Wenn der künftige Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse vom Bündner Tamins mit seiner Frau und drei Kindern in eine Gemeinde bei Zürich umzieht, bringt er nicht nur einen prall gefüllten Rucksack mit ökonomischem Know-how mit. Rudolf Minsch ist auch für die lockeren Seiten des Wirtschaftslebens bestens gewappnet. Über die schönen Künste weiss er genauso Bescheid wie über Geldpolitik. Bei ihm gehören Theaterbesuche allerdings nicht nur zum guten Ton, und seine Meinung über Aufführungen und Theaterstücke muss er sich nicht aus Rezensionen zusammenklauben. Der 40-Jährige führt am liebsten selber Regie und hat bereits Freilicht- und Volkstheater aufgeführt und Stücke geschrieben.

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Wenig verwunderlich, sind auf seinem Laptop nicht nur ökonomische Modelle zu finden, sondern auch zwei unfertige Theaterstücke. Doch seine Professur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur und die Lehraufträge an seiner Alma Mater, der Universität St. Gallen (HSG), lassen ihm wenig Zeit für seine Passion. Trotzdem feile er zwischendurch immer wieder ein paar Stunden an den zwei Stücken. «Ohne Druck ist es schwierig, die Texte zu Ende zu bringen», weiss er und fügt hinzu: «Zum bitteren Ende.» Ihn sprechen bitterböse Komödien im Dürrenmattschen Sinn an; Sprechtheater, in denen Inhalt und Dramaturgie im Zentrum stehen. Und die Wirtschaft könne auch aus Theaterperspektive gesehen werden, findet er. «Ein Theater mit wechselnden Hauptdarstellern.»

Obwohl ihm Regie führen näher liegt, als in verschiedene Rollen zu schlüpfen, weiss er über seine neue berufliche Rolle bei Economiesuisse genau Bescheid: «Meine Rolle ist es, gegen innen das ökonomische Gewissen zu spielen, wie man das gegen aussen kommuniziert, ist eine zweite Sache», sagt er. Dass er unweigerlich zwischen die Fronten verschiedener Interessengruppen geraten wird, beunruhigt ihn nicht. Auf die Frage, an was er sich dann orientieren werde, antwortet er ohne Zögern: «Ich orientiere mich an der Ökonomie.»



«Das Thema ist sehr sexy»

Einer bestimmten ökonomischen Schule würde er sich nicht zuordnen. «Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer irgendwo in der Mitte.» Heute setze Mainstream Economics liberales Gedankengut voraus – und den Glauben an freie Märkte. Minsch räumt aber ein, obwohl Keynesianismus tot sei, beinhalte er einige korrekte Ideen. Er relativiert: «Aber meistens kommt es nicht gut, wenn man den Politikern die Möglichkeit gibt, einzugreifen.»

Derzeit entwickelt Minsch in St. Gallen mit Professor Franz Jaeger ein neues volkswirtschaftliches Simulationsmodell für die Ausbildung. Die Studierenden erleben am Modell, dass man die Wirtschaft zwar über Staatsausgaben, Steuersätze und die Geldpolitik steuern könne, aber das Resultat in der Regel nicht besser sei als wenn man den Dingen ihren Lauf lassen würde. Der Staat solle nach Minsch denn auch so wenig wie möglich in die Wirtschaft eingreifen.

Das Thema Wirtschaftspolitik und die Folgen für die Realwirtschaft sind Minschs Steckenpferd. Der Titel seiner Dissertation lautete «Relative Prices and Inflation. An Empirical Analysis of Firm-Level Price Data from Selected Swiss Service Industries». Auf die Frage, was ihn an diesem nicht gerade sexy anmutenden Thema faszinierte, betont er mit Nachdruck: «Das Thema ist sehr sexy.» Für die Geldpolitik sei die Frage, ob Inflation neutral sei oder nicht, essenziell. Als er die Disssertation in Angriff nahm, war bereits bekannt, dass eine Teuerung von 20% einer Volkswirtschaft schaden kann. Doch ihn interessierte, ob bereits eine Inflation von 4 bis 5% zu einer Verzerrung der relativen Preise führt. Minsch zu seinem Fazit: «Inflation ist bereits bei Raten von 4 oder 5% nicht neutral und führt in demselben Sektor zu Preisverzerrungen – also zwischen dem Kafi Meier und dem Kafi Huber.»

