Mit Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz sitzt jetzt das so genannte «Dream Team der Wirtschaft» im Bundesrat. Wird nun alles besser?
Rudolf Ramsauer: Es bestehen nun sehr gute Voraussetzungen, dass die schwierigen wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme, die wir in den nächsten Jahren bewältigen müssen, mit viel wirtschaftlichem Sachverstand an die Hand genommen werden.
Wollen Sie damit behaupten, dass dieser Sachverstand bisher im Bundesrat nicht vertreten war?
Ramsauer: Ich will den alten und den neuen Bundesrat nicht gegeneinander ausspielen, sondern stelle nur fest, dass die beiden Neugewählten sehr grosse - auch internationale - Erfahrung mitbringen. Das ist ermutigend, denn wir müssen in der Lage sein, die wirklichen Probleme zu erkennen, statt Scheindebatten zu führen.
Was verstehen Sie unter «Scheindebatten»?
Ramsauer: Zum Beispiel die Hysterie um das Sparprogramm. Dieses hat ja mit eigentlichem Sparen nichts zu tun, sondern ist vielmehr die Begrenzung eines Ausgabenwachstums, das ausser Kontrolle geraten ist. Die Diskussion um den Sozialabbau ist eine weitere Scheindebatte. Der Sozialstaat wird nicht abgebaut. Vielmehr müssen die Sozialversicherungen langfristig gesichert werden.
Die Wirtschaft ist schon vom bisherigen Bundesrat gut bedient worden. Jetzt erhält sie auch noch die lange geforderte Unternehmenssteuerreform II. Was will sie noch mehr?
Ramsauer: Es wurde in der Vergangenheit viel angeschoben, aber nicht alles konnte abgeschlossen werden. Ich erwähne das Entlastungsprogramm 1, das geplante Entlastungsprogramm 2, das Steuerpaket, die von Ihnen genannte Unternehmenssteuerreform 2 und schliesslich auch die Bilateralen II.
Das ist eine ganze Menge.
Ramsauer: Aber es reicht nicht. Denn es wird sich beim Entlastungsprogramm 2 zeigen, dass der bisherige Spielraum, der es erlaubte, ohne Einschnitte Korrekturen vorzunehmen, nun ausgeschöpft ist. In der nächsten Phase müssen wir die strukturellen Ursachen des ungezügelten Ausgabenwachstums angehen. Ohne tief greifende Reformen zum Beispiel im Sozialbereich ist dies nicht möglich.
Es fällt auf, dass diese Debatte von der Wirtschaft aus sehr defensiv geführt und viel von Kürzen, Streichen, Abbauen gesprochen wird. Wie steht es denn um die Hoffnung, dass es gerade wegen und mit den beiden neuen Bundesräten wieder aufwärts geht und die Schweiz auf den Wachstumspfad zurückkehrt?
Ramsauer: Entscheidend ist tatsächlich die Frage, wie neues Wachstum realisiert werden kann. Trotzdem müssen wir uns der demografischen Herausforderung stellen, weil Wachstum allein die Probleme nicht aus der Welt schaffen kann.
Wo muss man Ihrer Meinung nach ansetzen, um in der Schweiz langfristig wieder Wachstum zu generieren?
Ramsauer: Ich denke in erster Linie an den Bereich Bildung und Forschung. Damit die Schweiz hier ihre führende Stellung behalten kann, müssen wir heute eine Strukturreform im Bildungs- und Hochschulsystem in die Wege leiten. Sonst kommen wir zu spät. Die Wirtschaft sollte diese Thematik aktiv an die Hand nehmen, denn die Tendenz besteht, dass Unternehmen ihre Forschung ins Ausland verlagern. Wenn wir dieser Entwicklung nichts entgegenhalten, schadet dies der gesamten Schweizer Wirtschaft.
Christoph Blocher hat sich zur Forschungsförderung skeptisch geäussert. Welchen Reformanstoss erwarten Sie von ihm im Bundesrat?
