen der US-Katastrophenschutzbehörde Fema und 28 privaten Rückversicherungen neu verhandelte landesweite Flood Insurance Program (NFIP). In der Vergangenheit hatte sich das US-Schatzamt oft und gelegentlich direkt das US-Parlament um zu hohe Rechnungen infolge von Naturkatastrophen gekümmert.
Die Fema, die in den USA eine Zwitterrolle als Erst- und Rückversicherung einnimmt, zahlt in diesem Jahr 235 Millionen Dollar dafür, dass sie Verluste von über 4 Milliarden Dollar nach einem Einzelereignis zu 18 Prozent und bei Schäden zwischen 6 und 8 Milliarden Dollar zu 54 Prozent an ein Konsortium von privaten Rückversicherungen weitergeben kann. Im Vorjahr hatte es eine ähnliche Deckung noch für 150 Millionen Dollar gegeben, aber nach Hurrikan Harvey wurde Anfang November 2017 die 4-Milliarden-Deckungshöhe erreicht. Kurz vor Weihnachten schusterte der Kongress weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit ein kleines Hilfsprogramm für die Fema, um die Einrichtung bis zur neuen Basis durchzufinanzieren. Die Broker Guy Carpenter und Aon Benfield traten hier als Berater und Begleiter auf.
Parallel zu den Sanierungsarbeiten auf der Seite der staatlichen Rückversicherungsprogramme reagiert man weltweit auch auf der Seite der Risiken: Wo einmal der Berg wie 2017 in Bondo heruntergekommen ist, überlegt man sich, ob und welche gefährdeten Gebiete nicht mehr bebaut werden. Extreme Beispiele dazu gibt es aus den USA. So berichtet die Washington Post von einem Haus am Mississippi, nördlich von New Orleans, bei dem bei einem Wert von geschätzten 56 000 Dollar durch 40 Überflutungen Versicherungsschäden von mehr als 428 000 Dollar entstanden. Und ein Haus bei Houston im benachbarten Bundesstaat Texas wurde im Laufe der Zeit mit einer Million Dollar immer wieder aufgebaut bzw. hergestellt. Das entspricht mehr als 15 Mal dem versicherten Wert der Liegenschaft. Solche Liegenschaften repräsentieren zwar lediglich einen Bruchteil der versicherten Immobilienportfolios. Aber auf sie entfallen 30 bis 50 Prozent der Schäden bei Rückversicherungsprogrammen. Und sie schrecken auch die börsenkotierten Rückversicherungen von Übernahmen von staatlichen Einrichtungen ab.