Die Charaktereigenschaft, die ihn in die Ökonomie steuerte, ist dieselbe wie jene, durch die er ins Theatermachen hineinrutschte: Begeisterungsfähigkeit. Seine Leidenschaft für das Theater hat er entdeckt, als er Primarlehrer war. Minsch erklärt: «Meine Generation von Primarlehrern war noch die Sorte Eier legende Wollmilchsau – gefragt waren Personen mit musischem und künstlerischem Flair, die aber schulisch dennoch auf der Höhe waren.» Der in Klosters aufgewachsene Bündner hatte das Lehrerseminar besucht und unterrichtete danach in einem 400-Seelen-Dorf in Niederglatt im Kanton St. Gallen. Mit den Schülern führte er Theaterstücke auf. Aus Freude am Theater gründete er einen Theaterverein. Nach zwei Jahren war ihm klar, dass er beruflich die nächsten 40 Jahre noch etwas anderes sehen wollte. Er entschied sich für ein Volkswirtschaftsstudium – auch in der Hoffnung, Handfestes zu lernen.

Das Musische nahm zeitlich einen immer kleineren Platz ein in seinem Leben. Heute lebt er diese Seite nur noch in seiner Freizeit aus. Erste Priorität hat aber sowieso seine Familie. Handfestes oder zumindest handfeste Auseinandersetzungen erwarten ihn auch ab dem 1. Oktober. Minsch ist sich bewusst, dass sich das ökonomische Gewissen mit einigen Standpunkten des Verbands schwer tun wird. «Klar gibt es den einen oder anderen Stolperstein, wo meine Meinung abweicht», sagt er. Und fügt gleich hinzu: «Doch wenn man die ganze Palette des Verbandes anschaut, ist fast alles in Line mit der Lehre der Ökonomie.» Er sieht den Verband als einen Tanker auf dem Ozean. «Der Tanker kann keine schnellen Kurven machen, die Richtung muss langsam adjustiert werden.»

Ob die neuste Economiesuisse-Publikation «Hochpreisinsel und Patentrecht» mit Minsch im Hintergrund anders ausgefallen wäre, lässt sich zwar nicht eruieren. Dass er ein Freund von ungehinderten Parallelimporten ist, zumindest aus dem EU-Raum, lässt sich ziemlich einfach aus seinen bisherigen Studien und Publikationen herauslesen. Aufgeschlossen zeigt sich Minsch auch beim Thema Umwelt- und Energiepolitik. Vorgaben durch die Politik ist er per se nicht abgeneigt. Der Ökonom: «Für Investitionsentscheide in Energieeffizienz sind die Preissignale entscheidend.» Es sollten aber saubere Preissignale sein, von Kontingentierung etwa hält er gar nichts.



Wenig methodenverliebt

Auch beim Thema Frauen zeigt sich, dass er nicht von der alten Schule ist. Zwar hält er nichts von Frauenquoten, aber an der ökonomischen Notwendigkeit, Frauen besser in die Wirtschaft zu integrieren, hat er keine Zweifel. «Wenn Frauen bis ins Alter von 30 Jahren studieren und danach nur noch zu Hause sind, ist das ein miserabler Return on Investment.» Er selber fährt mit seiner Frau derzeit das Modell 100% und 0%. Die Arbeitsteilung sei auch schon ausgeglichener gewesen. Mit drei Kindern und ohne Blockzeiten sei es heutzutage in der Schweiz noch immer extrem aufwendig, sich zu organisieren. Da brauche es fast eine Person, die 100% präsent sei. An Ideen, wie die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern wären, fehlt es ihm nicht.

Für seinen neuen Job habe er sich vorgenommen, kleine Brötchen zu backen. «Aber immerhin Brötchen», sagt er. In der Wissenschaft würden oft gar keine Brötchen mehr gebacken, weil man sich so auf Modelle fixiere. Er sei zu wenig methodenverliebt, als dass ihn die Wissenschaft auf Dauer befriedigen könne. Was ihn interessiere, seien ökonomische Fragen und Positionen zu finden zu wirtschaftspolitischen Anliegen. «Ich wollte in die Schaltzentrale kommen und die eigene Meinung einbringen.»

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Zur Person: Steckbrief

Name: Rudolf Minsch

Funktion: Chefökonom Economiesuisse

Alter: 40

Familie: Verheiratet, drei Kinder (6, 8 und 10 Jahre alt)

Karriere

1988–1993: Primarlehrer, Berufsschullehrer für Wirtschaft

1994–2001: Assistent Makroökonomie HSG, diverse Aufträge als Dozent und Fachreferent

2002–2007: Professor für Volkswirtschaftslehre, Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur, Leiter Kompetenzzentrum «Makromodelle» HSG

Führungsprinzipien

1. Mitarbeiter motivieren, indem ihnen Verantwortung übertragen wird.

2. Mitarbeiter sollen den Kompetenzen entsprechende Handlungsspielräume erhalten.

3. Mitarbeiter sollen es nach aussen zeigen können, wenn sie einen guten Job machen.

Firma

Economiesuisse: Der Dachverband der Wirtschaft zählt 30000 Schweizer Unternehmen aus allen Branchen zu seinen Mitgliedern. In den Geschäftsstellen des Verbands arbeiten 48 Mitarbeiter.