Ramsauer: Herr Blocher hat mit seiner Aussage Recht, dass Geld allein nicht genüge. Ganz abgesehen davon, dass die Reformanstösse nicht unbedingt alle von ihm selber ausgehen müssen. Sie können ja auch von aussen kommen, auch von der Wirtschaft, weil es letztlich darum geht, den Wirtschaftsstandort Schweiz konkurrenzfähig zu halten.
Einverstanden, aber das ist wohl eher eine Investition in das mittel- und langfristige Wachstum. Kann das ebenso wichtige kurzfristige Wachstum über die Sanierung der Bundesfinanzen allein realisiert werden?
Ramsauer: Wenn die Unternehmen das Gefühl haben, dass die Politik die Staatsausgaben nicht mehr kontrollieren kann, was ja einen Anstieg der Fiskallast zur Folge hat, ist dies sicher kein Anreiz für zusätzliche Investitionen und zusätzliches Wachstum. Wenn die Wirtschaft jedoch erkennt, dass der verhängnisvolle Trend der vergangenen zehn Jahre gebrochen wird, verhält sie sich anders.
Wollen Sie noch weitere Steuersenkungen?
Ramsauer: Entscheidend ist, dass die Unternehmenssteuerreform 2, von der wir wichtige positive Anreize erwarten, jetzt über
die Bühne geht. Darauf wollen
wir uns in nächster Zeit konzentrieren.
Sie verursacht aber Mindereinnahmen von 500 bis 700 Mio Fr. Wie kann man das kompensieren?
Ramsauer: Sie vergessen, dass Steuersenkungen Wachstum generieren und damit wieder zu höheren Einnahmen für die öffentliche Hand führen. Wesentlich ist für mich der langfristige positive strukturelle Effekt, weil die Reform das Wachstum wieder ankurbelt.
Wenn wir von negativen Standortfaktoren sprechen, müssen wir auch die hohen Kosten erwähnen, die eine Folge unserer Abschottung und unserer mangelnden Reformfreude sind. Versprechen Sie sich von der neuen Zusammensetzung im Bundesrat eine markante Veränderung dieser Denkart?
Ramsauer: Ich denke, dass wir uns schon in die richtige Richtung bewegen. Das Kartellgesetz ist revidiert, jetzt folgt die Verschärfung des Binnenmarktgesetzes. Ich weiss jedoch noch nicht, wie sich die beiden neuen Bundesräte hier verhalten werden.
Man weiss es zumindest von Christoph Blocher, der sich zum Beispiel nie als Subventionsabbauer im Bereich der Landwirtschaft profiliert hat.
Ramsauer: Die Zukunft wird zeigen, wie er sich im neuen Umfeld verhalten wird. Dort ist er ja auch nicht mehr direkt einer Wählerschaft verpflichtet wie als Nationalrat.
Wie sollen denn weitere Liberalisierungsschritte unternommen werden, nachdem bei den Wahlen beide politischen Pole verstärkt worden sind, die sich vehement dagegen wehren?
Ramsauer: Liberalisierung in diesem Land ist tatsächliche eine sehr schwierige Angelegenheit.
Woran liegt das?
Ramsauer: Nicht nur an den linken oder rechten Parteien, sondern vor allem an den enorm kleinräumigen Strukturen, die letztlich den Wettbewerb erschweren. Wenn wir die Reformen jedoch nicht selber schaffen, wird der Druck von aussen so zunehmen, dass wir
mit der Zeit nicht mehr anders können. Das gilt für die Landwirtschaft, den Strom- und den Postmarkt.
Trauen Sie dem Bundesrat in der neuen Zusammensetzung zu, dass er den Liberalisierungsprozess jetzt kontinuierlich vorantreibt?
Ramsauer: Absolut. Es wird zu einer Beschleunigung des Prozesses kommen, weil es dem neuen Bundesrat leichter fallen wird, geschlossene Positionen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu erarbeiten und vorzuschlagen.
Dazu braucht die Regierung auch Glaubwürdigkeit. Wie soll das Vertrauen zurückgewonnen werden, das die Wirtschaftselite durch Skandale und Versagen in den Boomjahren verspielt hat?
Ramsauer: Die Bevölkerung gewinnt wieder Vertrauen, wenn sie feststellt, dass ihre echten Probleme tatsächlich auch aufgegriffen und gelöst werden. Ich bin überzeugt, dass die meisten angesichts der demografischen Entwicklung Verständnis dafür aufbringen, dass es bei der Altersvorsorge zu Veränderungen kommen muss, die nicht als Sozialabbau bekämpft werden.
Im Moment ist aber sehr viel Unsicherheit vorhanden.
Ramsauer: Ja, weil niemand weiss, welche Lösungen vorgeschlagen werden. Politisch werden diese Ängste noch geschürt von allen Seiten, sodass es die normale Reaktion ist, fürs Erste einmal Nein zu sagen. Doch wenn die Leute feststellen, dass ihnen jeden Monat aufgrund der steigenden Abgaben und Gebühren weniger im Portemonnaie bleibt, werden sie auch Verständnis dafür haben, dass
man die öffentlichen Haushalte sanieren muss, selbst wenn das weh tut.
Gibt es im Bundesrat die Persönlichkeiten, die dem Volk diese Politik erklären können?
Ramsauer: Entscheidend ist Glaubwürdigkeit der Regierungsmitglieder. Als kompetente Persönlichkeiten geniessen beide neuen Bundesräte in der Öffentlichkeit hohen Respekt. Sie sind auch als Wirtschaftsvertreter glaubwürdig, weil beide in der Vertrauensdebatte nicht betroffen waren.
Heisst das für Sie auch, dass der Bundesrat mit Blocher und Merz an Glaubwürdigkeit gewinnen wird?
Ramsauer: Wir haben einen starken Bundesrat. Und das ist gut, weil es in der heutigen Zeit Führung braucht.
Wir staunen über dieses grosse Vertrauen.
Ramsauer: Die Ausgangslage ist in jedem Fall gut. Ich hoffe nur, dass die Linke nun nicht auf Obstruktion und Opposition machen wird und alle Reformen a priori blockieren will. Weil wir es nicht gut finden, dass einer der beiden politischen Pole in die Opposition geht, haben wir uns nach den Wahlen für die Einhaltung der Konkordanz und damit für zwei SVP-Sitze ausgesprochen. Es ist für mich deshalb wichtig, dass wir mit der SP auch weiter im Gespräch bleiben.
Das könnte ja schwierig werden: Ein KOF-Experte hat vorausgesagt, dass 25 000 Arbeitsplätze in der gesamten Wirtschaft auf dem Spiel stehen, wenn alle geäusserten Sparprogramme rigoros durchgesetzt würden.
Ramsauer: Als Alternative bleiben ja nur Steuererhöhungen, was mittelfristig noch mehr Arbeitsplätze vernichten würde.
Im amerikanischen System wird nach vier Jahren Bilanz gezogen: Hat der Präsident mehr Jobs geschaffen? Welches ist, auf Schweizer Verhältnis übertragen, die Perspektive nach vier Jahren Blocher-Merz?
Ramsauer: Es wird sicher mehr Arbeitsplätze geben. Ich erwarte, dass die Schweizer Wirtschaft wieder ihr Wachstumspotenzial ausschöpfen wird.
Weshalb diese Erwartung?
Ramsauer: Weil vor allem die Unternehmer mehr Vertrauen gewinnen, dass eine Wirtschaftspolitik gemacht wird, die zukunftsträchtig ist. Dieses muss das weit verbreitete lähmende Gefühl überwinden, dass wir schleichend unsere Wettbewerbsfähigkeit einbüssen.
Der soziale Frieden in der Schweiz ist ein wichtiger Standortfaktor. Seine Erhaltung wird in den aktuellen Debatten nur beiläufig erwähnt. Wer ist für Sie der Garant der sozialen Stabilität?
Ramsauer: Neben den Sozialpartnern ein starker Bundesrat, dem es gelingt, Vertrauen zu schaffen, indem er Führung wahrnimmt und die Probleme anpackt.